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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Häuser von Hospenthal mit dem grauen Longobardenthurm gleich Maulwurfshügeln emporragen. Am Ausgange des unansehnlichen Dorfes, von wo man die Furka- und Rhonegletscher in einigen Stunden ganz bequem zu Wagen erreichen kann, wurden wir durch das großartige „Hôtel zum Meyerhof“ überrascht, vor dessen Thür uns geschäftige Kellner in schwarzen Leibröcken und mit weißen Binden, verschleierte Engländerinnen, Touristen, Führer mit ihren Pferden, Sesselträger, kurz der ganze Troß, der Einem nur zu oft durch seinen Lärm den Genuß an der herrlichen Natur verleidet, schon von Weitem begrüßte.

Bellinzona.

Ohne uns aufzuhalten, zogen wir an dem nahen Andermatt vorüber, durch das Urner-Loch, einen interessanten, schon seit dem Jahre 1707 in den Felsen gehauenen Tunnel, zu der berühmten Teufelsbrücke, unter der die wilde Reuß mit dem Donner von hundert Cascaden, schäumend, in weißen Gischt aufgelöst, zwischen den trotzigen Felsen dahinstürmt. Ein kühner Bogen schwingt sich fast hundert Fuß hoch und fünfundfünfzig Fuß breit über den Abgrund, in dessen Tiefen das Wasser tobt. An die sichere Brüstung gelehnt, genossen wir das in der That großartige Schauspiel, das noch durch die Beleuchtung einen eigenthümlichen Reiz erhielt, als die Sonnenstrahlen die aufsteigenden Wasserstaubwolken in farbige Regenbogenringe verwandelten, die sich ineinander verschlingend ein magisches Farbenspiel bildeten. Hier an dieser Stelle kämpften im Jahre 1799 die verbündeten Russen und Oesterreicher gegen die Franzosen, welche weder die wüthende Reuß noch die steilen Felsen zurückschreckten, an denen sie unter dem Kugelregen ihrer Gegner emporkletterten. In das Toben der Brandung mischte sich der Donner der Kanonen, das Geschrei der Verwundeten und Sterbenden, und der weiße Gischt färbte sich roth von dem Blut der Erschlagenen, so daß die Teufelsbrücke damals in der That ihren Namen verdiente.

In vielfachen Schlangenwindungen, die sich jedoch auf Seitenpfaden, den sogenannten „Kehren“, abkürzen lassen, führte uns der Weg durch die nackte Schlucht der Schöllinen, die an Oede und Gefährlichkeit dem gefürchteten Trümmelethal nicht nachsteht. Dafür entschädigte uns im ferneren Verlauf der Reise der Anblick der herrlichen Landschaft, die sich mit jedem Schritt großartiger und schöner entfaltete. Zu beiden Seiten wechselten grüne Matten, malerisch gelegene Hütten, prächtige Tannenwälder mit den riesigen Bergen und blitzenden Schneefeldern ab. Mitten durch die prächtige Landschaft rauscht die tobende Reuß, die uns fortwährend begleitete. Die Straße ist mit bewunderungswürdiger Kunst und Kühnheit angelegt und macht eben so sehr ihrem Erbauer wie der Schweizer Regierung alle Ehre. Man kann sich keine Vorstellung von den Schwierigkeiten machen, welche der Architekt zu überwinden hatte; bald mußte er einen Berg umgehen, bald durch den widerstrebenden Felsen sich eine Bahn brechen, bald furchtbare Abgründe überwölben.

Wir ruhten an der sogenannten Pfaffensprungbrücke einige Minuten aus und blickten schaudernd in den siedenden Wasserkessel der tiefen Schlucht, über die nach der Sage ein Mönch mit seiner entführten Beichttochter den kühnen Sprung gewagt haben soll, ohne den Hals zu brechen; ein neuer Beweis, daß der Himmel seine frommen Diener beschützt, auch wenn sie nicht immer den Pfad der Tugend wandeln. – Nach kurzer Rast setzten wir unsere genußreiche Wanderung bis Amstäg fort, wo wir im „Weißen Kreuz“ einen nach der anstrengenden Fußtour doppelt willkommenen Retourwagen fanden, der uns in kurzer Zeit nach Altdorf brachte, wo wir einige Stunden verweilten. Hier betraten wir den classischen Boden der Tellsage. Das leider künstlerisch nicht besonders gelungene Standbild des berühmten Schweizer Helden bezeichnet die Stelle, auf welcher der kühne Schütz gestanden haben soll, während an dem gegenüberliegenden Thurm, der mit Fresken aus Tell’s Leben verziert ist, der unerschrockene Knabe den Pfeil des Vaters erwartete. – Mit Hülfe des Omnibus kamen wir noch rechtzeitig in dem nahen Fluelen an, um das letzte nach Luzern gehende Dampfboot zu benutzen. Unstreitig zählt eine Fahrt auf dem Vierwaldstädter See bei günstigem Wetter zu den unvergeßlichen Genüssen. Gleich einem riesigen Spiegel, worin die herrliche Natur sich selbst bewundert, breitet er sich meilenweit im Schooße der erhabenen Alpenwelt aus. Seine reizenden Ufer, von Sage und Geschichte umschwebt, vereinen den Zauber einer fast südlichen Vegetation mit der ganzen Großartigkeit des Hochgebirges. Freundliche Villen, Dörfer und Städte laden überall zum längeren Verweilen und zu den lohnendsten Partien ein. Von unserem Dampfboot, das den Namen Tell führte, begrüßten wir die von dem Genius unseres Schiller geweihten Orte, zunächst die Tellsplatte, wo der verwegene Schütz in mächtigem Sprung das ersehnte Ufer erreichte, als der tyrannische Vogt ihm das Steuerruder im wilden Sturm anvertraute. Dort steht zur Erinnerung an die kühne That eine offene Capelle, wo alljährlich das Volk der Urcantone die glückliche Rettung seines nationalen Helden durch Gottesdienst und öffentliche Spiele feiert.

Darüber erhebt sich die neue, senkrecht über dem See in den Felsen gesprengte Axenstraße, ein Meisterwerk der berühmten Schweizer Wegebaukunst. Zu beiden Seiten steigen die Riesen der Alpenwelt, die kolossale Pyramide des Frohnalpenstocks, die Windgälle, das Scheerhorn und die röthlich schimmernden Mythenstöcke empor, während zur Linken und zur Rechten die üppigsten grünen Thäler sich erschließen. Dieser Theil der großen Wassermasse, welcher den Namen „Urner See“ führt, ist selbst das herrlichste Gedicht des Schöpfers, ein Hymnus des Ewigen, ein zum Himmel aufsteigender Lobgesang. In den klaren Fluthen spiegeln sich die Häupter der Berge, die weißen schimmernden Gletscher, die grünen Wälder, die goldene Sonne, ein entzückendes Bild, das keine menschliche Phantasie zu ersinnen und selbst der größte Künstler nicht wiederzugeben vermag.

Dort unter dem Seelisberger Kulm, wo eine beliebte Schweizer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_558.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)