Seite:Die Gartenlaube (1874) 015.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

heran, für welche der ansehnliche Ertrag der Subscription auf seine Gedichte ihm genügende Mittel bot. Er teilte Boie seinen Plan mit:

„Von meiner Seelenverfassung ist nicht viel Angenehmes zu sagen. Ich brüte über hundert Entwürfen, die Glückseligkeit meines Lebens betreffend, kann aber zu keinem Entschluß kommen. Es scheint fast um mich gethan zu seyn, da mein Geist und Körper noch nie so erschlafft gewesen sind, als jezt. Es ahndet mir, als stürbe, ich bald. Eine vollkommene Zerstreuung würde mir, glaub’ ich, allein noch zuträglich sein. Aber wo finde ich die? Ich kann mich doch nie von allen Sorgen, die mein Leben aufzehren, losmachen. Ich mögte wohl mein Amt aufgeben, meine Frau und Kind auf eine Zeitlang anderwärts unterbringen und etwa auf ein Jahr in irgend ein anderes Land (England, Spanien, Portugal) reisen. Was sagst Du dazu? Mich dünkt, wenn ich alsdann gesund an Leib und Geist wiederkäme, so wäre das ja besser, als so noch länger zwischen Leben und Sterben hinzusiechen.“

Boie, der Gefahr im Verzuge sah, rieth zu einer Reise durch Deutschland. „Mag die Welt sagen, was sie will; wenn Deine Frau zufrieden damit ist, so geht’s keinem Menschen weiter was an. Ich fürchte, Du hast irgend einen Seelenkummer, den Du mir nicht sagst, der Dich abspannt und Dich unthätig macht. Dawider ist kein besser Mittel.“

„Ach! freilich,“ antwortet Bürger, „belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz, und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Kehle. Entweder ich gehe bald zu Grunde oder genese. Aber kann ich genesen? Schwerlich anders, als der Halbgeräderte, zum Krüppel. Gott stehe mir bei, daß die Verzweiflung mich wenigstens nicht eher überrascht, als bis ich mein Haus bestellt habe. Werde ich wohl reisen können, ohne daß die schwarze Sorge sich mit hinter meinen Sattel setzt? – Gott geb’ es!“

Statt zu reisen, beging Bürger die Thorheit, ein Pachtgut des Generals von Uslar in Appenrode zu übernehmen und dadurch seine eben in besseren Zustand gerathenen Finanzen vollends zu ruiniren. Zuerst freilich nahm er sich kräftig der landwirthschaftlichen Angelegenheiten an und hoffte ein gutes Geschäft zu machen, wenn er all die Feld- und Gartenfrüchte, die er sonst theuer hatte kaufen müssen, fortan auf eigenem Boden gewinne. „Ich glaube,“ schrieb er muthvoll, „diese Veränderung wird mir wohl thun. Ich wühle in meinem Garten wie ein Maulwurf und springe von den Gleichen zu dem Eschenberge und vice versa wie ein junges Reh. Der Geist und die Kraft des Herrn soll, denke ich, wiederkehren.“ Das hochgelegene Appenrode war allerdings ein gesünderer Aufenthaltsort, als das in sumpfiger Niederung sich hinstreckende Wöllmershausen.

Häufig besuchte der Dichter auch die wildmalerischen Partien der Umgegend zwischen Bremke und Reinhausen. Ein herrliches, von wogenden Kornfeldern umsäumtes Wald- und Felsenthal bei letztgenanntem Orte, das er besonders geliebt und wohin er oft seine Gäste geführt haben soll, führt jetzt noch den Namen „das Bürgerthal“. In seinem Garten zog er einen Flor der schönsten Blumen; Rosen und Reben umrankten sein Haus. Aber seine Kenntnisse der Landwirthschaft waren gering für den Betrieb eines so großen Geweses, und Dorette war in der Haushaltung noch nachlässiger, als er selbst. Binnen Kurzem sah er sich tief verschuldet und mußte Jahr für Jahr, bei der hohen Pachtsumme, ein Erkleckliches zusetzen. Die ewige Finanznoth verstimmte ihn und raubte ihm Muth und Kraft. „Wenn ich recht mit Aufmerksamkeit den Quellen meines Unmuts nachspüre,“ schrieb er an Boie, welcher um diese Zeit Landvoigt von Dittmarschen geworden war, „so ist das eine der Hauptquellen, daß ich bei meinen Scherereien kein hinreichendes Auskommen habe. Mein eigenes Armüthchen setze ich zu und gerathe noch obenein in Schulden. Das, das schlägt mir Leib und Geist am meisten darnieder. Mit dem Uebrigen, was mir nicht behagt, hätte es allenfalls nicht so viel zu sagen.“ – „Verdruß,“ fährt er fort, „wird mir sonst von andern wenig gemacht, außer demjenigen, den ich mir selbst mache, daran sind die infamen Finanzaffären Schuld. Freund, Du solltest Dein blaues Wunder sehen, wenn meine Schulden bezahlt wären und ich ein Amt hätte, daß mir ein hinlängliches Auskommen gewährte! Schaff mir nur auch so eine stattliche Landvoigtey!“

(Schluß folgt.)




