Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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ob bei den Ochsen noch Alles in Ordnung sei, als gerade der
Wärter Brauer mit seinem Maulthierfuhrwerk von Weitem
sichtbar wurde, um seinen Pflegebefohlenen das Frühfutter zu
bringen. Von Gehege zu Gehege hielt der Wagen, und mittelst
eines Schubkarrens ward den Insassen ihr Futter je nach Befinden
in den Stall oder sonst wohin geschüttet. Die Thiere
merken das natürlich längst vorher an den nahenden Tönen,
und wie die Kraniche im Amsterdamer Thiergarten den Ton der
Holzschuhe ihres Wärters ganz genau kennen und beachten,
alle übrigen Holzschuhe aber verächtlich ignoriren, so lernen auch
andere Thiere solche Töne sehr bald unterscheiden.
So stand denn auch unser schwarzer Jack schon bereit zum Frühstück, und harrte mit seinem Harem seines Pflegers, bis dieser erschien. Ich weiß nicht, wie es kam, mochte er dabei zu zudringlich gewesen sein und das Bischen Bildung, das einem Ochsen zuzutrauen ist, vollends bei Seite gesetzt haben, genug, plötzlich hörte ich Brauer’s kurzstielige, aber im Uebrigen um so gediegenere Peitsche sausen und des Jacks Fell bearbeiten. Dieser wandte sich sofort zur Flucht und hier sah ich ihn, der sonst immer nur im langsamen Schritt wandelte, nun einmal im schnellen Lauf, aber doch nur im Trab. Der Wärter war offenbar bestrebt, dem Thier seinen Standpunkt ein für allemal klar zu machen, und folgte dem Jack mit geschwungener Peitsche. Wie prächtig schallte da dieses zoologische Knallen durch die morgendliche Stille des Gartens! Es war ein Ton, so voll und kräftig, und nur der Ochse schien keinen Sinn dafür zu haben, denn plötzlich, als er eben wieder einen Hieb erhalten, drehte er sich um, senkte den Kopf mit den gewaltigen Hörnern und ging ohne alle Kriegserklärung auf den Wärter los. Mit großer Geistesgegenwart wandte dieser dem erzürnten Jack sofort seinen Rücken zu und retirirte mit großen Sprüngen nach dem Stall und hinter das an den Seiten desselben angebrachte Geländer, über dessen Zweck ich jetzt sofort klar war. Der Ochs folgte zwar und rannte mit Wucht gegen die Balken des Geländers, aber diese widerstanden, und damit war auch das Thier befriedigt, kehrte ruhig um, und als der Wärter nach einigen Minuten seinen Schutzort verließ, ließ er denselben ruhig seinen Geschäften weiter nachgehen. Also von Nachtragen keine Spur, was gewiß sehr für den Charakter dieses Ochsen spricht und ihn nicht blos seiner Schönheit wegen achtungswerth macht.
Ueber die eigenthümlich schöne Erscheinung, die dieser Jack bietet, braucht kaum Etwas gesagt zu werden, da sie in dem Bilde wohl genügend dargestellt ist. Früher waren die langen, lockigen, glänzenden Haare noch nicht ganz so entwickelt, so daß man damals noch die Hufe erblicken konnte, jetzt aber ist dies bei dem ruhig stehenden Thiere nicht mehr möglich, und die Vergleichung desselben mit dem Berliner Armenleichenwagen muß man als ganz zutreffend finden, wenn man dieses Gefährt mit seinem über die Räder herabhängenden schwarzen Tuch nur einmal gesehen hat.
Einer eigenthümlichen Angewohnheit hatte sich das Thier im vergangenen Sommer hingegeben: fast jeden Tag um die Mittagszeit konnte man dasselbe in seinem Gehege ganz vorn am Wege, gleich einem Hunde, auf dem Hintertheil sitzen sehen. Stundenlang saß der Jack so da, mit großer Seelenruhe das Necken des Publicums ertragend, und nur, wenn es manchmal zu arg wurde, stand er auf, um sich aber nach Entfernung des Störenfrieds gleich wieder hinzusetzen. Er saß dabei nicht ganz gleichmäßig, wie die katzenartigen Thiere, sondern etwas auf der Seite des Hintertheiles, wie man diese Stellung oft bei Hunden sieht.
