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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


das Vaterland zu vertheidigen, so ist Er hiermit beauftragt, alle Tagelöhner und Forstarbeiter, über einundzwanzig Jahre alt, aufzufordern, sich morgen früh um neun Uhr in dem Amtsgebäude zu Goldberg unfehlbar einzufinden. Widrigenfalls werden selbige mit fünf Jahren Zuchthaus bestraft werden. Gegeben zu Goldberg etc. Gläubig hört Sch– es an und denkt: „Täuwt (wartet) ji Canalljen, nu will ick juch wisen, wat ne Harrk is.“ Schnell erkundigt er sich, was der Türke eigentlich für ein Mensch sei, und wo er wohne, worauf der Ladenschwengel ihm zu verstehen giebt, daß der Türke der grausamste aller Wilden sei. Zum Ueberfluß zeigt er ihm noch einen Schillingsbilderbogen, auf dem in glühenden Farben ein türkischer Unhold abgebildet ist. Nun hält’s ihn aber nicht länger; mit geflügelten Schritten erreicht er Abends das Dorf und berichtet, die Kriegsfurie sei los, der Türkenkrieg ausgebrochen, und den Brief aus der Tasche ziehend, liest er den staunenden Landbewohnern den kategorischen Aufruf des Goldberger Amtes vor.

Am nächsten Morgen, wir hatten gerade gefrühstückt, kommt mit wichtigen Schritten der Gelehrte des Dorfes auf den Forsthof, händigt mit einem Kratzfuß und höflichen „Guten Morgen, Herr Förster!“ die Briefe ein und fängt an zu sondiren, ob wir von dem Türkenkriege schon Nachricht haben. „Na, Herr Förster, wat denken Sei dorvon?“

„Wovon?“

„Ja, von den Krieg?“

„O, de Krieg is jo nu vöbi.“

„I wat, he is jo irst gistern anfunag’n; na, ick seih, Sei hew’n noch nich davou hürt! ick mein’ den Krieg mit den Türken.“

„Dummes Tüg – wer hett Sei denn dat upbunn’n?“

„Herr Förster,“ – er fing jetzt hochdeutsch an, – „ich hab’ allen Respect vor Sie, aberst sonne Anzüglichkeiten muß ich mich denn doch gehursamst verbirren. Es is nich meine Schuld, daß Sie von diese Sache bis dato nix nich gehürt haben.“ Während er dies sagte, hatte er seinen Brief aus der Tasche gezogen und die Brille aufgesetzt. Er räusperte sich und las uns vor, was der witzige Goldberger ihm vorgelesen hatte. Durch unser unbändiges Lachen beleidigt, bemerkte er in sehr verletztem Tone, er wisse nicht, was da zu lachen sei, Krieg sei immer eine ernsthafte Sache, aber Krieg mit dem Türken sei fürchterlich.

Vergebens suchte ich ihm zu bedeuten, daß irgend Jemand ihm den Brief geschrieben haben müsse, um ihn zum Besten zu haben, und daß der „Türk“ ein schwacher kranker Mann sei, der gar nicht an Krieg denke. „Was sagen Sie, Herr Cannidat, haben Sie den Türk all enns seihn?,“ Ich verneinte. „Aewer ick hew em seihn,“ sagte er stolz und sich wieder an den Förster wendend, „pickswartes (pechschwarzes) Hoar harr hei un en langen gnäterswarten Snurrboart; en krummen Sabel swenkt er äwer sinen Kopp un dat Mul reet hei wiet upp.“ Dabei riß er selbst das Maul auf, zeigte seine Zähne und schwang den imaginären Säbel über seinem Kopf. Der Förster wälzte sich vor Lachen; ich selbst war dem Ersticken nahe. Die Scene war so gelungen, daß sie mir ewig unvergeßlich bleibt. So bald ich zu Athem kommen konnte, ersuchte ich den Schulmeister, sich zu setzen und mir den Brief zu zeigen. Ich las ihn laut vor; er lautete: „Lieber Schwager, ich bin Euch zum Trotz doch nach Amerika gegangen und habe meine Frau mitgenommen. Ich wohne in – – und damit Ihr sehen könnt, daß Alles wahr ist, was ich schreibe, lege ich unsern Schiffsschein bei. Dein etc.“ Bei den ersten Worten war der Schulmeister aufgesprungen. Sprachlos, bleich und starr stand er da, eine gefallene Größe; das Geheimniß seines Lebens war entdeckt. Nach einigen vergeblichen Flausen beichtete er, wie Alles gekommen, und gestand, daß er nicht schreiben und nur die großgedruckten Fragen im Lutherischen Katechismus lesen könne, die er als Kind auswendig gelernt. Umsonst bat er um Schonung. Der Förster sagte ihm, er hoffe, daß er die Tagelöhner noch nicht auf’s Goldberger Amt beordert habe.