Aus meinem Gefängniß- und Fluchtleben.
Auch eine Jubiläums-Erinnerung von Fritz Rödiger.


Wir befanden uns mitten im sonnigen Brachmonate des Jahres 1849. Die Mai-Ereignisse waren vorübergebraust. Einer oder der Andere hatte sich klüglicher Weise „gedrückt“. Viele „saßen“ oder waren „eingeschränkt“, nach jagdtechnischem Ausdrucke „eingekreist“, das heißt, sie durften ohne polizeiliche Erlaubniß ihren Wohnort nicht verlassen. Ich hatte nach Adorf, meinem alten Lieblingsstädtchen, Korn geführt und trank eben ein Glas echt bürgerlich-reihenschenkerischen Gerstensaftes, wie man es jetzt nicht mehr in den Schenken findet, als der „Wachtmeister“ des Amtes Adorf mit einem Getreuen am Horizonte des Schenkzimmers auftauchte und in der freundlichsten Weise Goethe’s Faust zu commentiren suchte, indem er mir lächelnd andeutete: „Liebes Herrchen, darf ich’s wagen, meinen Schutz und Geleit Ihnen anzutragen?“ Die Zeit war gefährlich geworden; es bedurfte zwei Mann zum Einheimsen eines Einzigen. Ich wurde vor einen kleinen dicken Actuar geführt, der mir lächelnd und äußerst höflich eine zierliche Standrede hielt und mich tröstete: „Jetzt sind wir wieder am Platze. Hätten die Demokraten gesiegt, so säßen Sie jetzt an meiner Stelle.“ – „Ich wäre also erster Actuar und Amtsverweser geworden,“ dachte ich, „hm! hm! und der kleine dicke Actuar … Hochverräther? Sonderbare Wandlungen!“

Der Herr Actuar, mit dem ich übrigens privatim auf ganz freundlichem Fuße stand, faßte sofort eine unüberwindliche Neigung zu meiner Persönlichkeit, lud mich ein, es mir einige Zeit „in seinem Hause“ gefallen zu lassen, und bot mir sogleich als gastfreundlich Quartier die „Wechselstube“ an. Diese Stube ist der Ort, wo „unbezahlbare“ Geschäftsleute, Banquerotteure, leichtsinnige Schuldenmacher, Wechselfabrikanten und dergleichen „noblere“ Verbrecher vor dem ungestümen Anprall ungeduldiger Gläubiger im amtlichen Essig und Oel aufbewahrt wurden. Das Zimmerchen war hell und freundlich, mit einer gewöhnlichen Thür ohne Fütterungsluke und gewöhnlichen, großen Fenstern mit leichten „Eisenvorhängen“ versehen – ein Beweis, daß Madame Gerechtigkeit weit artiger gegen Schelme von „Distinction“ ist, als gegen gemeine Diebe und Räuber, für die finstere und frostige Zellen mit brettervernagelten Pseudofenstern, zu denen später, wie wir sehen werden, auch die politischen Verbrecher „emporsanken“, mehr als genügen. Kurz und gut, die „Wechselstube“ war ein ganz manierliches Stübchen; dennoch wollte ich diesen Wechsel anfänglich nicht recht „acceptiren“. Half aber Alles nichts! Der Herr Actuar war Sieger und warf sein Gerichtsschwert in die Wagschale. Die beiden Gerichtsdiener, wahre Goliaths mir kleinem David gegenüber und Beide mit biblischen Weberschäften als Polizeistöcken in den Händen, nahmen mich in ihre Mitte, und so ging es hinaus zur neuerbauten Frohnveste des Amtes Adorf – zur Freude und Genugthuung aller „Gutgesinnten“ jener Tage, die aber zu jener Zeit im oberen Voigtlande sehr dünngesäet und noch dünner aufgegangen waren.

Die Behandlung war während dieser Untersuchung noch eine äußerst humane, und ich war der Einzige von allen Maiverdächtigen, der „saß“.

Der amtirende Actuar – Schmieder hieß derselbe – war ebenfalls ein humaner Mann; dies ging schon daraus hervor, daß er die Familienväter in Freiheit ließ und nur die Ledigen, allerdings die Haupträdelsführer, einsteckte – also auch meine Wenigkeit. Nach etwa sechs oder sieben Wochen stiller Zurückgezogenheit entließ er auch mich sogar wieder, auf „Ehrenwort“, das ich ihm, trotz aller Versuchung und Warnung, auch ehrlich gehalten habe.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_015.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)