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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

der Verstorbene ist ein leutseliger und zugänglicher Herr gewesen, von liebenswürdigem, jovialem Wesen, der gern lebt und leben läßt, und die Pracht seines Hofes, wenn sie auch die Kräfte des kleinen Staates bis zur Erschöpfung anspannt, hat doch manch fremden Gulden in’s Land gezogen und darin festgehalten. Aufrichtig sind daher die Thränen, welche das Volk an seinem Paradebette in der von oben bis unten mit schwarzem Flor überzogenen großen Galerie des Baireuther Schlosses vergießt, echt die Klagen, die es ihm in seine Gruft im Kloster der „Weißen Frau“ zu Himmelskron nachruft. Der Verblichene hat keinen männlichen Erben hinterlassen, und das frühere Leben seines rechtmäßigen Nachfolgers, des Prinzen von Neustadt, wie man ihn heißt, stellt nicht viel Gutes in Aussicht.

Dieser Markgraf Friedrich Christian von Brandenburg-Culmbach, Friedrich’s Oheim, der jüngste Bruder von dessen ebenfalls an Wunderlichkeiten überreichem Vater, von welchem Friedrich Wilhelm der Erste von Preußen sagt: man sollte ihn ohne Umstände in ein Narrenhaus sperren, ist unter den vielen gekrönten Originalen des vorigen Jahrhunderts einer der sonderbarsten Käuze. Seine Schrullen arten allmählich in offenbaren Wahnsinn aus, so daß ihm mit kaum minderem Rechte als jenem Hohenzollern von Schwedt das Prädicat des „tollen Markgrafen“ gebührt.

Die Regierungsperiode Markgraf Friedrich Christian’s zählt zu den interessantesten und jämmerlichsten Capiteln in der Geschichte deutscher Kleinstaaterei, und wir müssen es Karl Gutzkow Dank wissen, daß er sich der Mühe unterzogen hat, die Einzelheilen der leidigen Tragikomödie aus dem Staube der Archive hervorzusuchen und in seinem jüngsten vortrefflichen Romane „Fritz Ellrodt“ an’s Licht zu stellen, um uns einen neuen Einblick zu gewähren in das Leben der von der Partei der Umkehr so hoch gepriesenen „guten alten Zeit“. Zwar ist unserm Dichter das historische Moment, das von ihm zum ersten Male in die größere Oeffentlichkeit geführte, so zu sagen, neu entdeckte historische Detail blos Nebensache, es steht ihm erst in zweiter Linie nach dem schöpferisch-poetischen, dem allgemein menschlichen, ethisch-psychologischen, allein das von ihm erschlossene Material bleibt darum nicht weniger authentisch und bedeutend, so daß wir uns mit gutem Gewissen, was die äußeren Umrisse und die Farbengebung unseres gegenwärtigen Rococogemäldes betrifft, an dasselbe anlehnen.

Christian’s Vater, Markgraf Heinrich, war ein mit einem Jahrgeld abgefundener Prinz des Brandenburg-Culmbacher Hauses, ohne Aussicht, je zur Regierung zu gelangen. Mit vielen Kindern gesegnet, sah er sich bei einem dürftigen Einkommen in beständiger Noth und ließ sich deshalb von König Friedrich dem Ersten von Preußen bestimmen, diesem seine Anwartschaft auf das Fürstenthum gegen eine ansehnliche Pension zu verkaufen und sich nach dem ihm eingeräumten kleinen Schlosse zu Weferlingen, dicht an der preußisch-braunschweigischen Grenze, zurückzuziehen. Hier, in einer lieblichen, von grünen Hügelketten durchzogenen Gegend, wird unser Friedrich Christian geboren und von seiner frommen Mutter, einer Wild- und Rheingräfin von Wolfstein, in Spener’schen Grundsätzen erzogen. Als unerwartet sein ältester Bruder, der nachmalige Schwiegervater Wilhelminens, den Thron der Culmbacher Monarchie besteigt – Prinz Heinrich hat sein Verhältniß zu Preußen bald wieder gelöst – wendet auch er selbst, inzwischen mit einer Prinzessin von Anhalt-Bernburg-Schaumburg verbunden, sich nach dem Baireuth’schen Stammlande. Jähzornigen Temperaments läßt er sich in dem ihm angewiesenen Neustadt an der Aisch, unweit Nürnberg, auf der Jagd zu einem Morde fortreißen. Einer seiner Jägerburschen hat eine dienstliche Säumniß verschuldet und giebt auf die ihm vom Prinzen zu Theil werdende Rüge eine ungehörige Antwort. Ohne Besinnen zieht Christian die Pistole und schießt den Pflichtvergessenen über den Haufen.

