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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

nahen Wasser, und nach Erwiderung des Försters: „Ja, ja, das bekundet eine traurige Geschichte,“ fuhr mein Gewährsmann auf meine Bitte, mir Näheres darüber berichten zu wollen, in seiner Weise zu erzählen fort:

„Ich war noch ein blutjunger Kerl und diente das erste Jahr als Jägerbursche beim damaligen Oberförster unseres gnädigen Herrn, als ich eines Abends Befehl erhielt, des anderen Morgens früh mit dem zunächst wohnenden Unterförster auf einen Hirsch, der am Tage vorher von unserem gnädigen Herrn Grafen angeschossen worden war, mit dem Schweißhunde nachzusuchen; unser Befehl ging dahin, wenn wir den Hirsch fänden, ihn, falls er noch lebe, todtzuschießen und sofort auf’s Schloß zu bringen. Der erwähnte Unterförster erwartete mich an der ‚Teufelseiche‘, einem mächtigen alten Baume, der heute noch im Revier steht. Pünktlich trafen wir zusammen, der Förster mit seiner gelben Schweißhündin an der Leine, und stracks ging es nun weiter nach einem uns bezeichneten weiten Gehau, auf welchem der Hirsch die Kugel bekommen haben sollte und wo wir nun zunächst den Anschuß, der natürlich durch einen ‚Bruch‘ kenntlich gemacht worden war, aufsuchten. Leider hatte es die Nacht über stark geregnet, weshalb eine Schweißspur nicht mehr zu finden war, ja außer dem stark markirten ‚Eingriff‘ nicht einmal mehr die Fährte des flüchtig fortgegangenen Hirsches unterschieden werden konnte. Die Hündin aber hatte bei solchem Wetter auch keine Suche, und so wollte es uns bei aller Mühe, die wir und die brave Waldine uns gaben, doch nicht gelingen, nur vorerst der Fährte des angeschossenen Hirsches sicher zu werden, geschweige denn ihn selber aufzufinden.

Bisher hatten wir immer und immer wieder die unverdrossene ‚Däbe‘ vom Anschuß aus auf die Fährte gesetzt und zwar an der Leine; aber die leidige Nässe, die jede Spur und Witterung verwischt hatte, ließ jeden neuen Versuch mißlingen. Nun legten wir uns auf’s Einkreisen, um vielleicht dabei auf festem Wege, über den etwa der kranke Hirsch nach der Flucht noch gezogen sein könnte, dessen Fährte aufzufinden. Wohl trafen wir auch auf mancherlei Gefährt; wer aber wollte dabei unterscheiden, ob das unseres Gesuchten darunter war? Bei solch mühevollem Umhersuchen war die Zeit bereits bedeutend vorgerückt, und da wir vor Dunkelwerden unser Ziel erreichen wollten, so blieb uns zuletzt nichts Anderes mehr übrig, als den Hund von der Leine zu lösen und auf gut Glück ihn die stärkste Fährte, die wir fanden – der angeschossene Hirsch sollte ein Capitalhirsch sein – aufnehmen und frei darauf jagen zu lassen, damit er, stieß er dabei wirklich auf den Gewünschten, ihn stellen könnte.

Nachdem sich der Unterförster auf den Wechsel angestellt hatte, ließ er die Waldine los und deckte dann den Rückwechsel selber. Es dauerte auch gar nicht lange, so ging’s käff, käff, käff, käff, – laut und klar wie eine Glocke, nur blieb leider das herrliche Waldgeläute nicht auf einer Stelle; also Waldine ‚stellte‘ nicht, jagte vielmehr flüchtig, ja sogar verteufelt flüchtig, weiter und sogar auf den Stand des Unterförsters zu. Und kaum daß ich noch so meinen Gedanken darüber nachhing, daß mein lieber Vorgesetzter nur nicht etwa einen gesunden Hirsch todtschießen möchte – da knallte es auch schon. Nun bangte mir in der That vor einem schlimmen Erfolge, denn ich kannte eben schon meinen Mann, der, bekam er nur erst einmal ‚Haare‘ vor die Büchse, dann auch den ‚Finger krumm machte‘, es mochte nun Schußbefehl dazu sein oder nicht – es wurde eben Feuer darauf gegeben. Und so fürchtete ich denn das Schlimmste!

Ich mußte den Ausgang ja bald erfahren, da wir ausgemacht hatten, daß da, wo es schösse, der Andere hinzuzueilen habe. Da nun vollends Alles todtenstill blieb, so machte ich mich schleunigst auf den Weg nach dem Stande meines Mitjagenden. Da sah ich denn schon von Weitem einen stattlichen Hirsch liegen und Waldine lautlos an ihm herumzausen, den Unterförster aber Anstalt treffen, den Erlegten aufzubrechen.

