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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

vielerlei Verbesserungen erfahren. Wir erwähnten bereits, daß wir in seiner Tonfülle eine bedeutende Veränderung beobachteten, je nachdem es dieser oder jener Richtung zugekehrt ward. Das ist ein Nachtheil, weil der Seemann, der darauf rechnet, in einer gewissen Entfernung durch das Horn gewarnt zu werden, sich gerade in dieser Distanz befinden kann, ohne es zu hören, wenn der Wind stark und die Trompete nicht direct auf ihn gerichtet ist. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat Professor Holmes, durch seine Untersuchungen auf dem Gebiete des elektrischen Lichtes bekannt, ein Horn construirt, welches neunzig Grad weit einen breiten Schallstrahl ausströmt. Indem er nun zwei oder mehrere solcher undrehbarer Instrumente nebeneinander aufstellt, denkt er, den Schall zu gleicher Zeit über jeden verlangten Bogen verbreiten zu können. Auch hat man gefunden, daß unter gewissen Umständen sich die Trompeten viel weiter nach dem Meere hinaus richten lassen, als die Gebäude stehen, welche die Maschinen und Luftpumpen umschließen, und eine fernere von Daboll’s Erfindungen ist es, die Cylinder, die der Trompete vom Condensator die Luft zuführen, nach Art der Telegraphendrähte wirken zu lassen. Da jedoch der Draht allzu sehr dem Zerbrechen ausgesetzt ist und die Kraft, ihn in Bewegung zu setzen, ein gutes Theil von der Kraft der Maschine absorbiren würde, anstatt daß dieselbe völlig den Luftpumpen zu gute käme, so hat der unermüdliche Professor den Plan ausgesonnen, den Luftdruck zugleich zum Oeffnen und Schließen der Cylinder zu gebrauchen. Dergestalt kann die Trompete in jeder Entfernung vom Gebäude aufgestellt werden, wenn sie nur mit diesem in angemessener Verbindung steht. Das bei Souter Point errichtete Nebelhorn ist von den Luftpumpen etwa zweihundertfünfzig Fuß entfernt und könnte in Nothfällen selbst noch weiter entfernt werden.

Auch der erste Gedanke der Nebelpfeife ist englischen Ursprungs, aber in Nordamerika zuerst verwirklicht worden. Schon 1845 hatte ein britischer Ingenieur, Alexander Gordon, dem Parlamente die Idee ausgesprochen, daß mächtige Pfeifen, ähnlich denen der Locomotiven, als Küstensignale während dichter Nebel sich trefflich würden gebrauchen lassen. Er wies darauf hin, daß ein schrillender Ton weiter schallt als ein nicht so durchdringender, der an Ort und Stelle vielleicht viel intensiver ist, und bekräftigte dies, indem er an die großen Entfernungen erinnerte, in denen man das Gezirp der Grille zu hören im Stande ist. Allein sein Gedanke führte zu keinerlei praktischem Erfolge, bis Daboll einen Apparat herstellte, welcher eine große Locomotivpfeife mittelst comprimirter Luft zu einem Nebelsignal umwandelte. Die Regierung der Vereinigten Staaten erkannte sofort den Werth dieser Erfindung und ließ eine solche Pfeife auf Rhode Island errichten. Eine und dieselbe Maschinerie diente sowohl für die Pfeife wie für das Horn, und die amtlichen Berichte stellen beiden Instrumenten ein sehr günstiges Zeugniß aus. Kurz darauf gelang es, eine Pfeife zu dem nämlichen Zwecke mittelst hohen Dampfdrucks in Gang zu setzen, und man stellte einen dergleichen Apparat auf Partridge Island in der Fundybay, Neubraunschweig, auf. Officiell wird constatirt, daß sein Schall, bei heftigem Sturme, in einer Entfernung von fünf und einer halben englischen Meile vernehmbar war.

Rasch bedeckten sich nun die nordamerikanischen Küsten mit solchen Nebelpfeifen. Lange Zeit scheint indeß vergangen zu sein, ehe die Erfindung über den Ocean nach Europa drang, denn erst 1869 ward ein ähnlicher Apparat bei Aberdeen in Schottland eingeführt, der, auf den Principien des Instrumentes von Partridge Island beruhend, seinen Zweck vortrefflich erfüllen soll.

