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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Die Blicke des Herrn und des Dieners begegneten sich und wandten sich in demselben Moment wieder zur Seite.

„Es ist schon Manchem, der durchaus in der Nacht fahren wollte, ein Unglück auf dem Wege passirt,“ sagte Brandow langsam.

„Wenn der Kutscher nicht sehr aufpaßte,“ fügte Hinrich Scheel hinzu.

Und wieder trafen sich die Blicke. Ohne Zweifel hatte ihn der Hinrich verstanden – diesmal, wie immer; ohne Zweifel wußte der Hinrich diesmal, wie immer, was er wollte. Brandow athmete tief auf. Er hätte gern gesehen, wenn Hinrich noch ein Wort gesagt hätte, ein letztes Wort; aber Hinrich hatte sich zu den Pferden gewandt. Aus dem Speisesaale ertönte wüster Lärm von Stimmen, die in den höchsten Tönen des Zorns durcheinanderschrieen, und in demselben Moment kam auch Rieke herbeigelaufen. Die runden Wangen der hübschen Dirne waren hochgeröthet, ihre grauen Augen blitzten, ihr reiches blondes Haar war nicht mehr so glatt, als es zu Anfang des Diners gewesen.

„Was giebt’s?“ fragte Brandow.

„Sie zanken sich schon seit einer Viertelstunde; ich glaube, sie kriegen sich noch bei den Köpfen,“ sagte Rieke, und zeigte lachend ihre weißen Zähne.

„Wir sprechen uns noch!“ rief Brandow dem Hinrich nach, der eben mit dem Wagen davonfuhr; dann zog er Rieke in den dunklen Flur.

„Er ist wieder mitgekommen,“ sagte er; „sieh zu, wo er geblieben ist! sobald Du etwas merkst, sagst Du Bescheid.“

„Ich habe keine Lust, immer hinter den Beiden herzulaufen,“ sagte Rieke trotzig.

„Dir von den Herren drinnen in die Wangen kneifen und Dich umfassen zu lassen, gefällt Dir natürlich besser.“

„Warum nicht?“ sagte die Dirne.

„Du weißt, was ich Dir heut Nacht versprochen habe,“ flüsterte Brandow, nun selbst seinen Arm um den schlanken Leib der Dirne legend und seinen Mund zu ihrem Ohr beugend.

„Versprechen und halten ist zweierlei,“ sagte Rieke, sich nicht eben sehr eifrig losmachend.

Der Lärm im Speisesaale wurde immer größer.

„So, Du bist ein gutes Kind,“ sagte Brandow, und nun mach’, daß Du fortkommst; ich muß sehen, was die Kerle haben.“

Hans Redebas hatte die momentane Abwesenheit des Wirthes benutzen zu müssen geglaubt und den beiden Brüdern noch einmal seinen Vorschlag an’s Herz gelegt, ihm für seinen Theil Brandow’s Weizen zuzuschreiben und dafür den Brownlock in ausschließlichen Besitz zu nehmen; und hatte als Zeugen der Loyalität seiner Absichten den Pastor citirt, mit welchem er bereits auf dem Herwege die Sache wiederholt durchgesprochen. Der Pastor, der seinem Patron in jeder Weise gefällig zu sein wünschte, hatte sich bemüht, die Vorzüge zu schildern, welche das Arrangement für alle Betheiligten habe, dabei aber in seiner Trunkenheit die Farben so stark aufgetragen, daß die beiden Brüder stutzig wurden und ein halbes Zugeständniß, welches sie bereits gemacht hatten, wieder zurückzogen. Herr Redebas hatte deshalb den Pastor als einen dummen Menschen bezeichnet, der sich in Alles mische, trotzdem er von nichts etwas verstehe, höchstens ein wenig von seinem theologischen Kram, und der deshalb, außer auf seiner Kanzel, überall sonst den Mund zu halten habe. Nun war der geistliche Herr aufgesprungen und hatte geschrieen, daß „dumm“ ein Tusch sei, den sich ein alter Hallenser Corpsbursch von Niemand, auch nicht von seinem Patron gefallen lasse, worauf Herr Redebas in ein schallendes Gelächter ausgebrochen war, das den Trunkenen vollends in Wuth versetzte.

Unterdessen waren auch die Plüggen in heftige Uneinigkeit gerathen. Gustav hatte seinem Bruder zugeraunt, er habe Lust, das Anerbieten zu acceptiren, wenn Redebas noch zweitausend Thaler darauf legen wolle; Otto, als der Senior, hatte den Jüngeren gewarnt, sich auf einen Handel mit Redebas einzulassen, der mehr Verstand in seinem kleinen Finger habe als er in seinem Kopfe. Gustav hatte sich durch diesen Zweifel an seiner Klugheit beleidigt gefühlt und etwas von „Stroh“ gemurmelt, das ja bekanntlich in dem Kopfe des Andern gelegentlich gefunden werde, – eine Anspielung auf den bekannten Spitznamen des ältern Bruders, die selbstverständlich von Seiten desselben eine Erwiderung hervorrief, in welcher dem „Heu“ eine hervorragende Bedeutung eingeräumt wurde. Und so schrieen denn alle Vier aufeinander ein – zur größten Verwunderung des Groom Fritz, der mit offenem Munde zuhörte, bis er sich plötzlich an der Schulter berührt fühlte und aufschauend seines Herrn Gesicht über sich erblickte.

