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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Grashalmen, theils durch die Erleuchtung der ganzen Oberfläche derselben. Wäre nämlich die Sonne (oder der Mond) ein einziger leuchtender Punkt, so würde genau der Thautropfen, welcher mit der Sonne und des Beobachters Auge in gerader Linie liegt, sowohl von seiner vorderen äußeren wie hinteren inneren Spiegelfläche, den Lichtstrahl in sein Auge zurückwerfen, wenn nicht grade auf diese Stelle sein Schatten fiele. Jeder in anderer Lage befindliche Tropfen könnte ihm nicht beide zurückgeworfene Strahlen zugleich zusenden. Wegen des bedeutenden Durchmessers der Sonne findet jedoch diese Zurückwerfung noch von allen Thautropfen statt, die in der Nähe des Kopfschattens befindlich sind, und nur von den entfernteren nicht mehr. Es ist also gewissermaßen eine im Thau gespiegelte Gegensonne, welche der Beobachter dabei wahrnimmt, weil ihr Umfang größer ist als sein Kopfschatten. Es kommt hinzu, daß ihm nur die Thautropfen, Pflanzentheile und andern Gegenstände, welche im nächsten Umkreise des Kopfschattens befindlich sind, ihre im zerstreuten Lichte glänzenden Flächen vollständig zeigen, während die weiterliegenden ihm auch einen immer größeren Antheil ihrer Schattenflächen mit zuwenden. In senkrechter Richtung über den Kopfschatten hinaus gilt dies namentlich bei den glatten Halmen eines Getreidefeldes für eine etwas weitere Entfernung, und daher die pyramidale Verlängerung über den Kopfschatten hinaus.

Dem einen oder anderen Leser mag hier die Frage kommen, was wohl dieser Lichtschein um den Schatten eines jeden Vagabunden mit demjenigen um den Kopf der Heiligen zu schaffen habe? Es giebt in der That zwischen beiden sehr nahe Beziehungen. Man denke sich in die Lage eines frommen Einsiedlers, Mönchs oder Geistlichen, welcher jene eigenthümliche Erscheinung zufällig an seinem Schatten beobachtet hat. Wird er nicht verlockt sein, diesen Lichtschein seiner eigenen werthen Person zuzuschreiben, und an sich einigen Heiligenschein zu verspüren? Wird er nicht anfangen, die Schatten seiner Gefährten darauf anzusehen, und selbstverständlich an keinem derselben etwas Aehnliches bemerken? In der Naturlehre unerfahren, wird er nicht im Stande sein, sich klarzumachen, aus welchen einfachen Gründen ihm keine andere Stelle des feuchten Rasens so hell entgegenstrahlen kann als diejenige im nächsten Umkreise seines Kopfschattens. Kurz, er gelangt im besten Glauben zu der Ueberzeugung, daß wirklich das Lichtstümpfchen in seiner Schädellaterne helleren Glanz verbreite, als das in jeder andern.

Es sind keine bloßen Vermuthungen, welche wir eben aussprachen. Wir haben das Beispiel eines verständigen, nüchternen, etwas leidenschaftlichen Mannes, welcher wirklich ähnliche Betrachtungen über das Phänomen angestellt und niedergeschrieben hat, Benvenuto Cellini’s nämlich, jenes ausgezeichneten Goldschmieds, Erzgießers und Bildhauers des sechszehnten Jahrhunderts, dessen Arbeiten selbst Michel Angelo unter die besten ihrer Zeit rechnete. Cellini hatte mancherlei, nicht immer unverschuldetes Ungemach zu erdulden. Er verfeindete sich Fürsten und Päpste und saß in Folge solcher Händel im Jahre 1539 eine lange Zeit in der Engelsburg gefangen. Dort durch Kellerluft und Krankheit mürbe gemacht, hatte er allerlei Visionen von Gott, Christus und der heiligen Jungfrau, welche ihm baldige Befreiung verkündeten. Als diese dann auch endlich erfolgt war, hielt er sich für einen Auserwählten und nahm den Lichtschein, welchen er bald darauf, durch Zufall, um den Schatten seines Kopfes wahrnahm, für eine Bestätigung davon.

„Dann darf ich noch eine Sache nicht zurückhalten,“ sagt er hierüber im dritten Buche seiner Selbstbiographie, „welche größer ist, als daß sie einem andern Menschen begegnet wäre, ein Zeichens daß Gott mich losgesprochen und mir seine Geheimnisse selbst offenbart hat. Denn seit der Zeit, daß ich jene himmlischen Gegenstände gesehen, ist mir ein Schein um’s Haupt geblieben, den Jedermann sehen konnte, ob ich ihn gleich nur Wenigen gezeigt habe. Diesen Schein sieht man des Morgens über meinem Schatten, wenn die Sonne aufgeht, und etwa zwei Stunden danach. Am besten sieht man ihn, wenn ein leichter Thau auf dem Grase liegt, ingleichen Abends bei Sonnenuntergang. Ich bemerkte ihn in Frankreich, in Paris, weil die Luft in jenen Gegenden viel reiner von Nebeln ist, so daß man ihn viel ausdrücklicher sah als in Italien, wo die Nebel viel häufiger sind. Dessenungeachtet sah ich den Schein auf alle Weise und kann ihn auch Anderen zeigen, nur nicht so gut wie in jenen Gegenden.“

