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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Mädchens, der Cantorstochter Doris Ritter aus Potsdam, mit welcher der Kronprinz gegen den Willen des Königs Musik trieb und die Dieser, weil er eine Liebelei voraussetzte, öffentlich auspeitschen und dann in das Zuchthaus nach Spandau bringen ließ. Als sie dort einige Jahre abgebüßt hatte – war sie vergessen.

Außer Katte wußten nur Wenige um den Fluchtplan des Kronprinzen. Etwa ein anderer Freund desselben, der Lieutenant v. Keith, gegen den aber der König schon Verdacht geschöpft und ihn, um ihn von dem Sohn zu entfernen, nach Wesel versetzt hatte, dessen jüngerer Bruder, der Leibpage des Königs war, und die Lieutenants v. Spaen und v. Ingersleben. Jedenfalls wußten Letztere aber nur Unbestimmtes, wie auch die Prinzessin Wilhelmine. Daß noch eine Dame um das Geheimniß wußte, darüber hat mich ein anderes Portrait, das gleichfalls in meinem Zimmer hängt, aufgeklärt. Als damals die Bilder aus der Erbschaft der alten Tante kamen, war eins darunter, das nicht als Familienbild festzustellen war, das aber eine schöne anmuthige Frau vorstellte und deshalb mit den anderen behalten wurde. Tracht und Frisur deuten auf eine etwas frühere Zeit als die Katte’schen Bilder. Nun fand sich viel später auf der Rückseite des Bildes ein Wappen und zwar das der Grafen Rothenburg, einer elsässischen Familie. Graf Rothenburg war zur Zeit des Fluchtversuchs französischer Gesandter am Berliner Hof; seine Gemahlin hatte Güter im Elsaß, und auf diesen wollte der Kronprinz mit dem Freunde nach geglückter Flucht zusammentreffen. Die schöne Frau war Katte’s Vertraute, und so kam das Portrait, wahrscheinlich aus jüngeren Jahren der Gräfin, durch leicht erklärliche Verbindung in den Besitz der Katte’schen Familie. Der lange besprochene Fluchtversuch sollte auf einer Reise, die der König in Begleitung seines Sohnes im Sommer des Jahres 1730 antrat, zur Ausführung kommen. Ueber Leipzig, Altenburg und Ansbach, wo der König kurze Zeit bei seiner verheiratheten Tochter verweilte, von da über Augsburg und Ludwigsburg, das Lustschloß des Herzogs von Württemberg, ging die Reise, und dann über Mannheim und Darmstadt nach Frankfurt weiter. Man konnte die Stadt nicht mehr erreichen und mußte im kleinen Städtchen Sinsheim übernachten.

Katte war in Berlin und erwartete noch nähere Bestimmungen des Kronprinzen. Dieser hatte ihm geschrieben; aber der Brief war durch eine Ungeschicklichkeit des Postmeisters in Nürnberg in falsche Hände gekommen, in die eines Werbeofficiers v. Katt, der sich zur Zeit in Erlangen aufhielt und das ihm unverständliche Schreiben durch einen Courier an den König schickte. Dadurch wurde der Plan verrathen und einestheils der Kronprinz gefangen genommen, anderntheils Katte’s Abreise von Berlin verzögert. Erst als schon die Gerüchte von der Gefangennahme des Freundes in Berlin laut zu werden anfingen, entschloß er sich, zu fliehen, und das nur gedrängt durch die Königin und Prinzessin Wilhelmine, die mit Recht voraussahen, daß seine Anwesenheit, zugleich mit compromittirenden Briefen, die man bei ihm finden könnte, den Zorn des Königs nur vermehren und das Geschick des Kronprinzen verschlimmern würde. Keith war gleich nach der ersten Nachricht von der Verhaftung des Kronprinzen von Wesel nach England entflohen, hatte sich dadurch der Strafe entzogen und kehrte später in die Dienste Friedrich des Zweiten zurück. Der große König hat ihm niemals besondere Gunst erwiesen und nie mit einer Silbe später des Fluchtplanes gedacht. Diese Erfahrung sollte Katte erspart werden.

Eine Kette von Zufälligkeiten hielt seine Abreise von Berlin auf. Erst mußte eine Menge von Briefen des Kronprinzen sicher in die Hände der Königin geliefert werden, was, bei bereits erwecktem Verdacht, nicht ohne Schwierigkeiten geschehen konnte; dann war der französische Sattel nicht fertig, dessen er nothwendig zur Reise bedurfte. Der junge Mann spielte mit der Gefahr, kämpfte mit dem Abscheu gegen eine feige Flucht und mit der Empfindung, das Loos seines königlichen Freundes theilen zu wollen, wie es auch fiele. Aber immer dringender wurden die Warnungen, die drängenden Vorstellungen der Freunde, die Alles ahnten; endlich gab er Befehl, das Pferd zu satteln; in einer Stunde wäre er gerettet gewesen. Der Verhaftsbefehl gegen ihn war bereits angelangt; die Vorgesetzten hielten ihn, schon aus Rücksicht für den Kronprinzen, so lange als möglich zurück, ja man glaubte Katte längst fort aus Berlin, als der Chef seines Regimentes, Feldmarschall v. Natzmer, in seine Wohnung trat, höchlichst erstaunt, ihn noch zu finden, und gezwungen war, ihn zu verhaften. Das geschah am 17. August 1730.

