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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Draußen auf der Terrasse in der frischen Luft war es vielleicht besser auszuhalten, war die Angst leichter zu bewältigen. Es ist etwas Quälendes, Entsetzliches um die zähe Hartnäckigkeit fürchterlicher Bilder, die unsere Phantasie einmal aus dem Schooße des Möglichen, des bloßen Vielleicht heraufbeschworen hat! Sie weichen nicht, und wenn der Verstand, die kühle Ueberlegung auch hundert Gründe haben, uns die Thorheit unserer Sorge vorzustellen, zu beweisen – die Phantasie ist stärker und hört nicht auf, das einmal geschaffene Schreckbild auszumalen, zu vergrößern, es lebendiger und bedrängender zu machen. Valentine war in einen Zustand gerathen – als sie auf die Terrasse hinauseilte, hätte sie ihr halbes Leben darum gegeben, wenn in diesem Augenblicke der deutsche Officier lebendig und gesund vor sie hingetreten wäre! …

Aber da war er ja auch – fern in der Mittelallee des Gartens – tauchte er nicht just ebenda unter den überhängenden Obstbaumzweigen auf? – ein Tschako, ein rother Kragen, ein Soldat in der Feindesuniform – und ein zweiter dann – Valentine erschaute von der Terrasse herab sie mit freudigem Erschrecken; dann fuhr ihr ein Stich durch’s Herz: er war es nicht; es waren andere, zwei vorauf, denen noch vier folgten – es waren deutsche Soldaten in grauen Mänteln, die Gewehre übergeworfen; sie kamen den Mittelpfad durch den Garten herauf; schweren lässigen Schrittes kamen sie heran und die Stufen herauf, die aus dem Garten auf die Terrasse führten, und hier oben hielten sie an, setzten ihre klirrenden Kolben auf die Steinplatten, und der Eine von denen, die voraus geschritten, trat auf das junge Mädchen zu, das hochklopfenden Herzens neben dem runden Tisch, an dem Max sie zuerst gefunden, stehen geblieben war, die Hand, wie um eine Stütze zu haben, auf die Rücklehne eines der gußeisernen Stühle gelegt.

Der feindliche Krieger unter dem Landwehrtschako, der auf sie zutrat, hatte in seinem Aeußeren nichts sehr Fürchterliches. Im Gegentheil, er hatte ein äußerst gutmüthiges Gesicht, gefürchtet hätten sich höchstens Kinder vor seinem halb blonden, halb fuchsigen und gar zu struppigen Bart – auch war eine gewisse blöde Verlegenheit nicht zu übersehen, als er, die Finger an den Schirm legend, all sein Französisch zusammennahm und sagte:

„Verzeihung, Mademoiselle! Wir stören ein wenig früh. Aber der Dienst – der Befehl! Streifpatrouille … der Hauptmann hat uns befohlen, bis hierher nach der Ferme des Auges – wir sind doch hier recht? – zu patrouilliren – und den Premierlieutenant von Daveland heimzubegleiten. Würden Sie wohl die Güte haben, uns sein Quartier zu zeigen, oder auch nur ihn wecken zu lassen? Wir warten hier schon unterdeß; der Hauptmann hat befohlen, der Herr Lieutenant selber solle uns zurückführen, wir müssen Sie deshalb schon bitten, Mademoiselle …“

Obwohl das Alles ziemlich ungefüge herauskam und in einem grausam breit und falsch accentuirten Französisch, leuchtete doch dabei das Gesicht des ehrlichen Landwehrofficiers, der es sprach, von einem schlauen und schelmischen Mienenspiel auf, welches errathen ließ, daß er völlig in die Absicht des Hauptmanns von Sontheim eingeweiht war, dem eigenmächtig sich Urlaub nehmenden Premierlieutenant unter dem Vorwande, für seine Sicherheit zu sorgen, einen kleinen Streich zu spielen, und ihn mit Gewalt so früh schon seinem süßen Schlummer in den Gärten seiner Armida zu entreißen.

Valentine verstand nur halb, was der Mann sprach, doch genug, um ihre Sorge um’s Hundertfache zu vergrößern.

Hochaufathmend, nach Luft ringend, stieß sie die Worte hervor:

„Der Lieutenant ist nicht in Void? Nicht zurück? Er ist Ihnen nicht begegnet?“

„Zurück? Nein! Wir haben beim Ausmarsch am Fensterladen vor seinem Quartier angeklopft. Er war nicht zurück. Er ist uns auch nicht begegnet, Mademoiselle; ist er denn schon aufgebrochen von hier?“

„Warten Sie, ich will meinen Vater rufen,“ rief athemlos Valentine und eilte in einem vollständigen Fieber der Aufregung in’s Haus, in den Mansardenstock, in’s Schlafzimmer ihres Vaters.

(Fortsetzung folgt.)




Von Friedrich Gerstäcker.[1]


All’, all’ sind sie fort,
Die alten bekannten Gesichter.

