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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

schlagen, verlief sich die Menge auf den Straßen. Wallmoden schloß das Fenster, und gesellte sich zu seiner Tochter. „Du bist sehr bewegt, Eugenie,“ sagte er, indem er ihre Hand erfaßte. „Willst Du Dich nicht doch entschließen, Wiesbaden zu verlassen? Noch bleibt mir Zeit, Dich aus der Provinz an sichere Stätte zu bringen, Du magst selbst bestimmen, zu welchem unserer entfernten Verwandten oder Freunde; an Anerbietungen hat es ja nicht gefehlt. Daß Deutschland in diesem nationalen Kampfe siegen wird, steht mir außer Frage, aber wie beim Beginn des Krieges die Würfel fallen, läßt sich nicht voraussehen. Viele sind überzeugt, daß der Feind in wenig Tagen über unserer Grenze, noch vor Ende des Monats vielleicht in Frankfurt und Mainz sein wird – Das bedenke!“

Eugenie sah ihn mit den gerötheten, aber wieder klar blickenden Augen voll Ernst an: „Und Du willst hier bleiben, Vater?“

„Das ist meine Pflicht,“ sagte der Staatsrath.

„Und die meine!“ fiel Eugenie lebhaft ein. „Hältst Du es für möglich, daß das einfach hohe Wort der Königin unverstanden vor mir verhallt ist? Was ein Krieg an Elend und Aufgaben im Gefolge bringt, ist für uns kein bloßer Begriff, lieber Vater! Wir haben es erlebt, wir haben es geschaut – in unvergessener, kaum verklungener Zeit!“

„Wohl!“ sagte Wallmoden in schwerem Ton.

„Und damals, Vater, durfte, konnte ich Nichts thun für alle die Armen, die Leidenden! Damals hielt mich heiligere Pflicht, hielt mich die Liebe am Krankenbett der Mutter, aber so jung ich war, lieber Vater, so unerfahren und egoistisch traurig, vergessen habe ich es doch nie, was ich in jener Zeit erfuhr von den Opfern und Leiden des Krieges. Wie könnte ich Ruhe finden in der Ferne, im feigen Sicherheitsgefühl, wenn in der Heimath alle Hände, alle Herzen thätig sind! Nicht wahr, Du gönnst dies auch mir?“

Mit einem leuchtenden Strahl des mächtigen, meist so düsteren Auges legte Wallmoden leise den Arm um ihre Schultern. „Du wählst, wie es Dir ziemt,“ sagte er ruhig, „ich dachte Dich auch nicht abzumahnen, nur Dir Freiheit des Entschlusses zu wahren. Wirke, hilf und tröste denn in Gottes Namen, so weit Deine Kraft reicht. Daß es, so viel als möglich, innerhalb der Grenzen unseres Hauses geschieht, wird, denke ich, Dein Wunsch sein, wie der meine; es soll Dir ein so großes Feld bieten, als Du begehrst, und daß Du frei über unsere Mittel verfügen kannst, bedarf wohl keines Wortes. Sobald die ersten Schlachten geschlagen, wird es hier an Verwundeten nicht fehlen; schon wird vielfach vorgesorgt. Die Turnhalle, Schule und Caserne, auch das Paulinenstift sollen zu Lazarethen eingerichtet werden; für Leichtverwundete wird auf Privatpflege gerechnet. Ich stelle Dir anheim, zu diesem Zwecke in der Villa Vorbereitungen zu treffen. Hier im Hause ist für Einquartierung weiter zu sorgen, wie bisher, der jungen Hausfrau wird also ein weites Feld der Wirksamkeit eröffnet. Ich stehe natürlich mit Rath und That zu Deiner Disposition, soweit der Dienst es mir erlaubt.“

„Der Dienst?“ fragte Eugenie überrascht.

