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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von 1830 überrascht wurde. Des Bundestags einzige und höchste Sorge war bis dahin gewesen, die patriotische Begeisterung der Befreiungskriege wieder zu ersticken, die Souveränetät der Einzelstaaten und den Glanz der Dynastien zu befestigen, trotz der Verheißung des Art. 19 der Bundesacte die gegenseitige Zollabsperrung und Verkehrshemmniß im Innern unangetastet zu lassen, trotz des Art. 13 die Bildung constitutioneller Einrichtungen zu hintertreiben und unter dem Schutz der heiligen Allianz, zu welcher das arme Deutschland zwei Großmächte stellte, den Absolutismus zu verewigen. Jede Regung nicht etwa liberalen, sondern nur vaterländischen Geistes ward zum Verbrechen gestempelt, wie die Verfolgung der Burschenschaft, der Universitäten, der Lehr- und Preßfreiheit, wo sie ja noch bestand, beweist. Und wie war es ihm gelungen, in der großen Masse der Bevölkerung der Mittel- und Kleinstaaten gegenseitige Abneigung und Entfremdung durch gegenseitige Polizeihudeleien bis zum Haß zu wecken!

Daß solcher Gewalt gegenüber und unter so erbärmlichen Volkszuständen es dennoch Männer gab, welche nicht an der Zukunft unserer Nation verzweifelten, sondern es wagten, den geistigen Kampf gegen alle Brutalitäten der Metternich’schen Herrlichkeit zu beginnen, das ist’s, was uns noch heute zum Dank verpflichtet gegen die Kämpfer und Märtyrer von 1830 bis 1833, und das giebt zur Feier des Glanzpunktes jenes Kampfes, der großen Volksversammlung auf dem Hambacher Schloßberge, gerade in unseren Tagen des hohen patriotischen Glücks, der Erfüllung der damals so unerbittlich niedergetretenen Bestrebungen die vollste Berechtigung.

Von Parteibildung und Parteidisciplin konnte damals nur in den wenigen freieren Verfassungsstaaten die Rede sein. Im größten Theil von Deutschland führte nur das Gefühl der Schmach über die bestehenden Zustände die gleichgesinnten Männer zusammen. Da aber in den vielen Residenzen und den Städten mit zahlreicher Beamtenschaft die Mehrzahl der Handwerker in ihrem Erwerb vom Hofe und dessen Anhängern abhängig waren, so konnten nur selbstständige Männer sich offen der Bewegung anschließen, und darum war ihre Zahl überall gering; auch das gesammte Landvolk stand der Bewegung noch fern. Nur in Baden und am meisten in der Pfalz war Einmüthigkeit wenigstens im Haß gegen das altbaiersche Beamtenregiment, und darum konnte nur in der Pfalz ein solches Fest gefeiert werden. Der Aufruf dazu, von Siebenpfeiffer verfaßt, mit der Ueberschrift: „Der Deutschen Mai“ begann also: „Völker bereiten Feste des Dankes und der Freude beim Eintritt heilvoller großer Ereignisse. Darauf mußte das deutsche Volk seit Jahrhunderten verzichten. Zu solcher Feier ist auch jetzt kein Anlaß vorhanden, für den Deutschen liegen die großen Ereignisse noch im Keim; will er ein Fest begehen, so ist es ein Fest der Hoffnung; nicht gilt es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampf, dem Kampf für Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde.

Das war der Geist, der zum Hambacher Fest aufrief, und dieser Geist leitete auch die Feier. Das Hambacher Fest war das Wartburgfest der deutschen Männer. Es war zugleich eine Anerkennung des Strebens der Burschenschaft; denn hier zuerst steckte das deutsche Volk als sein gemeinschaftliches Zeichen die schwarzrothgoldene Fahne auf: dieselbe Fahne, die 1848 auf allen deutschen Fürstenschlössern und Rathhäusern wehte, die bei Düppel und Eckernförde die Blut- und Feuertaufe erhielt, bei allen Nationalfesten glänzte, die der Nationalverein dem Volke vortrug und an die sich endlich (1866!) auch noch der durchlauchtigste deutsche Bundestag anklammerte in seiner höchsten und letzten Noth! –[1]

Das Fest hatte auf dem Hambacher Schloßberg gegen dreißigtausend Deutsche versammelt, in Massen aus den Rheinlanden, in Deputationen von den damals in vielen Städten gegründeten „Vaterlandsvereinen“ und viele Studenten aus dem gesammten übrigen Deutschland; dazu war noch eine Anzahl Franzosen (besonders aus dem Elsaß) und Polen gekommen. Auch Börne war von Paris herbeigeeilt. Nachdem die Fahne mit der Inschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ aufgepflanzt war, eröffnete und entwickelte Siebenpfeiffer die Bedeutung des Tages. Der Hauptredner war Wirth, damals der gefeiertste Mann am ganzen Rhein, einer der edelsten Führer-Geister der Deutschen. Er trat als Liberaler wie als Patriot mit gleicher Entschiedenheit auf. Er zürnte auf jenen gedankenlosen kosmopolitischen Liberalismus, welcher die Nationalitätsfrage ungebührlich vernachlässigt habe, aber ebenso heftig auf jenen Oppositionseifer gegen die verhaßte altbairische Politik, welcher sich bereits so weit verirrte, mit dem Anschluß an Frankreich zu drohen. „Der Kampf um Vaterland und Freiheit,“ rief er, „muß von innen heraus geführt werden. Nimmer soll die Freiheit mit einer neuen Entehrung, mit der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich, erkauft sein! Bei jedem Versuche Frankreichs, nur eine Scholle des deutschen Bodens zu erobern, hat jede Opposition im Innern zu schweigen!“

