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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Damit hatte die arme Frau einen ganz treffenden Vergleich gewählt, ohne zu wissen, daß gerade die Pilze, gleich dem Fleische, viel Stickstoff enthalten und deshalb eine so nahrhafte, fleischartige Speise sind, daß man, wie die reicheren Leute zu ihrem Braten, Kartoffeln oder Brod dazu genießt.

Als ich aber fragte: ob sie nicht ängstlich sei, sich und ihre Familie zu vergiften, da es doch viele Pilze gebe, die wegen ihrer giftigen Eigenschaften sehr berüchtigt, und wieder andere, die wegen ihres schlechten Geschmackes nicht genießbar seien, sah sie mich lächelnd an und meinte: wenn der Genuß der Schwämme so gefährlich sei, wie die Städter fürchteten, so müsse ihr ganzes Dorf längst ausgestorben sein. Denn vom Frühling bis zum Herbste seien die Pilze fast in jedem Hause das stehende Sonntagsgericht, da die meisten Waldbewohner viel zu arm seien, theures Fleisch zu kaufen, während die Schwämme der liebe Gott für Alle wachsen lasse, ohne dafür Bezahlung zu fordern. Und vollends heutzutage, wo die Preise der Lebensmittel immer höher steigen, wenn da nicht der Wald seine Schätze biete, so wisse sie wahrhaftig nicht, wovon man leben solle. Die Hauptsache sei nur, daß man die unschädlichen, eßbaren Schwämme genau kenne. Und zu dieser Kenntniß würden die Waldbewohner durch die Noth des Lebens schon von früher Kindheit an gedrängt, so daß ein Fehlgriff kaum jemals vorkomme, indem man eben nur die Arten sammele, die schon Großvater und Großmutter gegessen.

Die Frau war redselig geworden, da es dem Lob ihrer Schwämme galt.

Als ich aber weiter forschte, ob sie denn alle eßbaren Arten kenne, die Wald und Wiesen, Gärten und Triften in den verschiedenen Jahreszeiten böten, z. B. den Maischwamm, den Steinpilz, den Capuzinerpilz, den Eierschwamm, den echten Reizker, den Parasolschwamm, den Stockschwamm, den Schmerling, den Hallimasch, und wie sie alle heißen, diese originellen Kinder der Pflanzenwelt: da sah mich die Frau mit großen Augen an und schüttelte verwunderungsvoll den Kopf.

Und nun erzählte ich ihr, wie in Polen und Rußland die armen Leute monatelang fast lediglich auf die Schwämme angewiesen sind, um ihren Hunger zu stillen; wie in Oesterreich ungeheuere Pilzmassen zu Markte kommen und dort von einem in der Schwammkenntniß erprobten Marktmeister geprüft werden, ehe sie verkauft werden dürfen; wie anderwärts der Handel mit den gesammelten Schwämmen, die zum Theil sich trocknen und lange aufbewahren lassen, einen bedeutenden Erwerbszweig bildet, und erinnerte dabei an die kostbaren Trüffeln, die in den böhmischen Bädern feilgeboten werden, während in vielen andern Gegenden dieser Reichthum der Natur ein todtes Capital sei, das man nicht zu schätzen wisse und nicht zu verwerthen verstehe.

Die Frau hörte mir aufmerksam zu und hatte währenddeß ihre Vorbereitungen zum Mittagsmahl vollendet. Die Pilze waren zerschnitten und wurden nun mit einem Stückchen Speck in den Kochtopf gethan. Etwas Salz und gehackte Zwiebeln waren die Würze der eben so einfachen und wohlfeilen, als gesunden und kräftigen Kost. In den vornehmen Küchen mögen die Pilze kunstreicher und mannigfaltiger zubereitet werden, so daß bei manchen Arten die künstliche Zuthat zur Hauptsache wird. Da werden sie in Fleischbrühsuppe gekocht, zu Saucen verwendet, mit Butter, Petersilie oder geschabtem Käse gedämpft, oder mit Mehl, Eiern und Gewürz zu einem Teig geformt und in einer Pfanne gebacken. Diese raffinirten Zubereitungsarten sind den schlichten Waldbewohnern fremd, und ich glaube kaum, daß sie etwas dabei verlieren. Die dasigen Hausfrauen haben keine Zeit, lange in der Küche zu hantiren. Rasch sind die Pilze zubereitet und ebenso rasch – binnen einer Viertelstunde – gekocht. Gerade dies empfiehlt sie zu einem noch bei Weitem nicht genug beachteten Volksnahrungsmittel.

Jetzt kam der „Perlismacher“ in seinem Sonntagsstaate, mit dem Gesangbuche unter dem Arm, aus der fernen Kirche und grüßte mich mit der gemüthlichen Unbefangenheit, die den Gebirgsbewohnern eigenthümlich ist. Ich gab ihm meinen Wunsch zu erkennen, „für Geld und gute Worte“ einige Glasgebilde unter seiner geschickten Hand entstehen zu sehen. Er war bereit, diesen Wunsch zu erfüllen, sobald er zu Mittag gegessen habe.