„Ich habe mich dem Regierungspräsidenten zur Verfügung gestellt, und meine Wirksamkeit ist angenommen worden,“ sagte Wallmoden gelassen, indem er das freudige Umfangen seiner Tochter fast abweisend hinnahm; „woher Dein Erstaunen über Selbstverständliches, Eugenie? Herzog Adolph hat sich und die Seinen dem Kriegsherrn des deutschen Heeres zur Verfügung anheim gegeben, mit derselben Würde, die ihn stets im Ertragen seines herben Geschickes geleitet. Ich habe es nie verhehlt, daß mir der depossedirte Fürst mein Fürst geblieben, und ehre ihn heute mehr denn je als deutschen Herzog, deutschen Mann, dessen Wege seine alten Diener allzeit einschlagen dürfen, denn sie sind von Würde und Edelmuth vorgezeichnet.“

Eugenie hob das schöne Angesicht mit strahlendem Ausdruck zu ihm empor und flüsterte, indem sie ihre heiße Wange an seine Schulter lehnte: „Ja, Friede, schöner Gottesfriede muß das Ende dieses heiligen Kampfes werden, denn Friede ist schon sein Anfang!“


(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Daheim in der Fremde. (Mit Abbildung. S. 601.) Von unserem Gerstäcker konnte, trotz seines treuen deutschen Herzens, der Ausspruch gelten, daß er „in der Fremde daheim“ und, wie sein Arbeitszimmer nun unwiderleglich darthut, „daheim in der Fremde“ war. Wohin sein Auge sich richtete, grüßte ihn von jeder Wand eine Erinnerung an die Völker der Ferne, bei denen er geweilt, und an die Abenteuer und Gefahren, die er in seinem langen Wanderleben bestanden. Gar manch Thier, das ihn mit dem Tode bedroht hatte, schaute hier als geduldiges Skelet seiner Beschäftigung zu, und manches Werkzeug hätte ihm Augenblicke des Gruselns bereiten können, wenn seine Haut dazu eingerichtet gewesen wäre. Da lehnt z. B. linker Hand das Ruder, mit dessen Hülfe er auf manchem amerikanischen Wasser, am tollkühnsten auf dem Mississippi herumgeschwommen; und dort sehen wir den Sattel, der uns an die kecken Ritte durch die Pampas und über die Prairien gemahnt, und die Lassos zum Pferdefang und die Hängematten zu oft recht unbeneidenswerther Nachtruhe zwischen all dem fliegenden und kriechenden Gethier des Urwaldes. Wie wohl mußte da oft ihm zu Muthe sein, der so Vieles glücklich überstanden hatte; und wie gewissenhaft er diese Erinnerungen gehegt und ausgebeutet, dafür zeugt eine lange Reihe seiner Schriften. Sogar der Arbeitsstuhl und der Fuß des Arbeitenden ruht auf einer Jagdbeute, und damit wir keinen Augenblick vergessen, daß es Gerstäcker ist, der vor uns am Schreibtisch sitzt, liegt der Reisekoffer fix und fertig gepackt auf dem Boden. Uns ist’s, als brauchten wir gar nicht mehr lange zu warten, so werde der Schreibende sein „Rast’ ich, so rost’ ich“ auf den Brief drücken, den er soeben vollendet, und er werde den Koffer schließen und den Hut schwenken zu einem neuen Lebewohl! – Das Lebewohl ist gesprochen, die „letzte Reise“ vollendet. – Wäre es nicht zu beklagen, wenn der von solcher Hand und aus solchen Fernen zusammengebrachte, ebenso seltsame als werthvolle Schmuck von Gerstäcker’s Arbeitszimmer durch den Verkauf verzettelt werden müßte? Sollte sich kein Freund solcher culturhistorischen Schätze finden, der sie insgesammt an sich nehmen könnte? Ein derartiger Erwerb bringt nicht blos die Waare, sondern auch Ehre mit in’s Haus.