Herangekommen und vor allen Dingen nach dem Anschuß spähend, sah ich wohl die frische Kugel dicht hinter dem Blatte sitzen, die den Hirsch im Feuer getödtet hatte, suchte aber vergeblich nach der zweiten, welche das Thier Tags vorher von der Hand des Grafen erhalten haben sollte. Mein Vorgesetzter war ein Pole und weit und breit bekannt als rücksichtslosester Jäger, der, wie ein Stück Wild, so auch jeden ihm nur in Sicht kommende Wilddieb erbarmungslos niederschoß und ihn dann, seiner eigenen Aussage nach, auf die erste beste Klafter Holz warf, diese in Brand steckte und so in der prasselnden Lohe sein Opfer mit Haut und Haar verbrannte. Dieser Vorgesetzte bedeutete mir mit gellem Lachen: jetzt werde er den von mir gesuchten Anschuß gleich noch mit einer Kugel draufmalen. Und wirklich! den todten Hirsch noch waidewund schießend, schüttete der Geriebene nun auch Pulver in die absichtlich gemachte Wunde und brannte es mit der glühenden Asche seiner Pfeife an, daß das Kugelloch dadurch schwarz und vertrocknet aussah, wie ein altes.

„Na,“ sagte er dann zu mir, „nun mag der Teufel es herausschnobern, ob das ein heutiger oder gestriger Anschuß ist.“

Als ich darauf aber doch mein Bedenken in Bezug auf den Kennerblick unsers gnädigen Herrn ausdrückte und überhaupt auf das Unrecht, diesen zu betrügen, hinwies, erwiderte mir zornigen Blickes der erregte Geselle: ‚Ein Doctor wird ja wohl nicht dabei sein, der’s beweisen könnte, ob der Schuß von Jenem‘ – er meinte seinen Herrn und Gebieter – ‚oder von mir herrührt! Und betrügen? He, wer sagt, daß ich betrüge? Bekommt denn der Graf nicht einen Hirsch?‘ Diesen höhnischen Fragen, wobei er mich mit tellergroßen, zornfunkelnde Augen fixirte, fügte er noch mit Nachdruck hinzu: ‚Also reinen Mund gehalten, Bursche, sonst –‘ und hierbei nahm er das Gewehr an den Kopf, womit er mir andeuten wollte, daß, wenn ich nur ein Wort darüber verlauten ließe, mir für meine Verrath eine ‚blaue Pille‘ bevorstände. Meine Phantasie fügte aber dieser ausdrucksvollen Drohung auch noch das Bild eines lodernden Holzstoßes hinzu, und ich gelobte schüchtern unverbrüchliches Schweigen.

So mußte ich denn mit schwerem Herzen noch selbigen Abend als elender Lügner vor meinen so grundgütigen lieben Herrn hintreten, da ich den Hirsch zu überbringen und vor ihm auf die Strecke zu legen hatte. Mit wie zusammengeschnürter Kehle gab ich hierbei den mir vorgeschriebenen erlogenen Bericht ab, den mir mein Unterförster noch mit dem leidigen Troste zugefertigt: ‚Der Wald habe weder Augen noch Ohren,‘ wozu er noch hinzufügte: ‚Also dabei geblieben, wie ich’s vorgeschrieben, oder –‘

Und ich bin leider feigerweise dabeigeblieben, selbst als mir mein gnädiger Gebieter, der Herr Graf, noch ein reiches Geldgeschenk für prompte Mithülfe bei der Suche ‚Seines‘ Hirsches verabreichte.

Dies war das Ende dieser Jagd, aber nicht ‚das Ende vom Liede‘. Denn es gab doch ein Auge des Waldes, das Auge Gottes nämlich, und dieses hatte die vielfachen Vergehen des finsteren Mannes bisher zwar mit Langmuth angesehen, nun aber doch endlich von dem Ungetreuen und Hartherzigen sich abgewandt.

Mich hatte es nämlich des anderen Tages, nachdem ich die erste reuevolle Nacht meines Lebens durchwacht, schon bei frühestem Morgengrauen wieder hinausgetrieben in die stille Haide, unwillkürlich jenem Orte zu, wo der Graf seinen Hirsch angeschossen hatte. Ich suchte nun von Neuem hier nach diesem, wenn auch ohne alle Aussicht auf erwünschten Erfolg, da ich nicht einmal einen Hund bei mir führte. Dennoch kam ich heute, nur so im verloren geglaubten Weitergehen, plötzlich an die Stelle, wo der noch nicht verendete, sogar noch ziemlich rege, aber doch schwer kranke Hirsch flüchtig vor mir herausfuhr. Aber ich war so überrascht, daß ich nicht vermochte, auf das fliehende Thier zu schießen. Diesen Fall meldete ich nun sofort meinem Mitschuldigen, dem Unterförster, ihn dabei beschwörend, den angeschossenen Hirsch, der uns nun sicher sei, nochmals aufsuchen, todtschießen und einliefern zu wollen, dabei aber das begangene Unrecht offen und ehrlich dem Grafen einzugestehen und ihn reumüthig um Vergebung zu bitten, da denn der gestrenge Herr unter solchen Umständen gewiß noch Gnade vor Recht ergehen lassen und ihm und mir vergeben werde.

Aber mit einem gotteslästerlichen Fluche gebot mir der darüber wuthsprühende Polake, ja nicht wieder in dieser Weise oder überhaupt davon zu sprechen, mit dem Zusatze: er würde die Sache schon nach seiner Art erledigen. Von dieser Stund’ an sah ich ihn lebend nicht wieder, denn als ich ein paar Tage darauf von meinem Dienstherrn, dem Oberförster, abermals hinausgeschickt ward, von diesem an den Unterförster einen Befehl zu überbringen, sagte mir dessen alte Haushälterin, die, ihrem unwirschen Herrn nicht unähnlich, wie ein alter Uhu in der wüstaussehenden Wohnung des düstern Forsthäuschen hauste:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_690.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)