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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 34.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Orangenzweig.


Von A. Godin.


(Fortsetzung.)


Gewonnen?


Das federngeschmückte Haupt der stattlichen Vergnügungspräsidentin strahlte heute von ungewöhnlicher Befriedigung, während sie mit ihren beiden Schutzbefohlenen den Saal durchschritt, um den stets für sie reservirten, bevorzugten Platz auf dem erhöhten Purpurdivan einzunehmen. Lautes und leises Flüstern hatte sie bewundernd auf dem kurzen Wege begleitet und ihre schon im Toilettenzimmer gemachte Wahrnehmung bestätigt, daß ihre „Balltöchter“ verdienten, die allgemeine Aufmerksamkeit heute auf sich zu lenken. Während sie sich majestätisch niederließ, sah sie Beide schon von Tänzern umringt, und es befriedigte sie ungemein, nicht nur Eugenie Wallmoden, sondern auch die ihrem mütterlichen Schutz anvertraute Fremde so rasch umworben zu sehen.

Allerdings war auch Gerta von Röder eine Erscheinung, die wohl nirgend unbeachtet bleiben mochte. Beim Anblick ihrer Figur wurde man unwillkürlich an jene in der Antike öfter vorkommenden Venusgestalten unter Lebensgröße erinnert – das lieblichste Ebenmaß ließ vergessen, daß sie mehr einem zierlichen Cabinetsstücke glich, als einem richtigen, mit gewöhnlichen Organen ausgestatteten Menschenkinde, und das Gesichtchen, frisch wie Thau, blickte so schelmisch befriedigt der Gegenwart in’s Auge, als wäre jede Stunde eine schimmernde Regenbogenbrücke, die sich leicht schwebend überschreiten läßt. Jene köstliche Naivetät, die sechzehnjährige Mädchen zuweilen umwebt, wie der Flaum eine frische Frucht, quoll aus jedem ihrer Worte und schaute als helle Wahrheit aus den treuherzig frohen Augen. Wer diesem Kindesblick begegnete, empfand: ihr war noch keine Ahnung davon aufgegangen, daß auf der Welt nicht Alles Freude und Liebe sei. In den zartblauen Gazewellen ihres leichtgebauschten Kleides glich sie mit der raschen, flatternden Beweglichkeit, die ihr eigen, einer Tochter der Luft. Aber der dichte Vergißmeinnichtkranz in den braunen Flechten und das blitzende Blauauge sprachen von der frohen Schönheit der Erde. Trotz aller Lebendigkeit war die kleine Libelle doch sichtlich darauf bedacht, immer dicht in der Nähe ihrer Gefährtin zu bleiben, zu welcher sie im Gedränge all der Vorstellungen und Engagements häufig hinüber oder vielmehr aufschaute, denn ihr Scheitel reichte höchstens bis zum Nacken der edelschönen Mädchengestalt neben ihr.

Seit Eugenie Wallmoden den Saal betreten, haftete manches Auge bewundernd auf der selten auftretenden, stets aber als Krone der Gesellschaft anerkannten Erscheinung. Sie trug ein wallendes Kleid vom zartesten, mit unzähligen durchsichtigen Perlen übersäeten Gewebe, das weiß und weich glitzerte, wie eine frischgefallene Schneeflocke. Ein leichtes Gewinde von Heckenrosen zeichnete von der linken Schulter bis zum Knie die anmuthigste Linie, und gleiche bethaute Rosen hielten die duftige Draperie des Halsausschnittes und die Pracht der blonden Locken als Agraffen. Eben beschäftigt, den Namen eines Tänzers, dem sie zugesagt, in ihre Ballkarte zu zeichnen, zuckte plötzlich ihre Hand, ein zartes Roth stieg bis zu den Brauen empor und wurde tiefer, als sie mit unwillkürlicher Bewegung den Kopf nach Gerta umwandte, die, hinter ihr stehend, einige Worte mit einem hochgewachsenen Officier tauschte und ihr fast im gleichen Augenblicke halbverlegen sagte: „Dieser Herr wünscht Dir vorgestellt zu sein, Eugenie, aber –“

„Nun, mein Fräulein?“

„Ei, wie kann man vorstellen, wenn man den Namen selbst nicht weiß!“ platzte die Kleine halb schmollend heraus. „Herr von Wellenberg hat ihn gewiß mit Fleiß so undeutlich ausgesprochen und sich fortgemacht, nur um mich dann stecken zu lassen. Also Eugenie, nimm vorlieb, wenn ich Dir präsentire den Herrn Rittmeister, den Herrn Baron von – Unbenannt!“ Schon war das lächelnde Kind wieder neu in Anspruch genommen, und der so eigenthümlich Vorgestellte stand einen Moment schweigend vor Eugenie, den Blick auf ihre fein gezeichneten Züge geheftet. Der seltsame Ausdruck, mit welchem sein Auge sie gleichsam umspann, hätte ihr auffallen müssen, wäre das ihrige nicht gesenkt geblieben, bis er mit dem leisen, sonoren Klang, der ihr Ohr bereits einmal getroffen, sagte: „Mein Name ist Triefels.“

Nun sah sie sinnend auf. „Seltsam,“ erwiderte sie mit halbem Lächeln, „Ihr Name klingt mir bekannt, und doch weiß ich mich keines Portraits zu solcher Unterschrift zu erinnern!“

„Vielleicht eines landschaftlichen? Kennen Sie die Pfalz, gnädiges Fräulein?“

Noch während er sprach, wölbten sich die feinen Lippen zustimmend: „Nun bin ich daheim, nun weiß ich, was mich aus dem Namen grüßte und weshalb ich dabei an eine Gestalt dachte, statt an die sagenreiche, schöne Stätte – es war der Schatten von Richard Löwenherz, der aufstieg!“

„Vor Alters hausten dort die Meinen,“ sagte Triefels, indem er mit bittender Bewegung die Tanzkarte aus Eugeniens Fingern nahm und sich nach raschem Ueberblick einzeichnete. Weder in dem Worte, noch in der Beschäftigung lag eine Erklärung für das leise, fast nervöse Erzittern, von welchem Eugenie sich ergriffen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_547.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)