Aus San Francisco empfangen wir mit Bezug auf den Artikel „Der fünfundsechszig Millionen Dollarschatz“ in Nr. 24 folgende ergänzende Zuschrift:

„Ich habe Ihnen, lieber Herr Keil, die Mittheilung zu machen, daß die Brigg ‚Laura‘ am 29. Juli von der Cocosinsel zurückgekommen ist, aber leider ohne die fünfundsechszig Millionen mitzubringen. Das Schiff legte die Reise von hier nach der Insel schnell zurück, Wind und Wetter waren der Fahrt günstig und in einunddreißig Tagen befand man sich zur Stelle. Der berühmte Capitain Welsh zeigte nach einigem Hin- undherspüren den Schatzsuchern die Höhle, worin die Millionen verborgen liegen sollten, und da der Eingang verschüttet war, so machten sich diese mit lobenswerthem Eifer an die Arbeit, die Höhle auszugraben. Nach achttägiger, unter Furcht und Hoffen verbrachter anstrengender Arbeit hatte man einen achtzig Fuß langen Tunnel in den Berg gebohrt, ohne bis jetzt die Spur von einem Schatze entdeckt zu haben. Die getäuschten Schatzgräber proponirten nun, den alten Welsh nebst seiner holden Eliza, welche sie so zum Besten gehabt, an einer Cocospalme aufzuhängen, aber diese bestanden darauf, daß der Schatz im Berge stecke; man solle nur munter weiter graben, man werde ihn schon finden etc.! – Auf diese Versicherung hin gruben die Schatzgräber während der nächsten zwölf Tage noch zweihundert Fuß weiter in den Berg hinein, bis die Höhle ganz ein Ende hatte. Jeder von der Gesellschaft überzeugte sich davon, daß die fünfundsechzig Millionen Dollars – Gold, Silber und Juwelen – nicht in dieser Höhle steckten und auch nie darin gewesen sein konnten. Jetzt sollte Lynchrecht gehalten und Welsh und Eliza dennoch summarisch aufgeknüpft werden. Hierzu kam es jedoch nicht, weil Mehrere noch an das Vorhandensein des Piratenschatzes glaubten, und auch auf der unbewohnten Insel wurde das Ehepaar, wie einige Schatzsucher beabsichtigten, nicht zurückgelassen, da es zu gewagt schien, sie mit den unermeßlichen Reichthümern, die möglicherweise doch noch auf der Cocosinsel stecken konnten, allein zu lassen. Die Actionäre des Piratenschatzes ließen sich zuletzt durch die jammervollen Bitten von Welsh und Eliza erweichen, dieselben nach Punta Arenas mitzunehmen, wo man sie an’s Land setzte und laufen ließ. Die Brigg ‚Laura‘ kehrte dann ohne das Abenteurerpaar nach San Francisco zurück.

Hier wurden die Schatzsucher durch die freudige Botschaft überrascht, daß man während ihrer Argonautenfahrt eine alte dem früheren Seeräubercapitain gehörende Karte von der Cocosinsel gefunden habe, auf welcher der Ort, an dem der Schatz vergraben liege, genau verzeichnet stände. Es hat sich in San Francisco bereits eine neue Compagnie von Schatzsuchern gebildet, die baldigst nach der Cocosinsel fahren und diesmal die Millionen sicher heben wird. Mehrere von der letzten Gesellschaft sind wieder dabei; aber Welsh und Eliza wird man nicht mitnehmen und dieselben sollen, weil sie den falschen Platz angaben, auch nichts von den Millionen abhaben. Daß der Piratenschatz auf der Cocosinsel wirklich existirt, gilt den Actionären der neuen Compagnie als eine ausgemachte Thatsache. Die in San Francisco während der letzten Tage von hiesigen magnetischen Mediums citirten und zu Rathe gezogenen Geister der Piraten haben Alle erklärt, daß die Karte ‚all right‘ sei; es wäre lächerlich, unter so bewandten Umständen an der Echtheit derselben zu zweifeln! – Ich hoffe, es hat seine Richtigkeit damit, und ich werde noch Gelegenheit finden, die ungeheuren Schätze auf der Cocosinsel nach ihrer glücklichen Ankunft in San Francisco den Lesern der Gartenlaube genau zu beschreiben, – was zu besonderem Vergnügen gereichen würde Ihrem

San Francisco, 1. August 1872.

Theodor Kirchhoff.“


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_611.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)