Er büßt die Unthat, den Ausfluß eines verstörten Gemüthes, denn er hat die Gewißheit gewonnen, daß seine Gemahlin ihm die Treue gebrochen, auf der romantischen alten Veste Plassenburg bei Culmbach. Mit sich und der Welt zerfallen, vergrämt und verbittert, kehrt er, nach dem Tode seines Bruders aus der Haft entlassen, in die Gesellschaft zurück, sieht sich aber am Hofe von Baireuth, dessen französisches prunkvoll-geräuschvolles Treiben ihm ohnedem in innerster Seele zuwider, beständigen Demüthigungen ausgesetzt, so daß er den Schwur thut: „Nie wieder betrete ich dieses Land!“ und sich nach Dänemark begiebt, in dessen Diensten er als Oberster eines Infanterieregimentes steht und wo zwei seiner Schwestern leben, die eine als Gemahlin König Christian des Sechsten, die andere als kinderlose Wittwe des Fürsten Edzard von Ostfriesland. Seine Nichte Wilhelmine hat ihn noch vor seiner Verheirathung kennen zu lernen Gelegenheit gehabt und entwirft von der äußern Erscheinung des Prinzen kein sehr schmeichelhaftes Bild. Ohne Zweifel sind die Farben desselben zu grell gewählt, begreifen aber läßt sich, daß man nach dem „unvergeßlichen“, verbindlichen, liebenswürdigen Friedrich in Beireuth dem neuen Markgrafen, von dessen „hohenzollernschem Jähzorne“ – so drückt sich seine eigene Mutter aus – die unerhörtesten Gerüchte im Schwange gingen, nicht mit absonderlichem Verlangen entgegensah.

„Ich werde sein Portrait von der guten Seite anfangen,“ beginnt die Memoirenschreiberin. „Er war mehr groß als klein und ziemlich gut gebaut. Die Menge Ratten, die in seinem Gehirne wohnten, verlangten vielen Platz; auch hatte er dessen in seinem außergewöhnlich großen Kopfe. Zwei kleine blaßblaue Schweinsaugen ersetzten sehr schlecht die Leere dieses Hauptes. Sein breiter Mund war ein wahrer Abgrund, zwischen dessen zurückgezogenen Lippen man das Zahnfleisch von zwei Reihen schwarzer, widriger Zähne sah. Dieser Rachen stand immer offen. Sein dreistöckiges Kinn verschönte die Reize noch. Ein Pflaster diente dem untern Theile desselben zur Zierde. Es verbarg eine bösartige Fistel, deren Heilung noch keinem Arzte hatte gelingen wollen. Zu allen diesen Schönheiten gesellte sich noch die eines rothblonden, sehr verwirrten Haarwuchses, welcher sehr gut zu seinem geschmacklosen, aber mit Gold und Silber dergestalt überladenen Kleide stand, daß er es kaum tragen konnte. Seine Seele war ebenso bevorzugt wie sein Leib; er war manchmal im Kopfe nicht ganz richtig. In solchen Momenten von Geistesabwesenheit gerieth er in förmliche Tobsucht und wollte alle Welt umbringen.“

Ein wunderlicher Hofhalt des fürstlichen Sonderlings! Der höchsten Gunst des Herrn erfreut sich ein marktziehender Quacksalber, Caspar Heinrich Schröder, ein unverschämter Patron, der dem fußleidenden Prinzen einst mit Erfolg die Hühneraugen operirt hat und darauf zum hochfürstlichen Leibarzt befördert worden ist. Mit einem Anfluge von Bildung, der ihn über die Leute seines Schlages emporhebt, und von ungemessener Geld- und Ehrgier, schmeichelt der sittenlose Gesell so glücklich und zettelt Kabalen und Verschwörungen so fein an, daß er eines Tages das Fürstenthum Brandenburg-Culmbach als allgebietender Premierminister regiert. Prinz Christian ist abgesagter Feind alles wälschen Wesens, insonderheit der französischen Aufklärung. Seine Lieblingslectüre sind Werke rechtgläubig-christlichen Inhalts; eine Sammlung verschiedener Gesangbücher bildet einen Haupttheil seiner Bibliothek. In ihnen, in Angelus Silesius’ „Cherubinischem Wandersmann“, in Süßmilch’s „Göttlicher Ordnung“, in seinem Liebling Christian Fürchtegott Gellert, sucht er Rath und Trost, wenn ihm seine wirklich ernste Reue, sein ängstliches Streben nach einer Aussöhnung mit Gott keine Ruhe lassen, nach Herrnhuter Weise das erste beste Wort, welches er aufschlägt, als „Bibelloos“, als Orakel und Tagesspruch festhaltend.

Seinen „hohenzollernschen Jähzorn“ hat seine Frömmigkeit indeß nicht zu besiegen vermocht. Schleunigst suchen seine Umgebungen sich rückenfrei zu machen, wenn ein gewisses Lächeln von böser Vorbedeutung, das nicht Ausdruck von Heiterkeit, sondern blos ein angewöhntes Muskelzucken ist, seinen großen Mund umspielt und seine Hand sich nach dem Bambusrohre bewegt. Man weiß, daß, gleich seinem Vetter Friedrich Wilhelm dem Ersten von Preußen, Prinz Christian periodischen Heftigkeitsanwandlungen unterworfen ist, die Niemanden verschonen, selbst die Stabsofficiere seines Regimentes nicht. Ist der Wuthanfall vorüber, dann thut der wunderliche Herr alles Mögliche, den Gekränkten zu versöhnen, und greift mit freigebiger Hand in seine auf einem Tische seines Arbeitszimmers festgeschraubte Cassette, welche mit frischgeprägtem Golde gefüllt ist. Nächst den Gesangbüchern und erbaulichen Schriften und nächst der – deutschen Komödie in Hamburg ist dergleichen „von den Thränen und Sünden der Menschen, vom Schmutz des Lebens“ noch nicht beflecktes Gold seine vornehmste Liebhaberei; seine größte Antipathie hingegen der Voltairianismus und – Alles, was von Preußen

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