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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Förster sei schon seit vorgestern nicht wieder nach Hause gekommen, dafür aber sein Hund, schon zweimal, doch derselbe sei darauf allemal winselnd wieder davon gelaufen, und sie wisse daher nicht, wo der Herr herumlungern müsse. Da, gerade als der mürrische ‚Auf‘ noch so mit mir sprach, kam Waldine ganz abgemagert und heulend wieder heim und, mich erkennend, sprang sie nun freudig und doch jammernd an mir heran und lief dann gleich darauf wieder zur Thür hinaus, ebenso schnell aber kehrte sie zurück, um zu sehen, ob ich ihr folge. Natürlich that ich dies, und stracks ging es nun durch die weite Haide den großen Moorbrüchen zu, denselben, die hier vor meinem Hause, das aber damals noch nicht stand, sich ausdehnen. Als ich, immer von dem Hunde geleitet, zu der vor uns liegenden öden Strecke kam, da fiel mir das sonderbare Umherschwärmen der Krähen über einem steil in die Luft ragenden zerbrochenen Steigbrette auf, welches über eine Wasserlache führte, und ich ahnte Unglück. Eiligst folgte ich daher der weit vorausgeeilten Waldine, welche nun an einem der vielen Wasserlöcher Halt machte. Ich erblickte bald beim Näherkommen einen verendeten Hirsch, der halb aus dem Sumpfe ragte; Waldine aber, das treue Thier, sah ich eine daneben aus dem schwarzen Tümpel starrende Todtenhand belecken.

Wie ward mir aber vollends, als ich noch näher herankam an die Unglücksstätte und auf einmal den ganzen Zusammenhang begriff! Denn da lag, mit dem Kopfe und halben Oberkörper noch auf der in’s Wasser versunkenen Hälfte des zerbrochenen Steiges und dessen Stützpfählen ruhend, derselbe Hirsch, den ich vor ein paar Tagen noch krank angetroffen und den ich sofort am Geweih und seiner auffällig hellen Färbung wiedererkannte. Unter des Verendeten Last aber ward der Ertrunkene unter Wasser gehalten, dessen emporstarrende fahle Hand gleichsam aus der moorigen Gruft emporwuchs, während der Hut des Verunglückten – es war der meines Unterförsters –, obenauf schwimmend, am Schilfe hin und her schwankte. Ueber dieser schauerlichen Gruppe jedoch, auf dem in die Luft hinausragenden Brette, hockten ein Paar Krähen, die bei meinem Näherkommen krächzend aufstiebten und dem kreisenden Schwarme ihrer schwarzen Genossen sich einreihten. Als ich nun versuchte, den völligen Zugang zur Trauerstätte zu gewinnen, was mir auf dem schwanken Untergrunde nur mit Hülfe herzugeholter Stangen und anderer Hölzer aus einer nahen verfallenen Torfhütte gelang, da befestigten sich – angesichts der ganzen Sachlage – meine Vermuthungen bis zur unumstößlichsten Ueberzeugung.

Jedenfalls hatte der Förster auf meine Mittheilung hin für sich allein und in seinem beabsichtigten Vortheil Nachsuche auf den Hirsch gehalten, der nun wohl vor dem Hunde auf’s Moor geflüchtet sein, hier aber, als auch dahin die Verfolgung fortgesetzt wurde, ihm sich endlich gestellt haben mochte. Hierbei hatte, wie nicht anders zu denken, der Förster endlich den Todtverwundeten niedergeschossen und war dann, wie nicht minder wahrscheinlich, beim Abnicken des noch nicht gleich Verendeten – die Waidmesserklinge steckte nämlich abgebrochen noch im Genick des Hirsches – mit der Planke, worauf er dabei gestanden haben mochte, zusammengebrochen und dadurch in die sumpfige Tiefe versunken. Er war so unglücklich unter sein Opfer gefallen, daß er, von diesem niedergehalten, den Banden des Todes nicht hatte entrinnen können; vielmehr hatte die verhängnißvolle Last seinem jämmerlichen Schicksale gleichsam das Siegel aufgedrückt!

Ja, ja, die weite stille Haide hatte diesmal allerdings ‚kein Aug’ und Ohr‘ für die Qual des Aermsten, dafür ruhte aber die Hand Gottes um so schwerer auf dem Unglücklichen – hülflos, in trostloser Oede, ward ihm ein schauerliches, nasses Grab!

Der Herr Graf, dem ich nach diesem Falle Alles haarklein beichtete, hat mir in Liebe verziehen und ließ zur Warnung, zur Sühne und als Wahrzeichen das schwarze Kreuz an der Unglücksstätte errichten, mit dem Befehle, daß es für alle Zeiten erhalten bleiben solle.“




Literaturbriefe an eine Dame.


Von Rudolf Gottschall.


XI.


