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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

in meine Familienverhältnisse zurückzukehren, denn das ist ja der Boden, dem ich entsprossen, dem ich angehöre mit allen Fasern meiner innersten Natur; ich bin sofort wieder in ihm eingewurzelt und werde ihn nur verlassen in dem Augenblicke, wo ich sterbe. Wenn ein Aristokrat diesen Boden betritt, so geschieht es stets unter inneren Opfern – eine gewisse Scheu wird ihm immer anhangen, wenn ihn das Beengende berührt; das mit der Muttermilch empfangene und durch die Erziehung befestigte Vorurtheil läßt sich wohl verleugnen, nie aber ertödten – ich habe die Erfahrung unzählige Male gemacht. Wenn ich mir denke, Sie könnten später auch nur einmal mit Mißbehagen an die Stunde zurückdenken, die Sie in meinem Familienkreise verlebt, so dreht sich mir das Herz um. Das ist die Stelle, wo ich verwundbar bin, das ist mein Stolz, das ist das Gefühl, welches meine Felicitas beseelt, in dieser Beziehung ist der genannte Charakter identisch mit meiner eigenen Seele.“

„Ich begreife eigentlich nicht, weshalb Sie eine persönliche Zusammenkunft so consequent verlangen. Hat nicht ein Briefwechsel, wie wir ihn angefangen, tausendfachen Reiz? Ich lasse Sie in meiner Seele lesen, wie es vor Ihnen Niemand gedurft hat – und auch Sie sagen, daß Sie vollkommen wahrhaftig mir gegenüber sind –, nun wohl, bedarf es zu diesem geistigen Austausch der vier irdischen Augen, die sich gegenseitig anblicken? Ist es nicht ein köstliches Gefühl, zu wissen, daß draußen in der weiten Welt ein Mensch lebt, dem ich durch ein starkes geistiges Band gewissermaßen angehöre, und sind dazu die zwei Hände nöthig, die sich in Wirklichkeit berühren?. … Und nun noch Eins. Es kommen Viele, sehr Viele aus aller Herren Ländern, die meine kleine Person kennen lernen wollen – sie Alle werden zurückgewiesen, weil ich so zu sagen mit der äußeren Welt abgeschlossen habe – würde es nicht eine Ungerechtigkeit und Inconsequenz sein, wollte ich Ihnen allein gestatten, mich zu besuchen? Nach Allem, was ich Ihnen hier erschöpfend auseinandergesetzt habe, sage ich schließlich – lediglich um die Beschuldigung der Grausamkeit meinerseits zurückzuweisen –, ich lege Ihnen nichts in den Weg, wenn Sie nach Arnstadt kommen wollen; aber ich gebe Ihnen wiederholt zu bedenken, daß Sie damit eine Lebensfreude, die uns Beiden gehört, muthwillig auf’s Spiel setzen. Und nun – ich habe es freilich nicht verdient – bitte ich um möglichst rasche Antwort. Ich ängstige mich sehr um Ihren leidenden Zustand. Lassen Sie Gnade für Recht ergehen und beruhigen Sie mich durch einige Zeilen.“

Der Brief Pückler’s, welcher zu dieser Antwort geführt, war gewiß schon ein Product hochgespannter Erregtheit und die liebreich tröstende Antwort hatte ihn beruhigt. Trotzdem erfolgte einige Wochen später von Wildungen ein viel stärkerer Ausbruch verzweifelten Schmerzes. Schwach sei er nach seiner Ankunft sogleich zur Post geeilt und habe dort drei Briefe von Damen vorgefunden, aber keine von der Thüringer Freundin – er nennt sie in seinen wechselnden Anreden bald „Geliebte Freundin“, bald „Liebe Eugenie“, bald „Verehrte Dichterin“, auch einmal „Räthselhafte Herrin“. „Ich bin hierher gesandt worden, um gesund zu werden, aber dies kann nicht gelingen, wenn Sie mein Herz so tief bekümmern. Von Ihnen, das fühle ich, hängt meine Genesung ab. Tag und Nacht schweben Sie und Ihre Schöpfungen meiner Einbildungskraft vor. Thun Sie nun, was Ihnen gut dünkt“ etc. Die Antwort Marlitt’s ist wiederum, besonders durch einen Anflug schalkhafter und feiner Ironisirung interessant. „Was hat mir,“ so beginnt sie, „mein Correspondent für einen Brief geschickt! Wahrhaftig, ein Actenstück des Rechtsverfahrens aus den Zeiten der heiligen Vehme oder der französischen Revolution kann sich an lakonischer Kürze damit nicht messen. Sie wollen nur nicht mehr schreiben – und ich habe darauf zu erwidern, daß ich Ihnen dies ganz und gar nicht verdenke, da unser Briefwechsel zu einer Quelle des Aergers und der Aufregung für Sie geworden. Ehe wir jedoch zu dem feierlichen Acte des Schlusses unserer Correspondenz schreiten, müssen Sie mir noch gestatten, einen Ihrer Vorwürfe zu entkräften. Mein Herz stammt nicht aus der Periode der Steinzeit, auf einen solch antediluvianischen Standpunkt sollte der feine galante Semilasso eine Dame denn doch nicht stellen – eher vielleicht, wenn einmal der Vergleich aufrecht erhalten werden soll, fällt seine Entstehung in die Bronzezeit, wo man bereits die Metalle zu schmelzen und ineinander zu mischen verstand. Herz und Verstand sollten nie neben einander gehen: der Menschenseele bleiben in dem Falle nur zwei Arten der Entwickelung, die der Härte und Schroffheit oder der Charakterlosigkeit. Mischt man jedoch die zwei Elemente, so entsteht ein schönes Gleichgewicht; das Herz schlägt ruhig unter dem Einfluß des Verstandes und die zersetzende Schärfe und Härte des letzteren mildert sich am warmen Herzschlag. Ich hätte von Herzen gern ein Brieflein nach Wildungen geschickt, allein der vernünftige Gedanke, daß Ihre Aerzte eine so lebhafte Correspondenz unmöglich in das Badeprogramm aufgenommen haben können, hielt mich zurück. Dies zu meiner Vertheidigung! Und nun mache ich Ihnen einen Vorwurf, und zwar den der Undankbarkeit. Sie sagen selbst, daß Sie drei Briefe von Damen auf der Post vorgefunden – ist das nicht genug? Mußte ich denn durchaus als Nr. 4 dabei sein? Nun, die Nichte, die Italienerin und die Dritte können sich gratuliren, daß die Thüringerin dieses Mal die Säumige war; über ihrem Haupte hat sich das Gewitter entladen, das möglicher Weise drohend über den Häuptern Aller geschwebt hat.“

