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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Kampfe als Sieger oder als Besiegte hervorgehen; in Deutschland wird sich Italiens Schicksal entscheiden.“

Wie wörtlich ist dies, freilich nicht damals, aber im Laufe der Zeit, in Erfüllung gegangen! Nicht Frankreichs Siege bei Magenta und Solferino, sondern Preußens Auftreten verschaffte im Jahre 1859 den Italienern die Lombardei, Sadowa im Jahre 1866 das venetianische Königreich, die Siege über Frankreich im Jahre 1870 die Stadt Rom. Und freilich, wer hätte zu jener Zeit ahnen können, daß derselbe Mann, der jetzt Rom zur Hauptstadt Italiens zu erheben trachtete, zweiundzwanzig Jahre später Diejenigen verfluchen und mit Bann und Interdict belegen würde, die es dann wirklich thaten! Das Ziel ist erreicht worden, dem Pius damals mit Aufopferung aller Kräfte nachstrebte – Italien ist einig – und nun, wie steht er dazu! –

„Die französische Republik,“ fuhr Pius fort, „wird die Freundin Italiens sein. Sie billigt und begünstigt unsere Bestrebungen. Aber sie will den Frieden und wird Italien seinen eigenen Weg gehen lassen.“

Wohl hütete sich Frankreich damals, für Italien gegen Oesterreich aufzutreten. Das „den eigenen Weg gehen lassen“ aber bestand dann, daß schon am 30. Juni 1849 die Rothhosen das damals noch tüchtige Rothhemd Garibaldi aus der Republik Rom vertrieben, sich dann selbst für mehr als zwanzig Jahre in der Siebenhügelstadt festsetzten und fortan Italien nach ihrer Pfeife tanzen ließen.

Ein Prophet war Pius der Neunte somit in diesem Punkte entschieden nicht. Indeß wer hätte damals anders prophezeien können? – Er sprach dann noch eine Zeitlang in ruhiger, klarer und eleganter Rede über das Verhältniß, welches die Republik Frankreich den übrigen Staaten Europas, namentlich Deutschland gegenüber, einnehmen würde, und betonte dabei den im französischen Volke tiefer als in irgend einem andern wohnenden monarchischen Sinn, ohne jedoch die so naheliegende Schlußfolgerung ausdrücklich zu ziehen.

Nun aber sollte mir noch eine unerwartete Ueberraschung zu Theil werden.

„Was sind Sie?“ fragte er nach einer kleinen Pause.

„Officier in Diensten Seiner Hoheit des Herzogs von Braunschweig.“

„Von Braunschweig – in Deutschland?“

„Zu dienen, Ew. Heiligkeit.“

„Dann sind Sie also ein Hannoveraner?“

Da standen die Ochsen am Berge! – Mir war in meiner Kindheit stets gesagt worden, der Papst sei unfehlbar. Dieser Papst, vor dem ich stand, übte einen solchen Zauber auf mich aus, daß ich in jenem Augenblicke fast an seine Unfehlbarkeit zu glauben fähig gewesen wäre, obgleich sie erst zweiundzwanzig Jahre später zum Dogma erhoben wurde. Nun war ich mir freilich bewußt, im Lande Braunschweig geboren zu sein; auch stand in den Briefen, die ich erst gestern aus der Heimath erhalten, kein Wort davon, daß mein Landesherr zu seinen Vätern versammelt worden und der König Ernst August in der alten Welfenstadt das Regiment führe. Ich begann irre an mir selbst zu werden. Klar war mir aber: selbst wenn ich einen Zweifel an Dem hegte, was der heilige Vater eben so apodiktisch behauptete, es wäre völlig unangemessen gewesen, ihm Worte zu leihen oder gar mich zu unterfangen, dem Statthalter Christi eine Belehrung in Betreff der deutschen Geographie zu ertheilen. Aber antworten mußte ich auf die Frage; glücklicherweise besitzt die Sprache des Macchiavelli ein kleines Wort, „altero“, zu Deutsch „etwas Anderes“, welches, gleich dem Kopfe des Janus, nach zwei entgegengesetzten Seiten blickt. Es drückt zuvörderst einen directen und entschiedenen Widerspruch gegen die Meinung des Andern aus und gleicht in diesem Sinne auf’s Haar dem Berliner „I, wo!“ Nicht weniger aber steht es dem Italiener frei, sich mit demselben „altero“ von der Meinung des Andern zu entfernen, indem man ihn in seiner eigenen Richtung überflügelt und hinter sich zurückläßt. In diesem Falle sagt der Berliner: „Na, ob!“

Ich hatte nun freilich ein ganz richtiges Gefühl, daß hier im Quirinal das Wort „altero“ etwa ebenso angebracht sein möchte, als wenn ich im Weißen Saale zu Berlin einem gekrönten Haupte mit „I, wo!“ oder „Na, ob!“ unter die Augen ginge. Indeß ich sah keinen Ausweg. Ich verbarg also meine Verwirrung hinter einer tiefen Verbeugung und sprach im bescheidensten Tone das vieldeutige Wort „altero“ mit der Ueberzeugung, Pius würde unfehlbar den richtigen Sinn errathen.

