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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gerieth in die achtjährige Zuchthauswolle, und der Schulmeister notirte dito acht Jahre Schulzwang. Blankmeister bekam zehn blanke und meine Wenigkeit gerade ein volles Dutzend Waldheimer Jahre, dazu noch eine kleine Knochenzulage wegen Preßvergehen in der von mir damals redigirten „Staats- und Hausbrille“, drei Monate Hubertusburg in vier Wochen Waldheim übersetzt.

Zwei der Attentäter am Ofen machten einen kühnen, aber mißlungenen Versuch, Thränen zu vergießen, der Stadtförster und der Schulmeister. Bei Blankmeister lief das kleine Häflein voll des Zornes brandend über; er wurde fuchsteufelswild und schlug ob des harten Urtheils auf den hölzernen Tischaltar der blinden Frau Justitia, so daß Actuarius Longus ebenfalls zornröthlich erglühte und mit ernster Miene und gebieterischer Stimme Blankmeistern daran erinnerte, daß er „vor Amte stehe“. Meine Erwartungen hatte dagegen das Urtheil nicht übertroffen; ich nahm ruhig ein Blatt Papier und schrieb nach Hause, daß ich nur zwölf Jahre erhalten hätte, was meinen Gleichmuth und meine gute Laune nicht im Mindesten unterbrach. In dieser Stunde reifte aber auch der ernste Entschluß zur Flucht, während alle Vorbereitungen, die ich bereits getroffen, mir mehr zur Unterhaltung gedient hatten.

Inzwischen war ich wieder einmal um eine beträchtliche Nüance dunkler, kühler und feuchter aus- und einquartiert worden, nämlich gegen Norden. Dies ging also zu: man hatte mir früher eine Eisensäge zugesteckt, allein dabei nicht ganz reinen Mund gehalten, und als ich bereits einen hoffnungsvollen Versuch gemacht und das Sägelchen die Eisenstangen am Fenstergitter zum Verwundern schön angeschnitten hatte, wurde plötzlich untersucht. Ich warf das Instrument hinaus, allein der Verdacht war erregt, obgleich ich den Anschnitt meisterhaft zu verdecken verstanden, und ich wurde dislocirt. So gerieth ich in eine sehr nachtheilige Lage, in eine Zelle, welche mit „Jalousien“, das heißt mit einem Holzkasten, vulgo Taubenschlag, vor dem ohnehin sehr angelaufenen Fenster, versehen war. Des Schreibzeuges war ich schon seit Langem beraubt. Ebenso war Rauchen und Singen streng verboten. Doch diese aus Gründen größerer Sicherheit hervorgegangene Uebersiedelung brachte mich der Ausführung meines Fluchtversuches um einen Schritt näher. Ich kam nun gegenüber von Blankmeister zu wohnen, der, wenn ich lethargisch und gleichgültig werden und bis zum Zuchthaus den Leidenskelch leeren wollte, mich durch sein Telegraphiren immer wieder auf’s Neue zu beharrlichen Studien anspornte, denn er wußte, daß meine monatelangen Vorbereitungen weiter nichts als der Entschiedenheit zur Ausführung bedurften, und da er Familienvater war, so lag ihm natürlich mehr an der Freiheit als mir, der ich mich wirklich mit echt deutscher Gemüthsruhe an’s Gefängniß gewöhnt hatte.

Herzlich lachen mußte ich dagegen oft, wenn der eifrige Wachtmeister allnächtlich zwischen zehn und zwölf Uhr Alles ängstlich untersuchte, namentlich die Fensterstäbe, wenn er an die stark mit Blech beschlagene, ohnehin dritthalb Zoll dicke Thür bedachtsam ein Schloß nach dem anderen anlegte, wenn der marmorkalte Amtmann, vulgo steinerner Gast, von Zeit zu Zeit unter der Thür erschien und nachsah, oder gar die ergötzliche Frage stellte, ob mir nichts fehle, oder wenn der Actuar Longus, nachdem irgendwo wieder Einer fort war, mitten in der Nacht mit dem Wachtmeister die Treppen heraufgestürmt kam und mit seinen mächtig dünnen Beinen eiligst hinauf an’s Guckloch (Schiffsluke) kletterte, um sich höchstselbst von der guten Gesinnung der Fensterstäbe zu überzeugen, während mein Tunnel der Freiheit längst schon fertig war.

Daß bei solchen Besuchen des steinernen Gastes oder des Untersuchungsrichters niemals von einem „Guten Tag“ oder „Guten Abend“, überhaupt von irgend einer Freundlichkeit die Rede war, verstand sich bei dem Charakter dieser beiden Herren und jener Zeiten von selbst. Ihnen war der politische Verbrecher das Nonplusultra aller Verbrecherlichkeit. Anders verhielten sich die übrigen Actuarien des Justizamtes, die manchmal im Falle der Noth und während der Abwesenheit der Oberen mir etwas mitzutheilen oder einen Besuch einzuführen hatten. Diese Herren pflegten stets Anstand und Höflichkeit, wie es unter Gebildeten in jeder Lage des Lebens deutsche Sitte ist. Ihnen noch heute die Hochachtung jedes redlichen Mannes!