Haben Sie, verehrte Frau, schon über ein Geheimniß nachgedacht, das Ihnen wie allen Vertreterinnen des schönen Geschlechts so nahe liegt, mit dem Sie in Berührung kommen, wenn Sie einen Hut aufsetzen und eine Mantille umnehmen, und das Sie gerade deshalb weder für einen Gegenstand des Nachdenkens noch für ein Geheimniß zu halten geneigt sind – ich meine, über die Mode? Was jedes Modenkupfer, jedes Ladenfenster[WS 1] aller Welt verkündet – das kann doch gerade nichts Räthselhaftes sein!

Und doch ist das Entstehen, Werden und Wachsen der Mode in ein Geheimniß gehüllt, und was Friedrich Halm von der Liebe singt: „Sie kommt und sie ist da;“ das gilt auch von ihr! Die Mode aber hat etwas von jenem unerklärlichen Zauber, der zum großen Theil auf dem Nachahmungstrieb beruht und dem sich Niemand so leicht entziehen kann. Es giebt nicht blos Crinolinen, es giebt auch Ideen, die Mode sind, und die Gedichte stehn hierin mit den Chignons in gleicher Linie.

Ueber die Mode in der Literatur ließe sich eine lange Abhandlung schreiben, die vielleicht von größerem Interesse wäre, als mancher sehr scharfsinnige und sehr überflüssige Aufsatz unserer Kritiker über die Bedeutung dieses oder jenes classischen Werkes. Die Classiker selbst sind im strengen Sinne des Wortes nicht „Mode“ gewesen – nur Goethe’s „Werther“ war ein literarischer Modeartikel. Als der große Dichter indeß bei Göschen eine mehrbändige Ausgabe seiner Dichtungen erscheinen ließ, in welcher seine unsterblichen Werke Iphigenie, Tasso, Egmont u. a. enthalten waren, hatte diese Sammlung durchaus keinen buchhändlerischen Erfolg; sie lag wie Blei in den Buchläden, während die Werke von [[Christian August Vulpius|Vulpius, namentlich Rinaldo Rinaldini, eine Auflage nach der andern erlebten. Vulpius war eben „Mode“ – und Goethe war es nicht.

Ich will Ihnen heute von einem Schriftsteller sprechen, dem es, bei allen Verdiensten und Vorzügen, nie gelungen ist, „Mode“ zu werden. Dies ist ein Glücksfall, der oft im umgekehrten Verhältniß zum wahren Verdienst steht, und nur selten bewährt sich die Harmonie der Weltordnung darin, daß dem bedeutenden Werk auch von Hause aus ein überraschender Erfolg zutheil wird. Im letzten Monat des vorigen Jahres starb in dem thüringischen Städtchen Arnstadt, einer freundlichen Dichterstätte, wo auch Marlitt in den Träumen der Phantasie die anmuthigen Gestalten ihrer echt deutschen Aschenbrödel erblickte, einer unserer namhaftesten Romanschriftsteller, Wilibald Alexis. Seit 1852 wohnte er unter den Rosen von Arnstadt, doch es war dies keine heitere Idylle, wie sie der Patriarch von Neuseß unter den Blumen seines Gartens und in den Wäldern der Coburgischen Berge verlebte und in seinen poetischen Haus- und Jahreskalendern verzeichnete; sie war geistig ertraglos, denn dem alternden Dichter war die Gunst des freien Weltblickes und des trostbringenden dichterischen Schaffens versagt; er war jenem unheimlichen Geschick geistiger Lähmung verfallen, das in neuer Zeit über so viele bedeutende Geister einen schmerzlich empfundenen Bann verhängt – wir erinnern nur an den Philosophen Ludwig Feuerbach, der, seiner glänzenden geistigen Frische lange beraubt, nach schweren Leiden aus dem Leben geschieden ist.

Die Arbeit des Geistes, verehrte Frau, hat ihre Invaliden, wie der Krieg; erschütternd aber ist es, wenn der Geist noch frei die Schwingen regen will und dann die bleierne Last fühlt, die ihn zu Boden drückt. Als ein Segen erscheint dann die erlösende Dumpfheit, in der auch die letzte Regung des Willens und damit seine Qual erlischt! Solche Dumpfheit umhüllte die letzten Lebensjahre des Dichters; er schien zufrieden und vergnügt und lächelte sein trostloses Geschick an, wie er die Remontanten des Gartens anlächelte, wenn der Rollwagen ihn zu den farbenprächtigen Blumenköniginnen fuhr. Die Rose ist ja seit alten Zeiten ein Sinnbild der Verschwiegenheit; doch der kranke Dichter vertraute ihr kein Geheimniß an; er hatte ja, auch wenn er schwieg, nichts mehr zu verschweigen.

Wilibald Alexis (Wilhelm Häring) ist ein Schlesier; er war

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ladenfester
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_691.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2021)