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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

er glaubte, seinen Vorsatz vollkommen ausgeführt zu haben, als er mit einer Handbewegung auf die ringsum aufgestellten Geräthe zu dem Alten sagte: „Ce n’a rien à dire, monsieur“ (das hat Nichts zu sagen), und diese Worte mit einem Schütteln des Kopfes und einem gutmüthigen Lächeln begleitete.

Diese Beruhigung erreichte ihren Zweck bei unserm Wirth jedenfalls nicht, er warf wieder einen lebhaft bewegten Blick ringsumher und fuhr mit seinem Taschentuch über die Stirn, auf welcher dicke Schweißtropfen perlten. „Oui, monsieur, bien chaud ici“ (ja, mein Herr, es ist sehr warm hier), sagte der Hauptmann, ihm zunickend. „Ja, Herrschaften,“ wandte er sich zu uns, „es ist eine afrikanische Temperatur hier. Wendt, bitte, machen Sie ein Fenster auf.“

Wendt fuhr zusammen und sah den Hauptmann fragend an; dann sagte er plötzlich: „Ja wohl!“ und stand auf, das Fenster zu öffnen.

Hardt forderte den Alten auf, wieder auszutrinken; als derselbe dankend ablehnte, stampfte er heftig mit dem Fuße auf die Diele.

Der Franzose glaubte wohl, er habe ihn durch seine Weigerung beleidigt, und stürzte erschreckt sein Glas herunter; der Hauptmann aber dachte gar nicht daran, er gab damit nur ein Signal an Kippke, welcher unter uns wohnte, heraufzukommen, und bestellte bei seinem Eintreten den Kaffee.

Dem Alten aber hatte der Wein Muth gemacht, und er fragte höflich den Hauptmann, ob sämmtliche Sachen aus dem Keller geräumt wären.

„Oui, monsieur!“ sagte Hardt gleichmüthig und offerirte ihm eine Cigarre.

Unterdeß trat die Ordonnanz ein, den neuesten Befehl zu überbringen. Er enthielt die Ordre, am nächsten Morgen wieder in die Vorpostenstellungen einzurücken.

„Dacht’ ich’s mir doch,“ sagte der Hauptmann, „sowie unser Nest mal anfängt, warm zu werden, müssen wir heraus; aber Kippke,“ donnerte er, „der Wein wird mitgenommen! Avec votre permission“ (mit Ihrer Erlaubniß), wendete er sich zu unserm Alten.

Der Franzose, welcher die Scene mit großer Theilnahme beobachtet hatte, sah ihn fragend an.

„Nous marchons demain,“ sagte der Hauptmann, „et nous voulons – nous voulons prendre avec nous – quelque chose.“ (Wir marschiren morgen und wollen – wollen uns Etwas mitnehmen.)

„O mon dieu,“ rief der Franzose erschreckt und hob bittend die Hände empor, „o monsieur, ne me rendez pas malheureux!“ (O mein Gott, machen Sie mich nicht unglücklich!)

„Ah,“ sagte Hardt unmuthig, „– argent? – tout bon!“ (Geld? – ganz gut), und machte die Geberde des Geldzählens.

Der Franzose machte eine wahrhaft bejammernswerthe Miene und sprudelte dann seine Angst und Sorge in so lebhafter Weise heraus, daß der Hauptmann ihn ganz erstaunt ansah. „Was will er denn?“ sagte er ärgerlich zu mir. Ich erwiderte, er fürchte, wir wollten alle seine Sachen mitnehmen.

„Gott bewahre,“ sagte Hardt sich zu ihm wendend, „non, non, monsieur, soyez tranquille, pas ces choses“ – und er wies auf die Leuchter – „le vin, le vin!“ (nein, nein, mein Herr, seien Sie ruhig, nicht diese Sachen, den Wein, den Wein!)

Der Alte beruhigte sich sofort. „Ah, monsieur,“ sagte er, „Sie wollen den Wein mitnehmen, ah, mit dem größten Vergnügen, er steht ganz zu Ihrer Verfügung; aber werden Sie mich wieder in den Besitz meines sämmtlichen Eigenthums setzen?“ fragte er zögernd.

„Versteht sich, natürlich,“ sagte Hardt, nachdem er sich die Rede hatte verdolmetschen lassen, „es bleibt ja Alles hier, wir werden ja nicht mit dem Möbelwagen auf Vorposten ziehen, sagen Sie ihm doch das.“

Der Alte sah mich an, ich sagte es ihm.

„Mais, monsieur,“ sagte er, „es werden Andere an Ihre Stelle treten und ich bitte Sie, daß Sie wenigstens das Geld direct in meine Hände legen.“

Ich glaubte, es könne nur von der Bezahlung für den Wein die Rede sein, und sagte das dem Hauptmann.

