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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

bis an die Schanzenberge gehörte. Dies Gut nun hinterließ er den beiden Vettern, oder vielmehr dem Einen von ihnen; denn, wie das Testament wunderlich genug sagte: es sollte von ihnen Demjenigen zufallen, welchen eine Jury von sechs ihrer Genossen ‚für den besten Mann‘ erklären würde. Alle Welt lachte, als diese sonderbare Bedingung bekannt wurde, und die Vettern lachten auch; aber bald wurden sie sehr ernsthaft, als sie bedachten, daß es sich nicht blos um Dollan, sondern auch um Ulrike von Dahlitz handle, welche der Vater dem Besitzer von Dollan mit Freuden zum Manne geben würde.

Da war es denn nun ein seltsames Ding, wie von den beiden Vettern, die bis dahin unzertrennlich gewesen waren, jeder seinen eigenen Weg zu gehen anfing, und beide, wo sie sich nicht ausweichen konnten, sich mit ernsten, prüfenden, fast feindlichen Blicken betrachteten, die zu sagen schienen: ich bin doch der bessere Mann.

Im Grunde seines Herzens mußte Jeder eingestehen, und gestand sich Jeder, daß die Sache mindestens sehr fraglich sei; und so dachten und sagten die sechs Richter, welche sich die beiden Vettern gewählt, und deren Ausspruch sie unweigerlich folgen zu wollen erklärt hatten. Es waren aber auch alle Sechs untadelhafte junge Männer, die ihre schwierige Aufgabe sehr ernst, ja feierlich nahmen, und lange, sehr lange Sitzungen hatten, bei denen ungeheure Quantitäten guten alten Rothweins getrunken und eine unglaubliche Anzahl von Pfeifen geraucht wurden, bis sie denn endlich zu folgendem Resultat kamen, das man allgemein als ein weises und vollkommen sachgemäßes pries.

Derjenige der beiden Vettern sollte der beste Mann sein und als solcher von den Richtern und aller Welt angesehen werden, welcher sechs von ihnen zu stellende Aufgaben am besten löste.

Nun wären die guten Vettern in eine schlimme Lage gekommen, wenn die Richter sich ihre Weisheit aus irgend einem philosophischen oder sonstigen gelehrten Buche geholt hätten; aber Keinem von ihnen war auch nur der Gedanke daran gekommen. Der beste Mann würde nach ihrem Ermessen der sein, welcher erstens ein dreijähriges, noch nie gerittenes Hengstfüllen binnen zweimal vierundzwanzig Stunden den Richtern in den vier Hauptgangarten Schritt, Trab, Galopp und Carrière würde vorreiten können; zweitens die Haide von Dollan von dem Herrenhause bis zu der alten Schmiede mit einem Gespann von vier jungen feurigen Pferden im Galopp und in einer bestimmten Linie durchmessen; drittens von dem Festlande bis zu einem auf der Höhe ankernden Schiff eine deutsche Meile weit schwimmen; viertens von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang – man war im Juni und die Nächte waren kurz – ein Dutzend Flaschen Rothwein ausstechen, und fünftens während eben dieser Zeit mit je drei Preisrichtern würde Boston spielen, ohne einen groben Fehler zu machen. Waren aber, wie man fast erwartete, auch jetzt die Richter immer noch nicht schlüssig geworden, so hatten die Vettern jeder auf zweihundertfünfzig Schritte zwölf Schüsse mit der Büchse nach der Scheibe zu thun, und wer die meisten Ringe schösse, sollte „der beste Mann“ und Herr von Dollan sein.

Diese sechste und letzte Probe war im Grunde ein Nothbehelf, zu dem sich die Richter nur ungern entschlossen. Denn daß Bogislaf nicht nur der beste Schütze von den Beiden, sondern auch der beste auf der ganzen Insel war, wußte jedes Kind; aber die Sache mußte doch einmal zur Entscheidung kommen, und da Adolf, vielleicht hoffend, es werde ihm schon vorher der Preis zufallen, gegen Nummer Sechs nichts einzuwenden hatte, so war Alles in Ordnung, und das Kampfspiel konnte beginnen.

Es begann und verlief, wie man allgemein erwartet hatte. Die beiden jungen Enakssöhne ritten ihre Pferde, lenkten ihre Wagen, schwammen ihre Meile, tranken ihre zwölf Flaschen, spielten ihr Boston so gleich meisterhaft und tadellos, daß die scrupulösesten Augen keine Unterschiede in der Güte der Leistungen machen konnten und die Richter schweren Herzens zur letzten Probe schreiten mußten, deren Ausfall ja nicht weiter zweifelhaft war.

Und schwer, centnerschwer mochte dem armen Adolf das Herz in der tapfern Brust hangen, als er an dem verhängnißvollen Tage auf den Plan trat. Er war sehr niedergeschlagen, und das heimliche Zureden derjenigen unter den Richtern, die ihm noch ganz besonders wohl wollten, verfing nicht. „Es ist ja nun doch Alles vergebens,“ sagte er.

