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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von seiner Verbindung mit dem Wallner-Theater, das damals noch die „Grüne Neune“ im Munde des Volkes hieß, die eigentliche große Epoche seiner literarischen und pecuniären Erfolge. Die unermüdliche Thätigkeit Wallner’s, jenes wunderbare dramatische Kleeblatt, Helmerding, Reusche und Neumann, die unvergleichlichen Soubretten, Fräulein Wollrabe, Schramm und Stolle, spornten Kalisch zu neuen Schöpfungen seiner komischen Muse an, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das Berliner Publicum übten. Die größeren Possen „Berlin, wie es weint und lacht“, „der Actienbudiker“, „die Mottenburger“, die kleineren Vaudevilles wie „der gebildete Hausknecht“, „Dr. Peschke“, „Verpflefft“ etc. erlebten hunderte von Wiederholungen, welche dem glücklichen Verfasser in manchen Jahren eine Tantième von sechstausend bis achttausend Thalern abwarfen.

Zugleich hatte Kalisch auch mit dem bisherigen Herausgeber des „Kladderadatsch“ einen neuen Contract abgeschlossen, wodurch seine Einnahme, entsprechend der großen Auflage und steigenden Bedeutung des Blattes, erhöht wurde. So gestalteten sich seine Verhältnisse mit jedem Tage günstiger, wozu noch ein glückliches Familienleben kam, das einen höchst vortheilhaften Einfluß auf seine ganze Lebensanschauung und seine Gesinnung ausübte. In seiner Jugend nicht frei von einer Neigung zum Leichtsinn, angesteckt von der Frivolität seiner Zeit und Umgebung, von jener negativen und zersetzenden Kritik der vormärzlichen Zeit erfüllt, vertraut mit den Schwächen und Lächerlichkeiten der Menschen, im Besitz eines vernichtenden Witzes, strebte Kalisch immer mehr nach dem positiven Inhalt des Lebens, nach Vertiefung seines Geistes, nach Veredlung seines Herzens. Mit bewunderungswürdiger Energie und Ausdauer, mit Entsagung seiner liebsten Genüsse arbeitete er fortwährend an der Vermehrung seines Wissens, wie an der Ausbildung seines Charakters. Die Welt kannte nur den heitern Possendichter, den witzigen Gründer des „Kladderadatsch“, den lebensklugen und glücklich situirten Schriftsteller, aber nur seine nächsten Freunde wußten oder ahnten, wie tief und ernst Kalisch seine Aufgabe nahm, wie unzufrieden er mit sich und allen seinen Leistungen war, wie schwer er mit sich und seinen Schwächen rang, wie gewissenhaft er seine Pflichten nach allen Seiten zu erfüllen suchte. Daher kam es, daß Alle, die ihn näher kannten, eine so hohe Meinung von seinem Geist und seinem Charakter hatten, daß er die bedeutendsten Männer zu seinen Freunden und Bewunderern zählte.

Leider wurde die glückliche Stellung, die er sich erworben, häufig durch wiederholte Kränklichkeit und damit verbundene geistige Verstimmung getrübt, die sich zuweilen bis zur schwärzesten Hypochondrie steigern konnte. Dies war auch im letzten Sommer der Fall, wo verschiedene gemüthliche Aufregungen hinzutraten und ein langjähriges Leiden zu einer gefährlichen Krankheit steigerten. Von einer Reise nach Sylt zurückgekehrt, fand ich Kalisch von seinen Aerzten aufgegeben. Auf seinem Sterbebette begrüßte er mich mit der alten Herzlichkeit, streckte mir die zitternde, fieberheiße Hand entgegen, dankbar für die Stunden, die ich bei ihm verweilte, für jedes tröstliche Wort, womit ich ihn in seinen schweren Leiden aufzurichten suchte. Der Tod entriß ihn zu früh im kräftigen Mannesalter seiner Familie, seinen Freunden und der Welt. Auf dem Kirchhof der Matthäi-Gemeinde in der Nähe von Schöneberg, wo er seine ersten Erfolge auf der Sommerbühne als armer, unbekannter Commis errungen, wurde der bedeutendste Humorist der Gegenwart, gefolgt von einem unübersehbaren Leichenzuge, von den ersten Schriftstellern Berlins, von Männern aus allen Ständen, zu Grabe getragen. Dort ruht David Kalisch, dessen Andenken als Begründer des „Kladderadatsch“, als Vater der modernen Posse unvergeßlich bleiben wird.

Max Ring.




Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


Gotthold war entschlossen, auf keinen Fall heute Abend in eine Auseinandersetzung mit dem mehr als halb Berauschten einzugehen, und ebenso entschlossen, seinen Drohungen, wenn dies eine sein sollte, nicht nachzugeben und sich das Lösegeld abtrotzen zu lassen, das er zu erlegen hatte, wenn er, im Uebrigen straflos, von dannen ziehen wollte.

Brandow war der Ausdruck ruhiger Entschlossenheit in dem ernsten Gesicht seines Gastes nicht entgangen; er ließ die halb erhobene Waffe sinken, legte sie aus der Hand, kam wieder an den Tisch, warf sich in seinen Stuhl und sagte:

„Du hast Recht! es könnte ein Unglück geben; aber kein Hahn würde danach krähen, und es wäre am Ende doch nur consequent, wenn ich mir eine Kugel durch den Kopf schösse. Du bist ein glücklicher Kerl. Du hast von Jugend auf arbeiten müssen und so viel gelernt; nun kommt Dir noch im Schlaf ein großes Vermögen, rein zum Ueberfluß! Ich, ich habe nie gearbeitet, ich habe nichts gelernt, und ich verliere ein Vermögen, ohne das ich nichts bin, weniger als nichts: der Spott aller Leute, die mich gekannt haben, eine Scheuche für die bunten Vögel, denen ich es bis dahin gleich und zuvor gethan habe, und die nun die arme gerupfte Krähe ihrem Schicksale überlassen. Tod und Teufel!“ –

Er stieß das Glas auf den Tisch, daß es zerbrach.

„Ah bah! die Sache ist nicht werth, daß man darüber außer sich geräth. Einmal muß doch Alles ein Ende haben, und wie sie mich auch verhöhnen werden, das kann Keiner behaupten, daß ich mein Leben nicht genossen. Ich habe mein Lebtag die feinsten Weine getrunken, die schnellsten Pferde geritten und die schönsten Weiber geküßt. Du bist ja auch ein Kenner, Gotthold; Du hast es gewiß nicht anders gemacht, in Deiner stillen Weise natürlich! Ja, Du warst immer ein Schlaukopf, und ich habe schon auf der Schule einen verdammt großen Respect vor Deiner Schlauheit gehabt. Na, schadet nichts! ganz dumm bin ich auch nicht, und kluge Leute, wie Du und ich, werden sich immer gut vertragen; es sind nur die Dummköpfe, die sich in die Haare fahren – Dummköpfe, dumme Jungen, wie wir es damals waren! Weißt Du noch? Terz, Quart, Quart, Terz! Ha! ha! ha! Das kann uns jetzt nicht mehr passiren! Angestoßen, alter Bursche! angestoßen auf gute Cameradschaft!“

Und er hielt ihm das volle Glas entgegen.

„Mein Glas ist leer,“ sagte Gotthold, „und so ist die Flasche. Laß uns zu Bette gehen; wir haben überreichlich getrunken.“

Er hatte das Zimmer verlassen, bevor Brandow, der ihn mit weit vorspringenden Augen anstierte, ein Wort erwidern konnte.

Als die Thür sich hinter ihm geschlossen, machte Brandow einen Satz, dem Raubthier gleich, das hinter der Beute her ist, und blieb dann mitten in der Stube stehen, die weißen Zähne fletschend, und mit geballten Fäusten nach der Thür drohend.

„Verfluchter Schurke! ich will Dein Blut, Tropfen für Tropfen! aber erst will ich Dein Geld!“

Die erhobenen Arme sanken herab; er wankte nach dem Tisch und saß da, den brennenden Kopf in beide Hände gestützt, mit den spitzen Zähnen an den Lippen nagend, daß das Blut durch die Haut sprang, im Geiste Verbrechen auf Verbrechen häufend, nur daß alle nicht zu dem Ziele führen wollten. Auf einmal richtete er sich empor, ein heiseres Lachen brach aus seiner Kehle. So mußte es gehen! Sie, sie selbst mußte es von ihm fordern, und das war das Mittel, sie zu zwingen! Rache, Rache vollauf! und keine Gefahr dabei! nur daß die Dirne plaudern konnte! sie hatte schon ein paar Mal damit gedroht und war heute unverschämter als je; aber morgen mußte ja Alles geschehen sein, und die Nacht war zu vielen Dingen gut!

In dieser Nacht – er wußte nicht, wie spät es war; denn er hatte so dagelegen, angekleidet, mit fiebernden Schläfen, wach, und doch, wie in einem tollen Traum, von der Höhe mehr als irdischer Seligkeit in die Tiefe rathloser Angst und Sorge taumelnd – in dieser Nacht hörte Gotthold durch das Rascheln

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_663.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)