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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Pinsel ausgeführte lyrische Gedichte von einer mächtig hervorquellenden Genialität, die selbst das anscheinend Seltsame, den verwegenen Einfall, harmonisch in das ganze Kunstwerk einzuordnen weiß. Da sind Gemälde von Anselm Feuerbach, wie der „Fischerknabe“, Bilder von süßverlockendem Reiz und magischem Colorit; da sind prachtvolle Copien jener erhabenen Fresken des Michel Angelo, welche in der Sixtinischen Capelle uns zu hoch über den Häuptern schweben, als daß wir uns in das großartig Markige ihrer Darstellung mit dauerndem Genuß versenken könnten.

Unser freundlicher Cicerone aber ist Friedrich von Schack, der meisterhafte Uebersetzer des „Firdusi“, der Verfasser einer trefflichen Geschichte des spanischen Drama’s, ein Literaturkenner wie wenige, ein Kunstfreund und Kunstmäcen, der großen strebenden Talenten die Wege geebnet, einen Genelli der Noth des Lebens entrissen hat, und außerdem ein begabter Dichter.

Mag von unseren lyrischen Poeten Schiller’s Sentenz gelten, daß die Jugend schnell fertig ist mit dem Worte, mag die Mehrzahl derselben ihre Verslein auskriechen lassen, ehe sie flügge geworden sind, und sie, noch mit den Eierschalen behaftet, auf den Jahrmarkt der Literatur schicken – Friedrich von Schack gehört nicht zu diesen schnellfertigen Dichtern. Er hat sich als Literarhistoriker, als Uebersetzer einen Namen gemacht, ehe er seine eigenen Poesien dem verschwiegenen Pult entnahm und der Oeffentlichkeit übergab. Es geht in der That nichts über die Mittheilungslust junger Lyriker, und während Andere ihre Jugendsünden zu verschweigen lieben, plaudern diese sie mit Vorliebe in alle vier Winde aus. Wie ein Liebender den Empfindungen, von denen sein Herz voll ist, Luft zu machen sucht, so auch der junge Poet, und jeder Sterbliche, der ihm in den Weg kommt, wird das Opfer seiner Muse. Mein Freund Wilhelm Jordan, verehrte Frau, war als jugendlicher Dichter einer der gefährlichsten; er wegelagerte sogar, legte raubritterlich auf jeden empfänglichen oder unempfänglichen Schulfreund Beschlag auf offener Straße und schleppte ihn dann auf sein Zimmer, wo er ihn zum Genuß seiner neuesten poetischen Ergüsse verurtheilte. Was ein Dörnchen werden will, krümmt sich bei Zeiten. Jetzt hat Jordan sich für seine „Nibelungen“ diesseits und jenseits des Oceans die größten Auditorien zusammengetrommelt und der Ehren Fülle geerntet.

Wie viel Entsagung gehört also dazu, mit seinen Musenkindern Jahrzehnte lang allein zu bleiben und die ungeduldige Sehnsucht nach dem Licht der Oeffentlichkeit, dieselbe Sehnsucht, die eine nichtgehaltene Landtagsrede für einen ruhmbedürftigen Abgeordneten zu lebenslänglicher Qual macht, siegreich zu überwinden!

Erst im Jahre 1867 öffnete Friedrich von Schack den Käfig, der seine schwungkräftigen und melodischen Lieder gefangen hielt; es erschienen zuerst „Gedichte“, denen dann „Episoden“, poetische Erzählungen, die humoristische Dichtung „Durch alle Wetter“ und neuerdings „Lothar“, ein Gedicht in zehn Gesängen, folgten.

Friedrich von Schack ist kein Poet, der an der Scholle haftet, und auch seine Gedichte haben etwas Reiselustiges und tragen das Gepräge weiter Weltwanderungen. Der Dichter kennt den Süden Europas, Spanien und Italien; er kennt den Orient, Syrien und Aegypten. Daher erfreut uns in seinen Gedichten das lebendige feurige Colorit, das aber nirgends in die gluthrothe Manierirtheit einiger Landschaftsmaler ausartet, ebensowenig eine geistlose Panoramenmalerei durch bestechenden Farbenprunk zu heben sucht. Ueberall ist die Muse Schack’s gedankenreich. Wenn er uns den „Pic von Teneriffa“ mit einigen großartigen Zügen vor die Seele zaubert, so vergleicht er die furchtbaren Mächte der Tiefe mit den grausen Dämonen, die im Menschenherzen schlummern. „Die Jungfrau“ aber, die im Strahle der sinkenden Sonne schimmert, fragt er, ob sie mit Geistern anderer Welten sich Flammenzeichen gebe oder jenseits der Erde ungeahnte Geheimnisse erblicke, daß süßes Erschrecken ihr die Wangen röthet. Schöne Landschaftsbilder im classischen Stile eines Poussin und Claude Lorrain bilden die Gedichte „Der Tempel von Aegina“, „La Cava“, „Im Theater des Dionysos“, orientalische Reisebilder die Gedichte „Jaffa“, „Auf dem Nil“ etc.