Wenn Wirth die Rettung Deutschlands nicht mehr von den regierenden Fürsten erwartete, so sprach er eine durch die damaligen Erfahrungen im Staatsleben immer rascher um sich greifende Ansicht aus. Ueberhaupt war der ernste Mann sich darüber vollkommen klar, daß er, wie Moses, seinem Volke ein Ziel stecke, das er selbst nimmermehr erreiche. Er sah die Verfolgungen voraus, die über ihn und seine Mitstreiter hereinbrechen würden, und ebendeshalb war er gewissenhaft besorgt für die Schaaren der Studenten und anderer gebildeter Jünglinge, die in schwärmerischer Begeisterung an seinen Lippen hingen. Als am Ende seiner Rede Frankfurter Bürger ihm einen Ehrendegen überreicht hatten, wandte er sich an verschiedene der ihm deshalb zujubelnden Gruppen der Jünglinge mit ernster, fast trauriger Mahnung. Eingedenk deß, daß die zukünftigen Zeiten auch Männer brauchen, verschwieg er ihnen nicht, daß die Reaction diesmal noch siegen werde. „Es sind der Märtyrer unserer Sache genug,“ sagte er. „Spart Eure Kraft für einen spätern Kampf! Wer nicht sich und seine Hoffnungen zu opfern bereit ist, der trete jetzt zurück!“

An ihm erfüllte sich seine Ahnung, aber am Ende freundlicher als an Siebenpfeiffer, denn während dieser in noch hoffnungsloser Zeit, 1845 starb, sah Wirth die Sonne von Achtundvierzig aufgehen und starb, selbst ein Reichsvolksbote zu Frankfurt am Main, gerade im rechten Augenblick, da eben Erzherzog Johann seinen Einzug als Reichsverweser mit der schwarzrothgoldenen Schleife im Knopfloch hielt.

Das Hambacher Fest verlief, wenn auch einzelne Reden lauteren Jubel oder Unwillen hervorriefen, äußerlich friedlich. Der nachhaltigste Theil desselben spielte sich nicht auf der Rednerbühne ab, sondern in den vertrauten Besprechungen der Führer und Abgeordneten der Vaterlandsvereine; bei denselben und in einer Berathung am anderen Tag in Neustadt wurde Allen als Hauptpflicht ans Herz gelegt: durch vereinigtes Streben die Preßfreiheit auf gesetzlichem Wege zu erringen. Das geschah mit Hülfe der „Preßvereine“, die nun mit den „Vaterlandsvereinen“ verbunden oder wenigstens neu angeregt wurden.

Die von der Censur gestatteten Zeitungsberichte über das erste große deutsche Nationalfest der Zukunftshoffnungen gaben nur Caricaturen desselben; die gesammte Regierungspresse geiferte vor Wuth. Das wahre Bild des Festes war nur aus den mündlichen und brieflichen Berichten in den Vaterlandsvereinen zu erkennen. Einem solchen Vereine gehörte ich, damals ein Neunzehnjähriger, an und erfuhr an mir selbst, wie hier die Saat gesäet wurde, zu welcher die Reaction, immer unsere sachförderlichste Alliirte, durch ihre die Verbitterung in immer weitere Kreise der Nation verbreitenden Gewalt-Maßregeln den besten Dünger lieferte: die Saat zum Jahre 1848! –

Menschen, die nur den Erfolg preisen und denen jedes Verständniß für die Würdigung vorkämpfenden politischen Ringens abgeht, haben ihren Hohn auch auf das Jahr 1848 und seine Helden und Märtyrer ausgegossen, wie ihre Vorgänger auf jene Hambacher Tage. Auch gegen diesen Volksundank ist das Jubiläum von Hambach ein beredter Mahner, und schon deshalb begrüßen wir seine Feier mit patriotischer Herzerhebung. Ist sie doch als ein doppeltes Dankfest verkündet: für die alten, fast vergessenen Freiheitsstreiter und Märtyrer und für die Helden

  1. Die wahre Entstehungsgeschichte dieser Fahne werde ich nach der mir hinterlassenen Handschrift eines Mannes, der sie mit „zusammengesetzt“ hat, jetzt, wo es nur noch ihre geschichtliche Ehre zu retten gilt, nächstens in der Gartenlaube mittheilen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_363.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)