„Ach, Herr Förster,“ sagte er weinerlich, „sei sünd all’ ne gaur halw Stun’n unnewegs.“ Damit war er aber auch zur Thür hinaus und in vollem Lauf hinter den Tagelöhnern her. Nach etwa zwei Stunden brachte er sie triumphirend zurück. Es seien andere Nachrichten gekommen, mit dem Kriege sei es nichts, hatte er ihnen gesagt. Ueber den Stand der Sache aufgeklärt, verlangten später die Tagelöhner zum zweiten Male einen andern Lehrer. Das Amt wandte sich jetzt an den Schulvorstand, den Pastor H–r in P–n. Dieser aber, obgleich ich ihm obige Geschichte erzählt hatte, berichtete dem Amte, daß der Schulmeister Sch– zu S–f genügende Kenntnisse besitze, um eine Dorfschule zu halten. Wie viel Mecklenburg auch gesündigt haben mag, besagten H–r hat es nicht „verbrochen, denn er war ein Sachse. Ehre dem Ehre gebühret! Seine Hochwohlehrwürden erzählten kurz darauf den benachbarten Pächtern und Gutsbesitzern bei einem Erntefest-Abendessen, an dem auch ich theilnahm, wie er den armen Schulmeister durch sein gutes Zeugniß aus der Noth geholfen habe. Ich war noch sehr jung damals, aber als ein echter Sohn Mecklenburgs hatte ich längst gelernt, das uns angestammte Vorrecht der göttlichen Grobheit zu beanspruchen und auszuüben. Ich erhob mich und erklärte ihm ruhig, aber sehr laut und deutlich jede Silbe betonend, daß er dem Goldberger Amt absichtlich und wissentlich eine arge Lüge berichtet, da er vorher durch mich und den Förster unterrichtet sei, daß der Mann, der unter seiner speciellen Aufsicht zwanzig Jahre lang Schulmeister in S–f gewesen, weder lesen noch schreiben könne.

„Und mit Schrecken und mit Grauen
Hörten’s die Ritter und Edelfrauen.“

Auch der Pastor war stumm, nur zuckte er die Achseln mit einem Blick nach oben, als wollte er sagen: „Himmlischer Vater, vergieb diesem jungen Grobian!“ Ich war aber einmal im Zuge und gab die ganze Geschichte vom Türkenkriege zum Besten. Alles lachte und nickte mir zu. Mancher drückte mir die Hand, vor Allen der brave Förster. Ich hatte gesiegt – der Pastor war in dem Türkenkriege gänzlich geschlagen. Und der Schulmeister? Wie kann man nur fragen! Ei, der Schulmeister blieb Schulmeister und ist es wahrscheinlich noch jetzt, wenigstens habe ich nicht gehört, daß er gestorben.

Heinrich Staude in Troy (Amerika).


Abermals gekreuzigt! Die „Neue Stettiner Zeitung“ schreibt: „Die orthodoxen Geistlichen in Hinterpommern, welche gut thäten, sich bei Ausübung ihrer Amtspflichten lediglich an das zu halten, was ihr Beruf von ihnen fordert, scheinen sich jetzt auf die Aesthetik zu legen, indem sie die Kirche zum Schauplatz einer sehr unberufenen Kritik machen, welche sich vorzugsweise gegen die bekanntlich in gewissen Kreisen schon lange im Geruch der Ketzerei stehende ‚Gartenlaube‘ richtet. Das ‚Stolper Intelligenzblatt‘ erzählt es und zu Nutz und Frommen aller Hausfrauen und solcher, die es werden wollen, sei es mitgetheilt, daß einer jener übereifrigen geistlichen Herren den Inhalt der ‚Gartenlaube‘ als ‚feines Gift‘ bezeichnet, welches sehr gefährlich wirke, und daß ein Zweiter bei Gelegenheit einer Trauung aus den gebildeten Ständen der Braut bemerklich machte, daß das Lesen von Modezeitungen und namentlich das der ‚Gartenlaube‘ sich für eine christliche Hausfrau nicht zieme.“ Was sagen unsere freundlichen Leserinnen dazu?