„Scher’ Dich hinaus und komme nicht wieder herein, bis ich Dich rufe!“

Der Bursche ging; Brandow musterte noch einmal die Streitenden am Tische mit schnellen Blicken. „Das ist just der rechte Augenblick,“ sprach er durch die Zähne.

Er trat an den Tisch, setzte sich aber nicht, sondern blieb, die Arme auf die Lehne seines Stuhls stützend, stehen und sagte, sich an den verlegenen Gesichtern der plötzlich still gewordenen Vier weidend: „Verzeiht, Ihr Herren, daß ich Eure interessante Unterhaltung störe, noch dazu mit einer rein geschäftlichen Angelegenheit, die aber doch auch erledigt sein will. Mein Hinrich Scheel ist eben von Prora zurück – mit dem Assessor und mit einem andern Herrn, dessen Name vorläufig ein Geheimniß sein soll. Ich hatte Wollnow ersucht, mir von meinem Guthaben fünfzehntausend Thaler baar zu schicken. Er hat mich bitten lassen, ihn zu entschuldigen, wenn er statt dessen Wechsel in dem genannten Betrage sendet, Wechsel, meine Herren, von Louis Loitz und Compagnie in Prora an meine Ordre ausgestellt, von Wollnow selbst acceptirt und in Sundin bei Philipp Nathanson domicilirt. Vielleicht haben die Herren die Güte, mir gegen diese Wechsel – jeder im Betrage von fünftausend Thalern – die drei Ehrenscheine auszuhändigen, welche Sie sich neulich von mir geben ließen, falls Sie dieselben zufällig bei sich haben sollten.“

Brandow bot mit einer ironischen Verbeugung die drei Wechsel dar, welche er fächerartig aus der erhobenen Hand herabhängen ließ.

Die Genossen blickten einander mißtrauisch an. Die Sache war nicht in der Ordnung; die Scheine lauteten auf baar; sie waren nicht verpflichtet, die Wechsel zu nehmen; aber sie hatten sich eben noch untereinander zu sehr gezankt, um sofort zu einem einheitlichen Entschluß fähig zu sein; und im Grunde gönnte Jeder dem Andern, daß er um die sichere Beute betrogen werde.

„Nun, Ihr Herren,“ rief Brandow, „ich hoffe nicht, daß Einer von Euch an der Form meiner Zahlung Anstoß nimmt. Es würde das eine Beleidigung gegen den wackern Wollnow sein, auf dessen Gefälligkeit wir ja Alle von Zeit zu Zeit angewiesen sind. Oder solltet Ihr durchaus wünschen, daß der Assessor, der jeden Augenblick kommen kann, Zeuge der Art und Weise wird, in welcher die Herren von Plüggen und Herr Hans Redebas einem alten Freunde, der in Verlegenheit gerathen ist, zu helfen pflegen?“

In der That vernahm man jetzt des Assessors Stimme auf dem Flur.

„Gieb her!“ sagte Hans Rebebas.

„Meinetwegen,“ sagte Otto von Plüggen.

„Ich bin kein Spielverderber,“ sagte Gustav.

Die Wechsel wanderten in die Brieftaschen der drei Herren gegen die Ehrenscheine, welche Brandow mit einem ironischen Lachen wie werthloses Papier zusammendrückte und zu sich steckte, in dem Moment, wo der Assessor hereinkam.

Sein Erscheinen wurde Brandow ein willkommener Vorwand, die Tafel, welche ihm nur schon allzu lange gedauert hatte, aufzuheben. Es habe nachgelassen zu regnen; ob man den Kaffee nicht lieber in dem kühlen Garten als in dem schwülen Zimmer nehmen wolle? Er vermuthete Gotthold im Garten und hatte sich auch nicht getäuscht. Man traf ihn in einem der entlegenen Gänge auf- und abwandelnd. Er schwieg dazu, als Brandow sein Wiederkommen als eine Ueberraschung ausgab, die er seinen Gästen habe bereiten wollen, und entschuldigte sich mit einem heftigen Kopfschmerz, der ihn manchmal plötzlich überfalle und den er erst habe vorübergehen lassen wollen, bevor er sich der Gesellschaft vorstellte. Die beiden Plüggen waren entzückt, ihren alten Schulcameraden, den sie immer gründlich gehaßt hatten, wiederzusehen, und Herr Redebas rechnete es sich zur Ehre, die Bekanntschaft eines so berühmten Mannes zu machen, obgleich aus seinen Reden deutlich hervorging, daß ihm vollkommen unbekannt war, in welchem Zweige menschlicher Thätigkeit Gotthold sich seinen Ruhm erworben haben möchte. Der Pastor, auf den er sich in solchen Augenblicken zu verlassen pflegte, konnte ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_686.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)