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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Dieses Treibens müde, waren wir aus dem Corso über den capitolinischen Berg und das Forum zum Colosseum gegangen. In dem mächtigen Rundbau, dessen Boden unter den römischen Kaisern allein das Blut von zweihundertsechszigtausend Christen getrunken hat, herrschte so tiefe Ruhe, als stände die Zeit still. Warm ergoß die Frühlingssonne ihren Strahl von oben; blühender Goldlack kleidete allenthalben das zertrümmerte Gemäuer in wundervolle Farbe und verhauchte entzückenden Duft. Lange saßen wir dort, um Abschied zu nehmen von dieser Stätte, die eindringlicher als irgend eine andere von Menschenhand geschaffene die Vergänglichkeit alles Irdischen predigt. Und wie bedeutungslos und nichtig erschien Das, was an diesem Tage Hunderttausende von Herzen so leidenschaftlich bewegte, gegen die großen Ereignisse, welche seit dritthalb Jahrtausenden sich auf diesem classischen Boden abgespielt hatten! Endlich mußten wir uns losreißen. Ich stieg zur Casa Tarpeja hinauf, dem höchsten Punkte des capitolinischen Berges und Roms, wo ich beim Organisten der preußischen Gesandtschaft ein freundliches Zimmer bewohnte, mit entzückender Aussicht über die im schönen Bogen vom Tiber durchschnittene Stadt, die Campagna, das Sabiner- und Albanergebirge und den schneehäuptigen Soracte.

Da lag auf dem Tische ein zusammengefaltetes Papier, mit einer Oblate versiegelt und der einfachen Aufschrift: Al Signor Barone di N. .. Casa Tarpeja, welches ich im ersten Augenblick für nichts Anderes halten konnte, als die Rechnung der Angela Bianchi über die gestern zum Mitbringen eingekauften seidenen römischen Shawls und Schärpen. Rechnungen zu eröffnen, ist stets unangenehm. Indeß es war Zeit, meine Angelegenheiten zu ordnen; daher griff ich tapfer nach dem Papier. Da las ich:

 „Aus dem päpstlichen Oberhofmeisteramt im Quirinal, 25. März 1848.

Der Herr Baron N. .. (natürlich war der Name falsch geschrieben) wird benachrichtigt, daß Seine Heiligkeit die Gnade haben wird, ihn morgen, am 26. d. M., Abends 7½ Uhr zur Audienz zuzulassen.

 Aufgang über die große Treppe.

 Der Oberkammerherr Seiner Heiligkeit

 de Medici.“

Ich traute meinen Augen nicht. Es war zu jener Zeit für einen Fremden, selbst einen Protestanten, nicht schwer, zu den häufig stattfindenden großen Audienzen Zutritt zu bekommen, wo Pius hundert und mehr Personen auf einmal sich vorstellen ließ und an Viele von ihnen huldvolle Worte richtete. Aber sowohl der hannoversche als der preußische Gesandte, meine beiden natürlichen Beschützer, hatten mir erklärt, bei einer derartigen Cour mich nicht vorstellen zu können, weil ich die Uniform zu Hause gelassen hatte und der schwarze Frack zu bescheiden für solchen welthistorischen Moment erschien. Auf den Rath eines Freundes, welcher in römischen Hintertreppen wohlbewandert war, hatte ich indeß eines Tages en passant meinen Namen nebst Adresse auf dem Bureau des päpstlichen Oberhofmeisteramtes in ein dickes Anmeldungsbuch eingezeichnet, mehr im Scherz als im Ernst, und ohne die geringste Hoffnung, durch diesen schwachen Versuch etwas zu erreichen. Und nun sollte ich nicht etwa in der großen Herde mitlaufen, welche dem Statthalter Christi vorbeigetrieben zu werden pflegte, sondern ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und mit ihm reden. Ich gestehe, daß in meine Freude sich allerlei schwere Besorgniß mischte. War ich im Stande, in den wenigen Stunden, die mir noch blieben, mich in den Besitz einer etiquettemäßigen Toilette zu setzen? Denn ich stand ja schon mit einem Fuße in der Kalesche des Couriers, der mich nach Ancona befördern sollte. Und mehr noch: mein Italienisch reichte wohl aus, mich mit Wirthen, Facchinos und Custoden herumzuschlagen, auf meinen Streifereien im Gebirge in einladenden Klöstern beim Wein vom besten Fasse die Mönche auf meine Kosten zu amüsiren und mich noch besser auf die ihrigen, oder Abends im Café irgend einem modernen Horatius Cocles von meinem deutschen militärischen Standpunkte aus zu demonstriren, der Wunsch des „morire per la patria“ (für’s Vaterland sterben) könne ihm leichtlich erfüllt werden, aber es sei verzweifelt wenig Aussicht vorhanden, damit die tapfere österreichische Armee zum Weichen zu bringen, und was dergleichen Scherze mehr waren. Aber dem vielgeliebten Pius meine tiefgefühlte Ehrfurcht und meine aufrichtige Bewunderung auszudrücken, ohne mittelst eines bösen Sprachverstoßes vielleicht etwas sehr Unpassendes an den Tag zu fördern, das traute ich mir keineswegs mit Sicherheit zu. Ich wollte doch auch ihm gegenüber eine andere Form wählen, als kürzlich jener Pole gethan, zu dem Pius mit freundlichem Klopfen auf die Schulter gesagt: „bravo Polacco“, und der sich kurz und bündig dadurch revanchirt hatte, daß er die Hand des heiligen Vaters ergriff, sie tüchtig schüttelte und dreimal „bravo Papa“ ausrief. Schon begann ich ernstlich den Vorwitz zu bereuen, mit dem ich meinen Namen in das dicke Buch im Quirinal hineingekritzelt hatte. Indeß die Sache konnte doch auch gut ablaufen, und was hatte ich dann in der Heimath zu erzählen!