Sehr alt ist der Gebrauch von Glocken als Nebelsignale. Man bedient sich ihrer meist auf einsamen oder Felsenbuchtthürmen und hat sie von drei- bis siebenhundert Pfund Schwere. Manche sind selbst noch schwerer; die Glocke auf Start Point wiegt mehr als hundert Centner, und an den irischen Küsten besitzen einige sogar das Doppelte dieses Gewichts. Allein der Glockenklang geht im Allgemeinen nicht weit und kann bei stärkerem Winde auch in geringer Entfernung nicht vernommen werden. Die Glocke hängt an der Plattform oder Galerie des Leuchtthurms an starken Ketten herab und, je nach der Höhe des Thurmes, sechszig bis hundert Fuß über dem Meeresspiegel. Dennoch ist es vorgekommen, daß sich bei einem Sturme die aufgeregten Wogen so hoch aufbäumen, daß sie die Glocke hinwegspülen! Um dies zu verhüten, pflegt man die letzteren an der dem offenen Meere am fernsten gelegenen Seite anzubringen und so ihr den Thurm selbst zur Schutzwehr zu geben. Dieser Schirm jedoch schneidet den Schall nach der See zu ab, so daß das Mittel noch schlimmer ist, als der Uebelstand selbst, dem es begegnen soll. Im Ganzen giebt man deshalb den Gebrauch der Glocke als Nebelsignal immer mehr und mehr auf, und keiner der neueren Leuchtthürme wird noch mit derselben ausgestattet.

Die als Nebelsignale an den englischen und deutschen Küsten benutzten Geschütze sind Achtzehn- oder Vierundzwanzigpfünder. Sie bedürfen zu ihrer Ladung drei oder vier Pfund Pulver und werden von Viertelstunde zu Viertelstunde abgefeuert. Hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit zu dieser Bestimmung schwankt die Ansicht freilich bedeutend. Während einer Viertelstunde segelt ein Schiff selbst bei schwachem Winde seine zwölf Knoten, das heißt, es legt drei Seemeilen zurück, es kann also bis auf die gefährlichste Nähe der Küste herankommen, ehe es noch den Knall der Kanone hört. So scheint man allmählich auch von dem Gebrauche der letzteren im Küstensignaldienste zurückzukommen.

Die Sirenen endlich, deren Locktönen der alte Odysseus nur dadurch widerstehen zu können meinte, daß er sich die Ohren fest verstopfte und sich an den Mastbaum anbinden ließ, sind heutzutage zu durchlöcherten Eisencylindern oder Eisenkästen geworden, aus denen der Hochdruckdampf das Weite sucht. Nicht länger die grimmen Feindinnen und Popanze des Schiffers, die ihm den Untergang bereiten, sind sie jetzt seine treuen Freundinnen und singen ihm blos, um ihn vor der Gefahr zu warnen. Nicht mehr bewohnen sie die schönen Gestade des Mittelmeeres, sondern die rauheren Küsten des nordamerikanischen Oceans und sind hochgeschätzt von Allen, welche sie kennen zu lernen Gelegenheit gehabt haben.

Zum Schlusse sei noch bemerkt, daß die Kanone das theuerste von allen Nebelsignalen ist. Während das Daboll-Horn täglich, das heißt im Zeitraume von vierundzwanzig Stunden, einen Aufwand von höchstens fünfzehn bis achtzehn Schillingen, die Dampfpfeife von etwa neunzehn Schillingen erheischt, erfordert die Kanone in der gleichen Zeit nahezu neun und ein halbes Pfund Sterling.

Uebrigens liegt trotz aller dieser Erfindungen und Vorrichtungen das gesammte Küstensignalwesen noch ziemlich im Argen; namentlich hat man durchaus nicht genau festgestellt, wie weit die verschiedenen Nebelsignale gehört werden können, so daß eine wissenschaftliche Untersuchung dieser für die Schifffahrt so hochwichtigen Frage als ein in der That dringendes Bedürfniß bezeichnet werden muß. An unseren deutschen Küsten zumal herrschen zum Theil noch die primitivsten Leuchtthurm- und Seesignaleinrichtungen vor; nur sehr wenige Stationen tragen den neuesten Resultaten der Wissenschaft Rechnung.

H. S.




Pariser Bilder und Geschichten.


Männliche und weibliche Modelle.


Von Ludwig Kalisch.


Es gewährt dem Denker ein ganz eigenthümliches Interesse, in Paris die tausend Wege zu beobachten, auf denen die Menschen dem täglichen Brode nachjagen. Diese Wege sind nicht immer gerade, nicht immer geebnet. Es sind oft krumme Wege, verschlungene Wege, Seitenwege, Abwege; aber sie sind gedrängt voll. Die Existenz in Paris ist eben für die Meisten ein beständiger Kampf auf Leben und Tod. Man muß laufen und rennen; man muß schaffen und erfinden; man muß überall die Augen haben und alle Kräfte in Bewegung setzen, wenn man nicht in Noth und Elend untergehen will. Von dem Banquier,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_775.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)