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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Blätter und Blüthen.


In Straßburg vor zwei Jahren – und jetzt! (Mit Abbildung S. 777.) In einer Straßburger „Brasserie“-Kneipe wurde meine schönste Elsaß-Begeisterung zum ersten Mal mit Eiswasser begossen.

Wenigen unserer Leser wird es anders ergangen sein, als uns alten Patrioten. Elsaß und Lothringen blieben uns Trauerstellen auf den Landkarten und in der Geschichte, und wem sich beim Namen „Straßburg“ nicht die Faust ballte, der hatte keinen Funken Gefühl für des Vaterlandes Ehre. Beim Anblick des Straßburger Münsters mußte Jedem ein Stich in’s Herz fahren, der ein richtiger Deutscher sein wollte. Man umarmte im Geist noch immer die Bewohner von Elsaß-Lothringen als deutsche Brüder und dachte nicht daran, daß diese Liebe eine einseitige sei. Die Elsässer Dichter hatten allerdings durch manchen poetischen Seufzer ihre Liebe und Sorge für die deutsche Sprache und Art ihrer Heimath verrathen, aber was fragten darnach der Bürger und der Bauer, die sich bei Frankreich wohl befanden und mit Stolz seine Ehren theilten? Selbst nach der harten Belagerung von Straßburg glaubte noch die deutsche Liebe wenigstens an eine elsässische Gegenliebe. Aber man erlebte da Enttäuschungen, wie ich.

Es war noch in den schönen Octobertagen 1870, als mich die Eisenbahn von Weißenburg hinab gen Straßburg brachte. Wie jubelte ich auf beim Anblick von Erwin’s Riesensäule! Und vor den furchtbaren Trümmern der Zerstörung konnte ich die Thränen nicht zurückhalten. Aber kaum aus dem Bahnhof, galt es mir vor allem zu erkunden: wie ist das Volk, wie sieht es aus, wie beträgt es sich? Das Mannsvolk giebt sich überall am ehrlichsten im Wirthshaus. So fragte ich denn ein dahinschreitendes Dienstmädchen nach einem guten Bier; es wies mir mit dem Finger genau die Richtung an, indem es gar freundlich sagte: „Dort isch e Brasserie, da hat’s au en Schank.“

Dankbar diesem Winke folgend und schon erfreut, daß das Mädchen so freundlich deutsch gesprochen, langte ich richtig am gewünschten Orte an. Es war ein Hof der Brauerei. Eine Seite desselben nahm eine aus Brettern gebaute Halle ein, und hier wie unter einigen Bäumen im Hofe standen Tische und Bänke einfachster Art. Nur die Zahlkellnerin hatte ihren erhabeneren Standort mit einigem Schmuck versehen.

An den meisten Tischen saßen Blousenmänner, Leute aus dem Arbeiterstande, mit Mützen und auch noch mit Käppis bedeckt, die Cigarre oder die kurze Thonpfeife im Munde und, so weit es die Natur hergab, mit dem Napoleonischen Schnurr- und Kinnbarte. An einem Tische unter der Halle saß ein behäbiger Landmann mit seiner Frau und einem jungen Burschen, der sich faul auf Tisch und Bank lehnte. Dort nahm auch ich mit einem „Guten Tag!“ grüßend Platz.

Die Leutchen setzten ihre Unterhaltung fort, ohne mich besonders zu beachten. Meine Aufmerksamkeit nahm der nächste Tisch voll Arbeiter in Anspruch. Dort war ein kleines Sprachbabylon: Elsässisch und Französisch kreuzten sich und flossen seltsamer Weise abwechselnd von denselben Zungen. Einige pflegten französisch zu beginnen und gingen im steigenden Feuer in das heimische Idiom über; Andere begannen deutsch und fluchten dann französisch weiter. Wie ich aus einzelnen Phrasen errieth, erzählten sie sich Belagerungsgeschichten, die von deutscher Liebe himmelweit entfernt waren.

Da öffnete mein dicker Nachbar den Mund seines stockdeutschen Antlitzes und sprach, auch theilweise an mich gewendet:

„Wüeßte m’r nurr eamol, wo m’r dran sinn! Wenn Paris Meischter wurrd, ze wurrd au Frankreich Meischter, un’s blybt bym Alte. Verliert Paris, ze – n – isch All’s verlore.“

Eben wollte ich dem Manne mit meiner „deutschen Liebe“ belehrend erwidern, als man Truppen nahen hörte. Die Frau sprach, ihren Mann anstoßend:

„Still! Was höert m’r? Trapptrapp! ’s komme Preuße – n – angeruckt. M’r kennt sie glich am Uftrette.“