Glücklicherweise lag der Palazzo Caffarelli, wo die preußische Gesandtschaft sich befindet, nur wenige Schritte von der Casa Tarpeja entfernt. Dort verscheuchte ein befreundeter Attaché meine Toilettensorgen durch die Mittheilung, daß ein einfacher schwarzer Anzug mit weißer Cravatte für die Audienz genüge; auch in Betreff der zu beobachtenden Formen, welche für Protestanten andere sind als für Katholiken, erhielt ich von ihm einige Anweisung und wurde im Uebrigen auf die Eingebung des Augenblicks vertröstet. Dann hinterließ ich beim preußischen Gesandtschaftsprediger, wo heute Abend ein kleines Abschiedsfest für mich angeordnet war, die Nachricht, daß ich vielleicht etwas später erscheinen würde, und benutzte die wenige noch übrige Zeit zu einem Spaziergange in dem reizend auf einer Anhöhe am Tiber gelegenen Garten des Priorats von Malta und zum Bewundern des Sonnenunterganges von der Loggia auf dem Dache der Casa Tarpeja. Guten Muthes bestieg ich Abends den pünktlich gekommenen Wagen, und fünf Minuten vor der festgesetzten Zeit stand ich am Aufgange der großen Treppe im Quirinalischen Palaste, den Pius damals bewohnte.

Von den beiden Schweizern, welche unten in der Halle Wache hielten, mit gelb und roth gestreiften mittelalterlichen Wämsern und Pluderhosen, lange Hellebarden in der Hand, fragte mich der eine nach meinem Begehr. Ich eröffnete ihm sofort auf gut Deutsch, was mich hergeführt; er erkannte in mir den norddeutschen Landsmann, denn er war ein ehrlicher Westphale aus dem Münsterlande, und begleitete mich nun sehr dienstfertig die Treppe hinauf bis zum dienstthuenden Kammerherrn. Diesem, einem feinen jungen Italiener in geistlicher Tracht, überreichte ich meine Karte; er ersuchte mich darauf, ihm die Citation zur Audienz vorzuzeigen, überzeugte sich, daß ich kein frecher Eindringling sei, auch Tag und Stunde richtig innegehalten habe, und führte mich oben in eine Art Galerie, welche durch mehrere, von der Decke herabhängende Ampeln ziemlich schwach beleuchtet war.

„Nehmen Sie Platz – man wird Sie rufen“ – damit war er verschwunden.

Ich befand mich ganz allein in der Galerie; es kam auch weiter Niemand, und ich erkannte bald, daß ich die Ehre haben sollte, unter vier Augen von Seiner Heiligkeit empfangen zu werden. Um so besser! – Es war genau halb acht Uhr. Ich wiederholte in Gedanken rasch Alles, was ich zu thun hatte und zu sagen beabsichtigte; denn ich hatte mir doch der Sicherheit wegen beim Abendspaziergange noch einige schöne Redensarten zurechtgelegt, knöpfte den Knopf des rechten Glacéhandschuhes zu und war nun völlig bereit, dem höchsten Gebieter in der Christenheit entgegenzutreten. Indeß, eine Viertelstunde verging, und nichts unterbrach das tiefe Schweigen. Da öffnete sich leise die Thür; ein Geistlicher huschte herein, mit flüchtigem Kopfnicken an mir vorüber und verschwand. Wieder verging eine geraume Zeit. Ich wurde ungeduldig. Die Fürsten pflegen sonst von größter Pünktlichkeit bei Audienzen zu sein. Ich begann die Galerie auf den weichen Teppichen auf- und abzuwandeln und mir die großen Landkarten und die wenigen Bilder an den Wänden zu betrachten. Wieder ein Herr in geistlicher Tracht. Diesmal war ich kühn – ich vertrat ihm den Weg und sagte ihm, weshalb ich hier sei. Er antwortete sehr höflich: „Ja, mein Herr, ich weiß“ – und fort war er.

Indeß hatte, wie es schien, mein Wagstück doch einige Frucht getragen; der dienstthuende Kammerherr trat gleich darauf ein.

„Sie werden sich noch etwas gedulden müssen,“ sagte er „es sind gegen Abend politische Nachrichten von größter Bedeutung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_540.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)