Berichtigungen. In Nr. 35 dieses Blattes ist auf Seite 566, 2. Spalte, 24. Zeile von oben, statt „Silberblick“ zu lesen: „Silberblock“.

In dem Artikel „In den Hallen des Schweigens und des Mirakels“ (Nr. 38, S. 618) ist im Eingange statt „Heimbach, einem Flecken an der Ruhr“ zu lesen: „an der Roer“.


Kleiner Briefkasten.

A. C. D. in Williamsburgh, New-York. Bei den amerikanischen Ansprüchen an Comfort dürfte ein kinderloses Ehepaar in den größten[WS 1] Städten Nord- und Süddeutschlands seinen Jahresetat, exclusive Kleidung und Vergnügen, auf circa tausend Thaler zu bemessen haben. Billiger würden sich die Kosten in den kleineren Städten stellen. Vieles hängt indessen von den Localverhältnissen ab.

K. H. Da wir nicht das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft haben, so bedauern wir, Ihnen in der uns vorgetragenen Angelegenheit einen Rath nicht ertheilen zu können. Ein solcher müßte sich durchaus auf eine Kenntniß Ihrer Fähigkeiten stützen.

W. 11/3 X. Lassen Sie sich gesagt sein, daß auf eingesandte Gedichte, mögen sie nun acceptirt oder dem Papierkorbe anheimgegeben worden sein, Antwort niemals ertheilt wird. Das haben wir an dieser Stelle bereits unzählige Male erklärt. Ihre Gedichte sind nicht zu verwenden.

C. in G. Ungeeignet. Uebersetzungen bringt die Gartenlaube nicht.

Maria K. in H. Recht warm empfunden und gewandt versificirt, aber zum Abdruck nicht geeignet, weil zu wenig eigenartig.

Z. Z. Acceptirt und kommt nächstens zum Abdruck.



Zur

Ehren-Dotation für Roderich Benedix

gingen erfreulicher Weise wieder ein: Total-Einnahme einer Benefiz-Vorstellung des Kölner Theater zu Gunsten der Benedix-Dotation durch Director H. Behr 513 Thlr.; Sammlung der Gesellschaft des runden Tisches in Pilsen 24 fl. ö.; von einem Postmann 1 Thlr.; Dr. S. in Bamberg 2 Thlr.; Heinrich Engelmann in Berlin 5 Thlr.; Sammlung im Bürgerverein in Oderberg 2 Thlr. 8½ Ngr.; L. G. in Dresden 2 Thlr.; W. M. in Bochum 2 Thlr. 15 Ngr.; Anna Ludwig in Königstein 1 Thlr.; Vorstellung des Dilettanten-Vereins in Plagwitz 10 Thlr.; H. W. in Berlin 2 Thlr.; C. F. Weber 3 Thlr.; G. Lurchow in Kieselkehmen 9 Thlr.; Vorstellung des Vaudevilletheaters in Leipzig 54 Thlr. 7 Ngr.; Carl von Holtei in Breslau 9 Thlr., als nicht angenommenes Honorar der Gartenlaube, mit den Worten:

Mit Ihnen gerath’ ich schon wieder in Streit:
Sie erweisen mir eine Gefälligkeit
Und können ernstlich von mir verlangen:
Dafür soll ich Honorar empfangen?
Beim Acheron, oder mein’twegen beim Styx
Ich bleib’ hartnäckig und nehme nix!
Doch wollen auch Sie hartnäckig bleiben
Dann mögen Sie’s gern zu Gute schreiben
Der Dotation für Benedix.
Sein Andenken darf nicht ersterben,
Wir ehren ihn treu in seinen Erben.

Holtei.

Der größere Dilettanten-Verein Victoria in Frankfurt am Main bereitet ebenfalls eine Benefiz-Vorstellung zu Gunsten der Benedix-Dotation für den 22. November vor.

Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: größeten
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_738.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)