Wer sich naturwissenschaftlich über den Jack unterrichten will, muß bescheiden sein; denn wie bei den meisten innerasiatischen Thieren ist die Kenntniß auch des Jacks, das heißt seines Freilebens, eine noch sehr geringe. Seine Aufenthaltsorte, die höchsten Gegenden des Himalayagebirges, sind so unzugänglich, daß er bis jetzt nur sehr wenig beobachtet worden ist, so wünschenswerth dies auch in Bezug auf ihn und andere größere Thiere seiner Verwandtschaft ist. Denn die Wildnisse Indiens bergen noch andere gewaltige Ochsenarten, die kaum durch ausgestopfte Bälge bekannt sind. Als ich einst den Thierhändler Jamrach, denselben, dessen anziehende Schilderung des Tigerfanges den Lesern der „Gartenlaube“ noch in der Erinnerung sein wird, anzuregen suchte, doch womöglich auch solche seltene Ochsen nach Europa zu bringen, erwiderte er mir: „Ich bringe Alles herüber, was bestellt wird, aber bei solchen Kosten, wie sie mit dem Fang und Transport so großer Thiere verknüpft sind, muß ich vorher wissen, daß ich Abnehmer dafür habe; ich habe schon ganz seltene Thiere, sogar neue Arten, herüber gebracht, bin sie aber Monate lang nicht los geworden und war zuletzt froh, als sie todt waren!“ Herr Jamrach scheint damals seine Thiere dem Berliner Garten nicht angeboten zu haben, oder es ist noch die Zeit des dortigen Gartenelends gewesen. L.
Noch stolzer als auf seinen todten Jean Paul ist gegenwärtig
Bayreuth auf seinen lebendigen Richard Wagner. Es erblickt in
ihm die Gewähr einer glänzenden Zukunft, erwartet von ihm
gewaltige Thaten, welche mit einem bunten, festlichen Getümmel
froher Gäste von nah und fern die stille, dem Weltverkehr entrückte
Stadt erfüllen sollen. Für diese hat, was er in ihrer Mitte
in’s Werk zu setzen gedenkt nicht nur künstlerische sondern auch
erhebliche materielle Bedeutung. Welche einflußreiche Rolle der
Dichterkomponist unter seinen getreuen Bayreuthern spielt, daß
er ihnen der licht- und wärmespendende Mittelpunk ist, es macht
sich dem Fremden gleich in den ersten Stunden bemerklich. An
den Schaufenstern begegnet man auf Schritt und Tritt seinem
Bilde, überall seinem Namen in den Spalten der Localpresse.
Jedes Kind weiß zu erzählen, daß er einstweilen draußen in der
Fantasie wohnt, bis das eigene mit dem Gelde seines freigebigen
Königs zu errichtende Haus für ihn bereit sein wird. Noch bei
einem anderen Bau ist er der oberste Leiter und Werkmeister.
Auf städtischem Grund und Boden soll sich nach seiner Angabe
ein neues Theater erheben, mit dem es eine ganz besondere Bewandtniß
hat. Von allen übrigen Bühnen unterscheidet sich dieser
Kunsttempel sowohl durch die Art seiner Entstehung wie durch
die äußere Anlage und innere Einrichtung, endlich nicht minder
durch seine Bestimmung. Zunächst über die letztere einige Worte.
Wagner beabsichtigt bekanntlich das von ihm erst in zahlreichen ästhetischen Abhandlungen umschriebene, später praktisch in Angriff genommene Kunstwerk der Zukunft mit seinem „Ring der Nibelungen“ zu krönen. Dieses Festspiel hat den Umfang von vier gewöhnlichen Opern, es besteht nämlich aus ebenso vielen äußerlich getrennten, aber innerlich eng zusammenhängenden Stücken. Zwei darunter, das „Rheingold“ und die „Walküre“, sind schon in München zur Aufführung gelangt; von dem dritten, „Siegfried“, liegt die Partitur vor; das letzte, „Götterdämmerung“, geht seiner Vollendung noch entgegen. Das ganze Werk ist aber darauf berechnet, an vier einander unmittelbar folgenden Tagen zur Darstellung zu gelangen, und da unsere Theater zu einem solchen Unternehmen sich schwerlich entschließen würden, mußte sein Autor bedacht sein, sich selbst den geeigneten Schauplatz herzurichten. Und nicht blos durch seine Ausdehnung, auch durch den befremdlichen Inhalt entzieht sich dies Festspiel der herkömmlichen Bühnenpraxis. Im Gegensatz zu allen bisherigen Bearbeitungen des schon wiederholt von unseren dramatischen Dichtern und Componisten benutzten Nibelungenstoffes schließt es sich nicht dem deutschen Epos, sondern der ältesten, in der Edda aufbewahrten Gestalt der Sage an. Durch kein sittliches Motiv ist hier die Wildheit der Charaktere gebändigt. Zügellos schalten und walten sie gleich den blinden Naturkräften, deren symbolische Verkörperung sie ja auch nur sind. Richtung und Verlauf unserer Bildung haben uns allen Ueberlieferungen aus der heidnischen Vorzeit unseres Volkes so völlig entrückt, daß wir in ihnen nimmermehr Fleisch von unserem Fleisch und Geist von unserem Geist zu erkennen vermögen.
Die Götter der Walhalla sind uns seelenlose Masken, spukhafte Gesellen; scheu und betroffen weicht vor ihnen unsere Empfindung zurück. Zwischen der Welt, in der sie heimisch gewesen, und der unsrigen hat das Christenthum eine unausfüllbare Kluft aufgerissen. Wie sich auch die Einzelnen zu dem dogmatischen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_059.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)