Der Bursche entgegnete: „Nit gerothe! ’s sinn Baire. Die mache g’rad so e Spectakel uffm Pflaster wie d’ Preuße. Was die vor massivi G’sichter han! Gehen zuem Schinder!“ Und nach einem Blicke zur Straße hinaus setzte er, zum Manne gewendet, hinzu: „Betraechte Sie emool die Kanone dort! Die kumme von der Ysebahn.“

Der Landmann aber fuhr da auf: „Das sinn ja gar Mitralljehs! Die gehn also au widder flete! ’s isch doch üewweraal nix als Verrooth und Alles mit Lumpe gefüetert. Hann widder emool unsre Saldate Alles in Stich g’loße! Die arme Kerl sinn verroothe – u – un verkauft! ’s nidderträächti un schändli!“

O weh, Patriotismus! Solche Worte aus dem deutschesten Mannesantlitz! Aber es kam noch besser. Am Arbeitstische vor uns hatte die Gesellschaft mit wilden Blicken den Soldatenzug mit den Mitrailleusen beobachtet, das Fluchen über die „hellblaue Preuße“ war elsässisch und französisch im besten Zuge, als ein Mann im mittleren Alter zu ihnen trat, desses wohlconservirter Hut wenigstens ihn unter die „Herren“ rangirte. Er kam cordial mit seinem Bierglase in der Hand heran und ließ gleich in den ersten Worten den in Paris gebildeten Franzosen merken. Seine „rrr“ donnerten so gewaltig in die Ohren seiner Hörer, daß die Wirkung seiner Rede sich in immer wilderen Blicken und Ausrufen kund that. Athemlos hingen sie an seinem Munde und hämmerten bald ihren Beifall mit Fäusten auf den Tisch, bald machten ihn Schimpfworte und Flüche laut, zu denen dem französischen Herrn gegenüber kein deutsches Wort mehr gebraucht wurde. Trotz meiner steigenden Empörung hatte der Auftritt auch seine komische Seite, die mich festhielt. Der Franzose hatte keinen geringen Theil seiner Begeisterung aus dem Fasse gezogen, er taumelte immer sichtlicher und nahm das Glas bald in die Rechte, gesticulirte mit der Linken und schob schließlich den glänzenden Castor auf’s linke Ohr, bis nach einigem Taumeln und Tänzeln Glas und Hand sich im Geschäft ablösten und der Hut wieder hart über dem rechten Ohr thronte. Da der Begeisterte mit dem Rücken gegen uns stand und häufig fast leise, wie in äußerster Vertraulichkeit sprach, und nur einzelne Phrasen laut donnerte, wie „citoyen frrrançais“„citoyen de Strasbourg“„grrrande nation“ – fast schrie, so blieb der Inhalt seiner ganzen Rede mir ein Geheimniß. Desto lauter drangen mir die Ausrufe seiner Zuhörer in die Ohren. Das zischte und sprudelte bald – „Les maudits Prussiens“„que le diable les emporte!“„Voleurs de pendules!“ etc. Es hatte eben nur noch gefehlt, daß der Alte mit gekrümmtem Daumen nach der Gesellschaft hinzeigte und auch mich mit einem Seitenblicke traf, welcher ungefähr sagte: „Wem Das nicht genug ist, der kann viel vertragen!“ – Das war nun auch geschehen, ich nickte für die gute Meinung dem Bauer einen Gruß zu, ließ mein Bier stehen und eilte aus dieser „Brasserie“ hinaus.

Das ist nun zwei Jahre her. Und jetzt? Die Rekruten im deutschen Reichslande sind in diesen Tagen schon mit derselben hellen Jugendlust zu ihren Sammelstellen gezogen, als ob es niemals einen elsässischen Haß gegen Deutschland gegeben hätte. Und so haben wir es denn abermals erlebt, daß die Völkerherzen selbst von der äußersten List und Gewalt nicht zu verderben sind und daß allezeit die Liebe stärker ist, als der Haß.




Ein amerikanisches Heldenmädchen. Während einer Dampferfahrt auf dem oberen Columbia, welche ich vor einigen Tagen nach dem im Territorium Washington gelegenen, zweihundertvierunddreißig englische Meilen von der Stadt Portland entfernten kleinen Landungsplatze Wallula machte, war ich Zeuge eines Ereignisses, dessen Schilderung für den großen Leserkreis der Gartenlaube gewiß von Interesse sein wird. Die Gegend, in welcher dasselbe spielte, liegt in einer wildromantischen Einöde, etwa fünfzig Meilen oberhalb Dalles City, meinem Wohnorte im ersten Lustrum der sechziger Jahre. –