Mit dem Zeigen mag es nun freilich seine Schwierigkeiten gehabt haben; man wird ihm die fixe Idee, wofür man seine Beobachtung jedenfalls gehalten, zu Gute gerechnet haben; möglicherweise auch kann ein über seine Schultern Hinwegblickender etwas von solchem Heiligenscheine um Cellini’s Haupt wahrgenommen haben, um zugleich die noch besser an seinem eigenen Schatten hervortretende Erscheinung zu übersehen. Es spricht für die geringe Beobachtungsfähigkeit der meisten Menschen, daß sie dieses im Frühjahr und Herbst so häufige Phänomen gar nicht kennen, wie sich andererseits gerade Cellini durch seine Wahrnehmung als scharfsichtiger Beobachter zu erkennen giebt.

Wir erwähnen noch eine andere hierher gehörende Erscheinung, welche eintritt, wenn der Schatten des Beobachters auf Wolken oder Nebel fällt. Es erscheint sodann erstens der Kopf seines Schattenbildes mit einer stark glänzenden Glorie umgeben, welche, völlig der eben erörterten Erscheinung entsprechend, durch doppelte Zurückwerfung des Lichtes von den kleinen Nebelbläschen in der Kopfrichtung entsteht. Diese Glorie aber ist ferner noch von einer Anzahl von Lichtringen umgeben, welche in allen Farben des Regenbogens erglänzen und von denen immer einer den andern einschließt. Die Sonne umgiebt die Silhouette, welche sie auf die Wolkenwand zeichnet, mit dem glänzendsten Rahmen, welcher gedacht werden kann. Bouguer erblickte dieses Phänomen sehr schön im Nebel der Anden, und Scoresby, der berühmte Walfischjäger, beobachtete es auf den dichten Nebeln, welche sich in den Polarländern über der Meeresfläche ausbreiten. Wenn er im Sonnenscheine auf den Mastbaum stieg, so sah er den Schatten seines Kopfes von zwei bis drei solcher Regenbogencirkel umgeben, welche in einzelnen Fällen noch von einem vierten und fünften farblosen Lichtstreifen umkreist waren.

Der schweizerische Naturforscher Coaz hat eine sehr lebhafte Schilderung dieser Erscheinung gegeben, welche er auf dem Piz Curvêr in Graubünden im Lawinennebel beobachtete. „Da unten,“ sagt er, „rauschte und donnerte es fast ununterbrochen; eine Lawine weckte die andere und stürzte mit ihr vereint von den schroffen felsenunterbrochenen Seitenwänden in die Tiefe des Thals, wo sie sich oft vereint in einem breiten gewaltigen Silberstrome zur Ruhe wälzten. So Schlag auf Schlag, so voll Leben, so glänzend war mir noch auf keiner meiner Gebirgsfahrten dieses großartige Schauspiel zu sehen vergönnt gewesen. Noch folgte mein Auge einer der letzten Lawinen, die allmählich in immer größeren Zwischenräumen stürzten, als ich über derselben einen schwachen Nebel sich bilden sah. Auch den Felsen, an denen sich die feucht gewordene Atmosphäre abkühlte, entquollen Nebelhaufen, zogen schleichend einander entgegen und zerflossen in kurzer Zeit in einen wallenden grauen Nebelsee, der die Tiefe des Thales verhüllte. Aus unsichtbaren Quellen genährt, wogte dieser See immer höher herauf und trat endlich als ein dunkler Nebelschleier vor mir empor. In diesem ineinandertreibenden Gewölk bildeten sich, anfänglich schwach und zerfließend, aber immer wieder und immer kräftiger erscheinend, die Farben des Regenbogens. Sie vereinigten sich endlich zu einem brillanten kreisrunden Bande, ein zweites säumte sich in etwas schwächerem Glanze um dasselbe und fand sich bald selbst concentrisch von einem noch leichtern dritten umfangen. Der innerste Ring erschien in einem Durchmesser von ungefähr drei Fuß in einer Entfernung von dreißig bis vierzig Fuß. Entzückt über diese Erscheinung, sprang ich auf, um meine Gefährten herbeizurufen, aber ebenso schnell war ich zur Säule geworden. Denn siehe da, mitten im Regenbogen sprang mit gleicher Hast eine dunkle Gestalt auf und blieb jetzt ebenso erstarrt stehen. Also doch einmal das Brockengespenst in Bündens Gebirgen, rief ich aus“ etc.

Wenn man erwägt, wie leicht das ungebildete Naturkind des Hochgebirges einen solchen scheinumkränzten Schatten nicht für den eigenen anerkennen, sondern im Schrecken glauben wird, die riesige Gestalt eines Alpengeistes vor sich zu sehen, so ermißt man erst völlig die Bedeutung der Worte, welche Lermontoff seinem Dämon in den Mund legt:

Wie oft saß hoch auf Gletschereise
Ich stumm und düster und allein,
Umwölkt von einem Flammenkreise
Gleich einem Regenbogenschein.
Und unter mir die weißverhüllten
Schneestürme gleich Lawinen brüllten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_043.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)