In dem so gastfreien Hause der Wittwe Karl Maria von Weber’s sah ich zuerst unsern Freund, wenn auch nur im Bilde. Der talentvolle, früh verstorbene Sohn des Hauses, Alexander, hatte Gerstäcker in seinem amerikanischen Trappercostüm gemalt, das fast ganz aus Leder bestand und sehr primitiver Natur war, weshalb auch Gerstäcker jahrelang unter uns nur „Lederstrumpf“ genannt wurde. Er war schon damals (Mitte der vierziger Jahre) eine feste, gedrungene Erscheinung mit dem scharfen Blick der Jugend und dem entschlossenen Wesen eines Mannes, der auf eigenen Füßen zu stehen gewohnt ist.

Erst 1852–1855 als er von seiner großen Reise über Batavia nach der Heimath zurückkehrte und in Leipzig ankerte, sollte ich ihn persönlich kennen lernen. Es war dies in einem Zimmer des Hôtel de Bavière bei Dawison, der eben in Leipzig gastirte. Ein kleiner fester Mann, „mit unvertilgbarem Reise- und Wüstenstaub im Gesicht“, wie ich ihm später lachend zurief, einem wilden Bart und krausem Haar, stand breitbeinig mitten im Zimmer, die Hände in den Taschen seiner von ihm unzertrennlichen Joppe. Um den sehnigen sonnverbrannten Hals war ein Halstuch mit einem Schifferknoten geschlungen, eine Weste existirte nicht. Ich bekenne, im ersten Augenblick begriff ich nicht recht, wie dieser Wildling, so zuversichtlich er auch dastand, in Dawison’s Salon kam. Dieser mochte mich errathen und frug mit seiner raschen Art: „Ihr kennt Euch wohl nicht? Das ist ja Gerstäcker und das mein Freund König.“

Schnell ergriff ich seine Hand. „Herr, Sie muß man ja lieben.“ Und ich denke, wir sind treue Freunde bis an’s Ende geblieben.

Ehe ich in meinen Erinnerungen weiter gehe, drängt es mich, über Gerstäcker’s Charakter Einiges einzuschalten. Wenn

  1. Es bedarf wohl den Lesern der Gartenlaube gegenüber nicht einer besondern Motivirung, daß ich das bereits im Frühjahr 1870 veröffentliche Portrait Gerstäcker’s heute nochmals zum Abdruck bringe. Der plötzliche, Allen unerwartete Tod meines lieben und treuen Mitarbeiters und der Umstand, daß Gerstäcker selbst dieses Portrait als das ähnlichste von allen bisher erschienenen bezeichnete, noch mehr aber der seit dem ersten Erscheinen erfolgte Hinzutritt von mindestens 50,000 neuen Abonnenten, die das Bild noch nicht kennen, entschuldigen wohl hinlänglich diesen Doppelabdruck. Wie sprechend ähnlich das Portrait war, schilderte Gerstäcker in seiner humoristischen Weise selbst sehr drastisch. Er schrieb mir Anfang Juni 1870 aus Hamburg, kurz nach Erscheinen des Bildes: „Hol’ der Teufel Ihre Gartenlaube, lieber Keil. Ich laufe jetzt wie ein steckbrieflich Verfolgter in der Welt umher. – ‚Um sieben Uhr, Herr Gerstäcker,‘ sagte der Cassirer eines Hamburger Winkeltheaters, als ich ihn frug, wann es anginge, mit einem malitiösen Lächeln. ‚Ist schon bezahlt, Herr Gerstäcker,‘ bemerkte der Kellner auf der Uhlenhorst bei Hamburg, als ich mit mehreren Freunden dort gegessen hatte. Auf der Dammthorstraße kaufe ich Fische; die beiden jungen Damen im Laden stoßen sich miteinander an und kichern: ‚Nicht wahr, Herr Gerstäcker, wir sollen das Packet in’s Hôtel de l’Europe schicken?‘ Es bleibt mir jetzt weiter nichts übrig, wenn ich Schandtaten begehen will, als meinen Bart abzurasiren und eine Perrücke zu tragen mit vielleicht einer blauen Brille, und das Alles danke ich dem verwünschten Bilde.“ – Daß er den Bart nicht abrasirt und keine Perrücke getragen hat, beweist am besten sein Brief aus Frankreich, wohin er während des Krieges auf meine Aufforderung gegangen war. Er schreibt aus Pont-à-Mousson: „Das verteufelte Portrait spukt noch immer nach. Als ich vor einigen Tagen von Langeweile geplagt auf den hiesigen Bahnhof gehe, war eben ein langer Zug mit Militär angekommen. Arglos schreite ich über den Perron, als plötzlich seitwärts von mir der Ruf ertönt: ‚Hurrah, Gerstäcker – da kommt Gerstäcker!‘ Ich sehe mich verwundert um und schreite auf die Rufer zu mit der Frage, woher sie mich denn kennten? ‚Na nu, Gartenlaube!‘ antwortet ein stämmiger Landwehrmann und reicht mir seelenvergnügt die Hände. Spion werde ich hier unter diesen Umständen nicht spielen können.“ Von dem liebenswürdigen Menschen und Freunde, nicht von dem Weltreisenden, hoffe ich ein anderes Mal mehr zu erzählen. Mit Gerstäcker ist einer der ehrlichsten, besten Menschen begraben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_418.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2018)