Ich befand mich an Bord des Hinterraddampfers „Tenino“ (sprich: Tenaino), welcher, mit Aufwendung aller seiner Dampfkraft mühsam gegen die reißenden Fluthen ankämpfend, seinen Weg von den „Dallesfällen“ stromaufwärts nahm. Wie verwitterte Riesenmauern ziehen sich dort die Felsabhänge auf beiden Ufern viele Meilen weit hin, von grau-gelben, kahlen Bergen überragt. Weder Waldungen, noch Ansiedelungen oder bebaute Felder unterbrechen die Oede dieser Berg- und Felsenwüste; von Menschenwohnungen sieht das Auge nur hier und da ein indianisches Wigwam; schwarze basaltartige Klippen stehen oft im Strombett, zwischen denen die grünlichen mächtig hinwirbelnden Fluthen der Stromschnellen, gegen welche der Dampfer anarbeitet, reißend hinbrausen; am unteren Ende jener viele Meilen langen wüsten Felsenreihe des Columbia ragte die kolossale Schneepyramide des Mount Hood grandios in den blauen Aether; das Ganze ist ein urwildes Bild, in dem unser schnaubendes und in allen seinen Fugen erzitterndes Feuerschiff, aus dessen hohem qualmenden Schornstein die halberloschenen Holzkohlenfunken fast fortwährend wie ein Platzregen auf das obere Verdeck herabfielen, das einzige Merkmal der Civilisation bildete.

Eine recht gemischte Reisegesellschaft fand ich an Bord: Herren und Damen in modischen Stadtkleidern und im Hinterwäldlercostüm durcheinander, Kaufleute, Miner, Packthiertreiber und Andere, deren gesellschaftlicher Standpunkt schwer zu errathen sein möchte; auch eine ansehnliche Schaar von Chinesen war auf dem Schiff und Negeraufwärter hatten das Regiment bei Tafel und in der Kajüte. Nicht wenige Deutsche traf ich unter den Passagieren, die sich allmählich zusammenfanden; es war interessant, wie man oft in einem nicht gerade salonmäßig gekleideten Reisegefährten, mit dem man Erinnerungen aus dem Leben in den Minen und Anekdoten austauschte, ganz unerwartet einen Landsmann entdeckte. Die Unterhaltung, welche bis dahin in englischer Sprache geführt worden war, schlug dann plötzlich in gemüthlicheres Deutsch um.

Auf dem überdachten Vorderdecke des Dampfers bildete der Agent von der an den Blauen Bergen in Oregon liegenden Reservation der Umatilla-Indianer den Mittelpunkt eines ausgewählten Kreises von Herren und Damen, denen jener von den wilden Smocholla-Indianern (das heißt Solche, die zwischen vier Bergen wohnen) erzählte, die hier an den Ufern des Columbia ihre Wigwams aufgeschlagen hatten. Dieselben sind ein Gemisch von vielen in Washington und Oregon ansässigen Stimmen, die dem Propheten Quintarleken, dem Bruder des großen Medicinmannes Ohei bei den Walla Wallas, folgen.

Dieser Prophet macht den von der Regierung der Vereinigten Staaten angestellten Indianeragenten gegenwärtig viel zu schaffen und hat bereits eine große Anzahl von Indianern von den Reservationen fortgelockt. Derselbe prophezeit, daß die Erde sich nächstens aufthun und alle Weißen verschlingen werde und daß dann das ganze Land wieder den rothen Männern zugehören solle. Bereits mehr als achtzehnhundert Indianer hat er um sich versammelt, die sich von den Weißen ganz abgesondert halten, von der Jagd, vom Fischfange und von den Beeren der wilden Sträucher leben und sehnsüchtig das Oeffnen der Erde erwarten.

Eine mit uns reisende hübsche junge Amerikanerin, welche die Erzählungen des Agenten vernommen hatte, bemerkte dazu, daß sie sich nicht fürchte, ganz allein unter diese wilden fanatischen Indianer zu gehen, und daß sie sich nicht fürchte, ganz allein unter diese wilden fanatischen Indianer zu gehen, und daß sie sich, um dies zu thun, bei der nächsten zugänglichen Uferstelle an’s Land setzen lassen wollte. Erstaunt fragten wir, was sie zu einem solchen Wagstück bewegen könnte, und erfuhren dann, daß sie ihre Eltern besuchen wollte, welche etwa drei Meilen jenseits jener unwirthlichen Berge auf einer „Ranch“ wohnten, wo sie Rinder weideten. Sie hatte gehört, daß ihre Mutter erkrankt sei, und war ganz allein von der zweihundert Meilen entfernten Stadt Salem im Willamette-Thale hierher gereist, um an ihr Krankenlager zu eilen. Wir Alle an Bord staunten mit einer Art von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_779.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)