„Fragen Sie den Knicker, was er haben will,“ sagte Hardt unangenehm berührt.

Ich fragte ihn, wie viel Geld er beanspruche.

„Mais, monsieur,“ sagte der Alte wie befremdet von meiner Frage, „cent vingt mille francs!“ (Aber, mein Herr, hundertzwanzigtausend Franken!)

„Was!“ rief Hardt aufspringend, „ist der Mensch verrückt?!“

Selbst Wendt war aufgestanden, betrachtete den Alten mit feindlichen Blicken und murmelte: „Infame Bande!“

„Das kann ja nur ein Mißverständniß sein,“ warf ich ein und fragte den Franzosen lächelnd: „Hundertzwanzigtausend Franken?“

Der Alte war auch aufgestanden, mit zitternder Stimme, offenbar sehr eingeschüchtert durch unsere Heftigkeit, sagte er, er würde auch mit hunderttausend Franken zufrieden sein, aber er bäte um Himmelswillen, ihm diese Summe zu geben, der Keller enthielte sein ganzes Vermögen und er sei Vater einer zahlreichen Familie

„Aber, Herr,“ sagte ich, „was wollen Sie denn, wir nehmen ja nicht Ihren ganzen Weinkeller, höchstens zwanzig Flaschen, und wenn wir Ihnen zwei Franken für die Flasche geben, so werden Sie mit vierzig Franken reichlich bezahlt sein!“

Jetzt sah der Franzose uns erstaunt an. „Aber mein Gott,“ sagt er, „ich spreche nicht von dieser Bagatelle, ich bitte Sie nur, mir mein baares Geld wiederzugeben.“

„Ihr Geld, Monsieur?“ fragte ich, ich begriff ihn gar nicht. „Aber wir haben ja doch kein Geld von Ihnen!“

„O mon Dieu!“ rief der Alte verzweifelt und fuhr mit beiden Händen in seine kurzen grauen Haare. „Mein ganzes Vermögen, hundertzwanzigtausend Franken befanden sich ja im Keller mit diesen Sachen, welche Sie ausgeräumt haben!“

„Was!“ rief ich überrascht.

Im höchsten Schreck theilte ich dem Hauptmann die Sachlage mit. Hardt wurde sehr ernst, er stampfte mit dem Fuß auf die Erde.

Kippke erschien.

„Wo hast Du das Geld?“ fuhr der Hauptmann ihn an.

Kippke machte ein unglaublich dummes Gesicht. „Was für Geld, Herr Hauptmann?“ fragte er.

„Nun,“ sagte Hardt heftig, „das Geld, welches unten in dem Keller gelegen hat, den Ihr ausgeräumt habt – hundertzwanzigtausend Franken!“

Kippke wurde ganz blaß. „Herr Hauptmann,“ sagte er entrüstet, „ich habe kein Geld genommen.“

Hardt winkte uns in eine Ecke. „Die Kerls sind betrunken,“ sagte er leise, „ich will sie nicht unglücklich machen, ich werde Kippke den Befehl ertheilen, nochmals nachzusuchen, dann werden sie das Geld wohl bringen.“

Er wandte sich zu Kippke und sagte in ernstem Tone: „Da Ihr das Geld nicht gefunden habt, so muß es also noch im Keller liegen, gehen Sie jetzt aber sofort hinunter und suchen Sie mit den beiden anderen Burschen nochmals nach, und wenn Sie es gefunden haben, so bringen Sie es her.“

Kippke machte Kehrt und ging, ich glaube, er war mehr bestürzt darüber, daß der Hauptmann ihn „Sie“ genannt hatte, als über die vermißte Summe.

Wendt flüsterte mir in’s Ohr: „Der Hauptmann ist eine Seele von Mensch.“

Hardt wandte sich zu dem Franzosen, welcher mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem Vorgange gefolgt war und jetzt dem Burschen nacheilen wollte.

„Non monsieur, restez ici,“ sagte er zu ihm, „tout bon, ce n’a rien à dire“ (Nein, mein Herr, bleiben Sie hier. Es ist Alles gut – das hat Nichts zu sagen), und er schob ihm das Tablett mit dem Kaffee zu.

Dem Alten tropfte der Schweiß von der Stirn, „quel malheur!“ (welches Unglück!) sagte er tief seufzend.

„Oui monsieur,“ sagte Wendt in der Absicht, ihn zu trösten.

Wir tranken schweigend unseren Kaffee, es verging eine sehr unbehagliche Viertelstunde, dann kamen schwere Tritte die Treppe herauf, alle drei Burschen traten in’s Zimmer.

„Nun?“ fragte der Hauptmann ruhig.

„Herr Hauptmann,“ sagte Kippke in einem Ton und einer Haltung, der eine gewisse Würde nicht abzusprechen war, „im Keller ist kein Pfennig Geld, also auch nicht hunderttausend Thaler.“

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