Wen hat nicht einmal eine Sehnsucht nach dem schönen Spanien angewandelt, besonders nach jenen Zauberlandschaften, wo die höchsten Bergriesen der Nevada herabsehen auf die Fluren, die der Xenil durchströmt, und auf das Zauberschloß der Mauren, die vielbesungene Alhambra? Friedrich von Schack ist heimisch in diesem Lande; er ist der genaueste Kenner des spanischen Theaters, dem er ein mehrbändiges Werk gewidmet hat; er hat die Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sicilien in einem sinnreichen Werke geschildert; natürlich fehlt auch seine Muse nicht, wo es gilt, diese von geschichtlichen Erinnerungen verklärte Pracht der Landschaft zu besingen, und wie Ludwig Tieck die mondbeglänzte Zaubernacht des deutschen Mittelalters heraufbeschwört, so beschwört Schack in den „Liedern aus Granada“ die Zaubernacht der spanisch-maurischen Vorzeit herbei und versenkt sich in die sieben Himmel des Propheten:

Nun noch einmal, Nacht der Nächte,
Zauberweib vom Morgenlande,
Zeig’ noch einmal dich als echte
Sultanin im Prachtgewande!

Einmal noch im Purpurflore,
Der um Thal und Hügel walle,
Zieh’ hinein durch diese Thore
Zu der alten Königshalle!

Feur’ge Meteore lasse
Durch die Himmelswölbung schießen
Und auf Garten und Terrasse
Rothe Flammen niedergießen!

Bunte Wunderlampen hänge,
Wie sie Aladdin besessen,
In die Lauben, in die Gänge,
An die Zweige der Zypressen!

Wirf empor die Silberwellen
Aus den Alabasterschalen,
Daß sie hell wie Naphthaquellen
Durch der Gärten Dämm’rung strahlen!

Auf den flüssigen Krystallen,
Wie sie kriechend sich verschlingen,
Wie sie steigen, wie sie fallen,
Mag ein Lied des Ostens klingen.

Sie kennen diese Lieder des Ostens; wir haben sie leider zur Genüge gehört und es ist wahrhaft trostreich, daß ein Dichter wie Schack, der uns die „Stimmen vom Ganges“ zugeeignet hat, der so innig mit dem Geiste des Orients vertraut ist, es stets verschmähte, sich in das westöstliche Costüm jener Strophenbildungen zu hüllen, welches eine Zeitlang auf unserem Parnaß Mode war, Dank dem Vorbilde der beiden formgewaltigen Dichter Rückert und Platen! Welche westöstliche Formbewältigungen haben Sie in nächster Nähe schaudernd erlebt! Da ist Ihr Nachbar, der gräfliche Sänger im Schlosse am Meere, den bisweilen der heilige Bardenwahnsinn an das Gestade der hochaufrauschenden baltischen See führt. Hier schlägt er zwar nicht die Harfe, da dies nicht mehr zeitgemäß ist; aber er zieht die Brieftasche und den Bleistift heraus und notirt sich die unsterblichen Gedanken, welche der Gischt der heiligen Meerfluth ihm in’s Gehirn spritzt. Und diese Brieftasche, die er wie einen meuchlerischen Dolch stets „im Gewande“ trägt, zieht er dann bei jeder Begegnung heraus und setzt uns seine lebensgefährlichen Gedichte auf die Brust. Früher waren es nur abendländische Knüttelverse, welche an eine Fahrt auf den Knüppeldämmen seines Guts erinnerten, da er sich trotz aller landräthlichen Mahnungen wenig mit Wegebesserung beschäftigt; seitdem er aber die Bekanntschaft Rückert’s und Platen’s gemacht hat, dichtet er Makamen, jene Knüttelverse des Morgenlandes, die bei ihm mit ihren Schlag- und Klappreimen wie mit Fliegenklatschen jeden verständigen Zusammenhang todtschlagen. Und gar die Ghasalen! Der kleine Schulrath in X. fabricirt in seinen Mußestunden solchen unchristlichen Klingklang! Sie wissen, wie der wohlbeleibte, aber galante Herr sich bei den jungen Grazien Ihres Nachbarschlosses beliebt zu machen sucht, indem er an ihrem Federballspiel thätigen Antheil nimmt! Wenn er dabei athemlos in den verschiedensten ungraziösen Stellungen, vorstürzend und zurückstolpernd, denselben Ball immer wieder aufzufangen und zurückzuschlagen sucht – dann ahnt er gewiß nicht, daß man dabei an seine Ghasalendichtungen denken muß, wo er auch immer einen und denselben Reim über die holperigsten Verszeilen hinweg, unter den unschönsten Verrenkungen der Wortstellung, auffängt und zurückschlägt!

Und wie unseren guten Freunden, die ihre Poesie leider! durch den Druck einer ruhmlosen Vergessenheit anheimgegeben haben, so ergeht es auch vielen namhaften Dichtern, die sich auf einmal den Turban aufsetzen und die „Schönen“ nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_857.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)