Aber merkwürdiger Weise schien Bogislaf nicht minder bewegt, ja noch bewegter als sein Vetter. Er war bleich, seine großen blauen Augen waren wie erloschen und lagen tief in den Höhlen, und seine speciellen Freunde bemerkten zu ihrem Schrecken, daß, als sich die Vettern diesmal, wie immer vor Beginn des Kampfes, die Hände schüttelten, seine Hand – die sonst so starke braune Hand – zitterte wie die eines furchtsamen Mägdeleins.

Die Vettern, die umschichtig schießen sollten, loosten; Adolf hatte den ersten Schuß. Er zielte lange, setzte ein paar Male ab und traf doch nur den vorletzten Ring.

„Ich wußte es ja vorher,“ sagte er und fuhr sich über die Augen und hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten; aber er horchte hoch auf und athmete tief, als jetzt statt des „Centrums“, welches er erwartet, die Nummer des letzten Ringes von der Scheibe gewinkt wurde und der eine der Richter die Nummer laut ausrief.

War es möglich? nun, dann war auch noch Hoffnung da. Adolf nahm alle Kraft zusammen; er schoß besser und besser, drei, vier, sechs, neun und zehn, und wieder sechs und wieder zehn; und Bogislaf blieb immer einen Ring hinter ihm, nicht mehr und nicht weniger – immer einen Ring.

„Er spielt mit ihm wie die Katze mit der Maus,“ hatten nach den ersten drei Schüssen die Preisrichter unter sich gesagt.

Aber Bogislaf wurde immer bleicher und bleicher, und seine Hand zitterte jedesmal stärker und wurde nur ruhig in dem Momente, wo er den Schuß abgab; aber es war immer ein Ring weniger, als Adolf geschossen, und nun kam der letzte Schuß, für Adolf der schlechteste, den er gethan. In seiner ungeheuren Aufregung hatte er nur eben den Rand der Scheibe angesplittert; wenn Bogislaf jetzt Centrum schoß, hatte er doch gesiegt: der Ausgang des langen Kampfes, das reiche Erbe, die schöne Braut – Alles, Alles hing an dem einen Schuß.

Und bleich wie der Tod trat Bogislaf auf den Stand; aber seine Hand zitterte nicht mehr; fest, als wäre Arm und Büchse Eines, lag er im Anschlage, nicht um eines Haares Breite schwankte das blanke Rohr, und jetzt krachte der Schuß. „Die sitzt,“ sagten die Richter.

Die Zeiger traten vor, suchten und suchten; sie konnten die Kugel nicht finden; die Richter gingen hin und suchten und suchten; sie konnten die Kugel nicht finden. Das Unerhörte, kaum Glaubliche war geschehen – Bogislaf hatte nicht einmal die Scheibe getroffen.

Die Richter sahen sich bestürzt an und wagten um des armen Bogislaf willen kaum auszusprechen, was doch gesagt werden mußte. Da trat Bogislaf auf seinen Vetter zu, der mit niedergeschlagenen Augen, als schämte er sich seines Sieges, dastand, ergriff ihn bei der Hand und wollte offenbar etwas sagen, das nicht über die bleichen zuckenden Lippen kam. Aber ein Fluch konnte es wohl nicht sein, denn er fiel Adolf weinend um den Hals, drückte ihn an seine Brust, riß sich dann los, schritt, ohne weiter ein Wort zu sprechen davon und verschwand.

Er blieb verschwunden. Viele nahmen an, er habe sich das Leben genommen; Andere wollten wissen daß er sich hoch oben in Norwegen in Eis und Schnee vergraben habe, um Bären und Wölfe zu jagen; und sie mochten Recht haben.

Jedenfalls war er nicht todt, sondern erschien nach mehreren Jahren plötzlich wieder auf dem Gute eines der Freunde, der auch zu den Preisrichtern gehört hatte, und hier trafen ihn sein Vetter Adolf und dessen junge Frau Ulrike – ganz zufällig, denn sie hatten nichts von seiner Rückkehr gehört, und die junge Frau war so erschrocken, daß sie in Ohnmacht fiel und nur mit Mühe in’s Leben zurückgebracht wurde. Sie hatte nämlich immer zu Denen gehört, die Bogislaf für todt gehalten, und war darüber schon ein paar Mal mit ihrem Manne in Streit gerathen, welcher stets das Gegentheil behauptet. Man sagte, daß dies keineswegs der einzige Differenzpunkt zwischen den Gatten sei, und es gab da in der That der Ursachen so manche, welche das junge eheliche Glück nicht so recht aufkommen lassen wollten. Zwar war der alte verschwenderische Herr von Dahlitz, der sein Gut an einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_580.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)