Wahrscheinlich lächelte er darob. Dann aber richtete er wieder huldvoll das Wort an mich:

„Sie sind Officier?“

„Zu Befehl, Ew. Heiligkeit.“

„Der Infanterie oder der Cavallerie?“

„Der Cavallerie.“

„Das freut mich. Auch ich bin Officier in der Cavallerie gewesen; aber ich habe nur wenige Jahre die Waffen getragen; meine Gesundheit ertrug die Anstrengungen des Dienstes nicht. Auf den Wunsch des Papstes Gregor vertauschte ich den Degen mit dem Brevier. Damals bedauerte ich dies sehr; aber jetzt bin ich völlig zufrieden damit, denn Sie sehen“ (und hierbei lächelte er mit einer wunderbaren Mischung von Güte und liebenswürdiger Heiterkeit), „ich habe es in meinem jetzigen Stande recht weit gebracht, viel weiter, als ich irgend hoffen durfte. Möge es Ihnen in Ihrem Stande ähnlich ergehen!“

Der Statthalter Christi geruhte mit einem Lieutenant zu scherzen, und in solchem Augenblick! Ich war völlig überwältigt. Ich versuchte die Versicherung von mir zu geben, aller militärische Ruhm und Erfolg, der mir etwa beschieden sein sollte, könne das Glück dieser Stunde nicht aufwiegen – es gelang aber nur mittelmäßig, und darob wird Niemand mich verdammen.

Wohl eine Viertelstunde mochte über diesen Unterredungen vergangen sein; schon viel zu viel seiner kostbaren Zeit hatte der Papst an mich verschwendet.

„Haben Sie Rom gründlich gesehen?“ begann er wieder.

„So gründlich, Ew. Heiligkeit, als man in der kurzen Zeit von drei Monaten kann; aber ich habe es unendlich lieben gelernt.“

„Wann reisen Sie ab?“

„Uebermorgen.“

„Nun, wenn Sie Rom so lieben, dann brauche ich Ihnen wohl nicht zu empfehlen, vor der Abfahrt aus Fontana Trevi zu trinken, Sie werden auch ohne das wiederkommen.“

„Rom wiederzusehen wird stets das Ziel meiner brennenden Sehnsucht sein.“

„Wohlan, so wünsche ich Ihnen glückliche Reise, und möge unser Herrgott stets mit Ihnen sein.“

Bei diesem Worte streckte der Papst mir wieder die linke Hand entgegen. Ich verneigte mich von Neuem mit einer Kniebeugung und küßte die Hand. Während dessen legte er die Rechte leise auf meinen Kopf, – ließ sie einen Augenblick da ruhen, um mir seinen Segen zu ertheilen. Als er sie zurückzog, erhob ich mich, machte eine tiefe Verbeugung und schritt rasch der Thür zu, welche sich von selbst lautlos vor mir öffnete. Ich wendete mich nochmals, verneigte mich noch einmal voll Ehrfurcht und Dankbarkeit und schritt über die Schwelle. Dort stand der Kammerherr.

„Ich wünsche Ihnen Glück,“ sagte er. „Selten oder nie pflegt Se. Heiligkeit so spät am Abend Jemand zu empfangen, und gerade heute war er mehr als gewöhnlich von den Geschäften beunruhigt und abgespannt.“ Dann geleitete er mich bis an die große Treppe und verabschiedete sich mit freundlichem Händedruck von mir.

Unten in der Halle sühlte sich in bequemer Lage auf einer Bank mein Freund, der Schweizer aus dem Münsterlande.

„Was hat denn der heilige Vater so Wichtiges und so Langes mit Ihnen zu reden gehabt?“

„Nichts, was ich wiedersagen dürfte – aber hier etwas für Euch, um auf sein und mein Wohl zu trinken.“

Dabei gab ich ihm einen ganzen Scudo, den er mit treuherzigem „Vergelt’s Gott!“ schmunzelnd in der Hand umdrehte. Und dies ist das einzige Mal, daß ich im classischen Lande der Trinkgelder Freude daran empfunden habe, eins zu geben.

Es schlug halbelf Uhr auf Ara Celi, als ich die breite capitolinische Treppe hinanstieg zum Palazzo Caffarelli, wo eine kleine Gesellschaft von Freunden meiner seit drei Stunden geharrt hatte. Man hatte bereits nach meiner Wohnung geschickt und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_555.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)