Bemerkenswerth sind auch noch die zwei folgenden Stellen in einem Briefe Marlitt’s: „Sie werfen mir Stolz und Gefühllosigkeit vor. Stolz bin ich, das ist wahr; allein von diesem ‚schlimmen Fehler‘ werde ich nicht lassen, denn er ist mein Hort, mein Schild in den verschiedensten Lebenslagen gewesen, und wenn er in diesem Kampfe verletzende Härten angenommen hat, die einen gerühmten Glanzpunkt der Weiblichkeit, ‚die Hingebung‘, schmälern, so kann ich das nicht ändern, und, aufrichtig gestanden, ich habe auch keine Lust dazu. Aber gefühllos bin ich nicht – mit dieser Beschuldigung haben Sie mich tief verletzt.“ „Ich soll Ihnen Specielles über mich und meine Häuslichkeit sagen – zu diesem kleinen Familienbilde genügen wenige Striche. Ich lebe mit meinem guten, alten Papa, meinem Bruder – einem geistreichen Manne – meiner jungen, sehr begabten Schwägerin, die vermöge ihres Scharfblicks mich und meine innere Welt wohl besser kennt als ich selbst, in ungetrübter Harmonie und in einem Hause; ein kleiner siebenjähriger Knabe, das einzige Kind meines Bruders und mein Abgott, schließt den engen Kreis. Meine Familie trägt mich auf den Händen und bestärkt mich somit in meinem Einspinnungssystem – ich bedarf des Umgangs mit Menschen außerhalb meiner vier Wände niemals. Die Lieben, mit denen ich zusammenlebe, könnten mir vielleicht auch bezeugen, daß ich nicht gefühllos bin. Arnstadt, meine weitere Umgebung, ist eine Kleinstadt, so ziemlich nach jeder Richtung hin; aber für mein Herz hat es den Vorzug, meine Vaterstadt zu sein. Diese kleinbürgerlichen Verhältnisse sind eng verknüpft mit meinen Erinnerungen aus der Kindheit, wenn sich auch mein Geist völlig losgelöst hat von dem Boden der Geselligkeit!“

Hiermit seien unsere Mittheilungen geschlossen. Schon am 1. November 1868 klingt die so lebhaft geführte Correspondenz nach kaum zehnmonatlicher Dauer in einigen sanften Schwingungen aus. Wahrscheinlich ist sie durch die steigende Krankheit und Körperschwäche des Fürsten unterbrochen worden, durch das allmähliche Erlahmen seines riesigen Widerstandes gegen die Machtgebote der sinkenden Lebenskraft. Bedenken wir noch einmal, daß die Briefe unserer Dichterin ohne den leisesten Gedanken an eine spätere Veröffentlichung gewechselt wurden, so erschließen sie unserem Blicke ein in rührenden Gegensätzen sich bewegendes Bild voll anmuthigen Zaubers, einen hellen Streifen freundlichen Sonnenglanzes, der sich mild und erwärmend durch das frostige Abenddunkel eines schwindenden Lebens schlang. Einem Manne, der viel genossen und viel Außerordentliches erlebt, der mit Recht von sich selber sagte, daß er einst auch viel gesündigt habe, sehen wir das seltene Glück beschieden, daß alles Bedürfen seiner besseren Natur, Alles, was rein, echt, gut und edel in ihm war, sich noch dicht am Rande seines Grabes mit dem jungfräulichen Hauche einer harmonisch und rein gestimmten Seele in idealem Verkehr berühren durfte. Wie Manches in den Briefen des greisen Fürsten auch wunderlich erscheinen mag, es tritt uns in der gesammten Correspondenz nicht ein einziger Zug entgegen, der als klein oder gewöhnlich selbst den sprödesten Zartsinn verletzen könnte. Der Briefwechsel zwischen der demokratisch gesinnten Bürgertochter und dem hinsterbenden Fürsten stellt vielmehr dem Geiste und der Denkungsart unseres neugeborenen Zeitalters ein gar schönes und ehrenvolles Zeugniß aus.

A. Fr.




Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 845. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_845.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)