Im September war der König mit dem gefangenen Kronprinzen von seiner Reise zurückgekehrt und setzte sofort ein Kriegsgericht ein, um über den Sohn und seine „Complicen“, wie er sich ausdrückte, Recht zu sprechen. Das Kriegsgericht war in Köpenick zusammengetreten. Die Acten desselben liegen vor. Friedrich Wilhelm der Erste hatte für Alle den Tod verlangt. Wir müssen bei Beurtheilung dieser Handlungsweise seinen Charakter, seiner Zeit und seiner Ueberzeugung Rechnung tragen. Er betrachtete das Vergehen als ein doppeltes – als militärische Desertion und als Landesverrath, der den angestammten Thronerben seiner angeborenen Herrscherpflicht entziehen wollte. Es war ihm Ernst, den eigenen Sohn zu opfern, für das Verbrechen an dem Vaterlande.

Der Spruch lautete wirklich für den Kronprinzen auf Tod, soweit hatte man der Ansicht des Königs nachzugeben, für Katte und den älteren Keith (welcher sich, wie bereits erwähnt, durch die Flucht der Strafe entzogen hatte) hieß er lebenslängliche Festungsstrafe, Degradation und Karrenschieben an der Kette; Spaen und Ingersleben kamen mit leichteren Festungsstrafen davon, und ebenso der jüngere Keith.

Der König war fest entschlossen, die Todesstrafe an dem Sohn vollstrecken zu lassen, trotz der Verwendung des gesammten Kriegsgerichts, das wohl nicht gemeint hatte, daß es so weit kommen würde, und der muthigen Vorstellungen einzelner Personen, unter denen die Obristhofmeisterin der Königin, Frau v. Kamecke, in erster Reihe zu nennen ist. Es bedurfte der Einsprüche der meisten europäischen Höfe, die den König fast in Form von Drohungen zwangen, von diesem blutigen Vaterheroismus abzustehen. Um so weniger ist sein Verhalten gegen Katte zu rechtfertigen. Man hatte die Gelegenheit herbeizuführen gewußt, daß dieser sich dem König zu Füßen werfen konnte, für den Kronprinzen und für sich selbst um Gnade zu bitten. Der König mißhandelte ihn, trat ihn mit Füßen und ging noch weiter – er verschärfte das Urtheil des Kriegsgerichts auf den Tod. Dieser Act der Willkür bleibt ein Flecken auf dem Charakter des sonst nach vielen Richtungen der Anerkennung so würdigen Monarchen und Katte’s Tod ein blutiges Blatt in der Geschichte Preußens.

Von jetzt ab verdient der junge Mann nicht allein unsere vollkommene Theilnahme, sondern jede Anerkennung die Muth, Opferwilligkeit und hochherzige Gesinnung beanspruchen können. Die Briefe an seine Familie, die ganze Haltung dem Tode gegenüber waren eines Helden würdig. Am 2. November war ihm in Berlin das Urtheil publicirt; am 5. wurde er nach Küstrin transportirt, wo schon der Kronprinz als Gefangener gehalten wurde, und am 6. wurde der Spruch durch das Schwert von Henkershand vollstreckt.

Der König hatte befohlen, daß die Hinrichtung in Gegenwart des Kronprinzen statthaben sollte, aber man nahm den Befehl nicht wörtlich, wenigstens steht es fest, daß von dem Zimmer im Schlosse zu Küstrin, das der Kronprinz als Gefangener bewohnte und nicht verließ, der Richtplatz nicht zu sehen war. Dagegen sah er den Freund zum letzten Male, als man ihn an seinem Fenster vorbei zum Tode führte. Er riß das Fenster auf und rief wie ein Verzweifelnder: „Vergieb mir, mein lieber Katte!“

Dieser lächelte und erwiderte: „Der Tod für einen so liebenswürdigen Fürsten ist süß!“ Wenige Augenblicke darauf war sein Haupt gefallen.

Die Triebfedern der Geschichte sind wunderbar! Nicht der so verschieden angelegte Vater allein, fast das ganze Land, jedenfalls das Militär, setzten geringe Hoffnung auf den französischer Bildung anhängenden, Flöte blasenden, verweichlichender Träumerei sich hingebenden Kronprinzen Friedrich. Katte’s Freundschaft hatte Höheres in ihm erkannt, und sein Tod war vielleicht der Eindruck, der im Fürstensohne alle die Eigenschaften reifen ließ, durch die er einst der Stolz Preußens und die Bewunderung Europas werden sollte. Sicher ist mit diesem Augenblicke der Umschwung seines Charakters zu männlicher Energie und ernster Hingabe an seine Herrscherpflicht zu bezeichnen. So konnte Katte die späteren Triumphe des Freundes, die zu theilen ihm nicht vom Geschick vergönnt war, durch das Opfer seines Lebens wenigstens vorbereiten, und dies Leben war kein verlorenes.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_635.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)