Mit mir ging, nach ergangenem Urtheil, die Verhörplage noch einmal los, weil der Stadtförster, der nun auch schon seit Jahren im selbstgegrabenen Grabe liegt, seine Hasenhaut durch Bekehrung und Denunciation zu retten suchte. Jedoch durften von nun an Blankmeister und ich zusammenkommen und dann und wann selbander, wie zwei Lämmlein, auf die Weide gehen, aber unter steter Aufsicht zweier Hirten.

Am 28. Juli 1851 Morgens war es, als mir Blankmeister, der inzwischen auch um ein Stockwerk erhöht worden und mir gegenüber (im Corridor) eingezellt worden war, telegraphirte: „Wir werden einstweilen bis zur Rückkehr des Urtheils vom Oberappellationsgericht in’s Zuchthaus abgeführt. Wagen soll heute schon ankommen“. Dieselbe Nachricht wurde mir etwas später auch von dem Gehülfen mitgetheilt, und als Neuigkeit und mit aufrichtigem Bedauern erzählte mir des Wachtmeisters blondlockiges Töchterlein dasselbe, als sie Mittags das Essen durch die Futterluke, freundlich wie immer, hereinschob.

Blankmeister telegraphirte nochmals: „Heute Nacht, vorwärts!“

An demselben Nachmittag gab die Sonne eine ihrer solennsten Vorstellungen dieses Jahrhunderts. Es war große Sonnenfinsterniß. Zum letzten Mal sollten wir uns des Gartens und zwar des größeren, der Außenwerke erfreuen. Der Wachtmeister und sein Gehülfe Münch führten uns auf und ab. Durch angerußte Gläser betrachteten wir die Sonne gleichgültig, mit mehr Interesse das Publicum, das rings auf den Hügeln und um den Garten stand, saß und lagerte. Darunter manch’ gute, befreundete Seele; in nächster Nähe Blankmeister’s Kinder und sein treffliches Weib, das trotz aller Strenge im lebhaftesten Briefwechsel mit ihrem Manne stand und von unserm heutnächtigen Fluchtversuch unterrichtet war. Ich hatte mich nämlich nun fest entschlossen, mein Mauerbrecherlicht nicht ferner unter den Gefängnißscheffel zu stellen.

Es war ein toller Tag, dieser 28. Juli! Alles ergab sich dem süßen Nichtsthun. Voraussichtlich kam auch unser Wachtmeister heute Nacht mit einem Haarbeutel nach Hause. Wie ich später erfuhr, hatte er in der heitersten Stimmung verschiedene jener Tempel besucht, aus denen der liebe Gott den Arm heraushängt, und in heiterster Stimmung triumphirend ausgerufen: „Ja, meine Vögel sitzen fest; die kommen nicht ’raus!“

Am Abend telegraphirte ich Blankmeister. „Ich beginne. Auf Wache!“ Ich bereitete Alles vor. Weil ich den Ofen geöffnet hatte, um nochmals zu untersuchen, war die Diele zum Theil rußig geworden. Da ich Solches vorausgesehen, hatte ich mir für den Abend einen großen Krug voll Wasser bringen lassen. Ich schloß den Ofen wieder, wusch die Dielen, trotz der besten Stubenmagd, öffnete die Fenster zum Trocknen, legte mich auf mein Pritschenbett und erwartete nun des Wachtmeisters regelmäßige Nachtvisite. Punkt Mitternacht erschien er, wie Samiel im Freischütz, aber lustig und wohlgemuth. Er bot mir, wie immer, mit seinem feststehenden Sprüchworte: „Das sind Sachen, und wer’s nicht weiß, muß darüber lachen“ ein kernhaftes Kapuzinerfrühstück an, wie er die obligate Prise zu nennen beliebte, und trollte, ohne ängstliche Umschau zu halten, aber doch gewohnheitstreu in alle Winkel leuchtend, zum Tempel hinaus. Draußen hing er sorgfältiglich wieder Schloß um Schloß an die eisengepanzerte Thür, Jedes an seinen bestimmten Ort, besuchte hierauf noch, der Gleichheit wegen, die minderen Vögel und stieg dann allmählich, schlüsselklirrend und thürangelknarrend, wie man es in alten Ritter- und Räuberromanen zu lesen gewöhnt ist, die langen steinernen Treppen, geisterhaft schlürfend, hinab in sein Kämmerlein, um einen langen Schlaf zu thun.

Aufgeregt sprang ich von der Pritsche herab und begann sofort meine Maulwurfsarbeit. Ich stellte mein Tischchen an die vordere Platte des viereckigen Ofenkastens, legte Rotteck’s Weltgeschichte darauf und nahm aus meinem einzigen Stuhle das längst dazu hergerichtete Stuhlbein heraus, um es als Hebel zu benutzen, von dem jener berühmte englische[WS 1] Naturforscher schon gesagt hatte: „Gieb mir einen Stützpunkt, und ich hebe die Welt aus ihren Angeln.“ Einen solchen Stützpunkt hatte ich; doch mein Heben galt nur dem obern Theile des eisernen Ofens mit Mittelplatte, welcher sinnreich nach hinten an die Mauer angeschlossen war, damit man ihn nicht einreißen sollte. So hob ich Alles mit Leichtigkeit, bis ich die vordere Platte herausnehmen konnte. Dann stellte ich Tisch und Stuhl zur Seite – natürlich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: griechische; siehe Berichtigung (Die Gartenlaube 1874/4)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_018.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)