Flugs eilte seine Frau in die Küche, das Sonntagsmahl herzurichten, nachdem sie mir noch scherzhaft zugerufen, daß man den fremden Herrn, der „beim Just“ eine ganz andere Tafel erwarte, doch wohl nicht zu Gaste laden dürfe. Und doch mochte ich einmal gerade mit diesen einfachen Leuten zu Tische sitzen, zumal ich wußte, daß kein Straußenmagen dazu gehört, eine tüchtige Portion schmackhafter Pilze zu ertragen, und daß schon die alten Römer, die wohl verstanden, was gut schmeckt, die Schwämme zu den Leckerbissen zählten. An reichlichem Vorrath aber fehlte es heute auch in der kleinen Hütte nicht. Dafür hatten die fleißigen Knaben gesorgt. –

Genug, ich theilte mit den freundlichen Waldbewohnern ihr einfaches Sonntagsmahl, das ich mit mancher langweiligen Table d’hôte nicht vertauscht haben möchte. Auch bei diesem kurzen Mahle drehte sich unser Gespräch um das Gericht, das insbesondere die Knaben mit sichtlichem Behagen verzehrten, so daß ich allen Ernstes vor bedenklicher Magenüberladung warnte. Der Vater aber lachte dazu und sagte: „Der liebe Gott meint es doch auch mit uns armen Leuten gut. Zwar läßt er kein Manna mehr vom Himmel regnen, aber er läßt nach jedem Regen immer neue Pilze hervorschießen, daß wir die Himmelsgabe nur zu nehmen brauchen, ohne den Herrn Förster um Erlaubniß fragen oder einen Gewerbeschein lösen zu müssen. So ernten wir, ohne gepflügt und gesät zu haben, und ob wir nicht eine Ruthe eigenen Landes besitzen. Und dazu haben wir einen Magen, um den uns die vornehmen Herren oft beneiden mögen. – Sehen Sie nur, die große Schüssel ist leer und bleibt nicht einmal ein Rest für unser Schweinchen übrig, dem die Schwämme ebenso gut schmecken, wie sie uns geschmeckt haben.“

„Sind Ihnen denn aber die Pilze nicht unheimlich, wie sie es, gleich den Eidechsen, Spinnen und Kröten, vielen Leuten sind?“

Diese Frage schien der brave Mann kaum zu verstehen. Als ich mich näher erklärte, daß doch schon viele Leute nach dem Genusse giftiger Schwämme gestorben seien, und daß weder Geschmack noch Geruch, weder Zwiebeln noch silberne Löffel über die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit derselben entscheiden könnten, so entgegnete er: „Nun wohl, so lerne man die eßbaren zuverlässig kennen; denn jede Vergiftung ist nur eine Folge der Unkenntniß oder der Unvorsichtigkeit. Sollte mir aber deshalb die Petersilie widerwärtig sein, weil sie dem Schierling ähnlich ist? Freilich giebt es außerordentlich zahlreiche Arten dieser wunderlichen Gewächse, die nicht blos Wälder, Wiesen und Triften schmücken, sondern auch auf den Bäumen und unter der Erde wachsen und, je nachdem sie jünger oder älter sind, ihre Formen und Farben wechseln. Die wir jedoch nicht zuverlässig kennen und als unschädlich erprobt haben, lassen wir ruhig stehen und erfreuen uns an ihrem schönen Anblick.“

„Wir erfreuen uns an ihrem schönen Anblick.“ Dieser Gedanke des wackeren Mannes, der mir zum Andenken einige Glaspilze mitgab, die er vor meinen Augen hervorgezaubert hatte, begleitete mich, als ich meine Schritte wieder dem flachen Lande zuwendete. Ueberall suchten meine Augen diese Parias des Pflanzenreiches, deren manche den prachtvollsten Blumen an Zierlichkeit und Farbenreiz kaum nachstehen. Dazu der tragische Zug des ephemeren Daseins, der durch diese fast märchenhaften Gebilde, durch diese seltsam verkörperten Erdgeister hindurchgeht.

Deshalb ist es geradezu unthunlich, einen irgendwie erschöpfenden Unterricht in der Schwammkunde (Myketologie) nach lebenden Exemplaren zu ertheilen oder Pilzherbarien anzulegen. Und doch scheint mir dieser Unterricht, auch in unseren Volks- und Fortbildungsschulen, wo man gar Manches lernt und lernen muß, was in’s praktische Leben niemals eingreift, um so bedeutungsvoller, als die Benutzung der eßbaren Schwämme noch eine sehr beschränkte und ihr volkswirthschaftlicher Werth, gerade in unserer theuren Zeit, noch lange nicht genug anerkannt ist. Eine trockene Beschreibung aber, selbst nach dem besten Lehrbuche, kann die Anschauung, gerade auf diesem Gebiete, niemals ersetzen. Auch Abbildungen mögen nicht immer genügen. Sind sie gut, so kosten sie viel Geld; sind sie schlecht, so schaden sie mehr, als sie nützen.

Wie ist da zu helfen? Der Zufall kam mir auch hier zu Statten.

Mein Heimweg führte mich über Gotha. Nachdem ich – wie oft schon – die verschiedenen Sammlungen auf Schloß Friedenstein durchstreift, machte mich Freund Z. auf die wahrhaft künstlerische Nachbildung der Pilze aufmerksam, die neuerdings hier gefertigt worden. Nach jenem Sonntagsmahl im Thüringerwalde konnte mir nichts näher liegen, als sofort Heinrich Arnoldi

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_424.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)