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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ist an diesen Wechsel und Kreislauf des Stoffes erfahrungsgemäß gebunden. Hemmen Sie diesen Wechsel und Kreislauf des Stoffes – und Sie vernichten die Welt! –

Die uralte Vorstellung von der Metempsychose oder Seelenwanderung ist ein phantastischer Traum aus der Kindheit des Menschengeschlechts, aus dem die Mehrzahl der Menschen heute noch nicht völlig erwacht ist. Der ewige Kreislauf des Stoffes hingegen, dessen Detail-Ausmalung in einem der Wirklichkeit auch nur annähernd entsprechenden Bilde der kühnsten und reichsten Phantasie spottet, ist eine großartige nüchterne Wahrheit, welche der herangereiften Menschheit – durch die exacte Naturforschung – unerschütterlich feststehend für alle Zeiten aufgegangen ist.

Mit der Wage und dem chemischen Reagens in der Hand ist der Naturforscher den Stoffelementen nachgegangen und hat sie auf ihren Wanderungen durch’s Universum in ewig wechselnder Vergesellschaftung mit einander Schritt für Schritt verfolgt – aus dem Stoffvorrath der Erde, der Gewässer, der Atmosphäre heraus, durch die pflanzlichen, thierischen und menschlichen Individuen hindurch, wieder in’s Mineralreich zurück, und so fort und fort in geschlossener Kreisbahn.

Es ist daher keine beliebige abenteuerliche Idee[1] mehr, sondern eine ganz nüchterne und sehr reelle Möglichkeit, daß einzelne derselben Stofftheilchen, die einst das geschäftige Gehirn Julius Cäsar’s zusammengesetzt haben, heute in den Getreidekörnern auf dem Felde einer nordamerikanischen Farm oder in einer Leipziger – Nasenspitze stecken, und in hundert Jahren das Herz unseres eigenen Urenkels bilden helfen werden. Denn Das steht über alles Meinen und Glauben fest und sicher, daß die Stoffelemente, welche die organischen Verbindungen des Thier- und Menschenleibes in einem gegebenen Augenblicke zusammensetzen, früher einer Pflanze angehört haben müssen, die sie aus dem Boden, dem Wasser und der Luft entnommen und organisch gruppirt hat, und daß diese Stoffelemente aus den Thier- und Menschenleibern in anderer, unorganischer Gruppirung in den Boden das Wasser und die Luft zurückkehren, aus denen sie nur die Pflanze für das organische Leben wieder zurückgewinnen kann.

Die Kohlensäure, die wir heute hier in diesem Saale ausathmen – sie wird durch die Ventilation der Herren Müller und Kelling der Atmosphäre Leipzigs beigemischt, und über Deutschland und Europa, ja über die ganze Oberfläche der Erde fortgeführt, um nach kürzerer oder längerer Zeit von einer Pflanze aufgenommen, und unter dem Einfluß des Sonnenlichts in Kohlenstoff und Sauerstoff zerlegt zu werden.

Den freigewordenen Sauerstoff athmet irgendwo und irgendwann Thier oder Mensch ein oder es verzehrt ihn ein Hochofen oder eine bescheidene Herdstelle, an der man eben die Mittagssuppe kocht; den freigewordenen Kohlenstoff verbaut die Pflanze in ihre Kohlehydrate, Fette und Eiweißkörper, die wieder Thieren und Menschen zur Nahrung dienen.

Und so können wir dieselben Kohlenstofftheilchen, welche wir heute hier als Kohlensäure ausgeathmet haben, vielleicht schon im nächsten Jahre auf einer Reise durch Italien im Mehl der Macaroni Neapels oder im Fleische einer Apfelsine Sorrents wiedergenießen und so als einen integrirenden Bestandtheil unseres eigenen Blutes und Fleisches zurückerhalten!

Doch – weiteres frappantes Detail dieser Art auszudenken, kann ich füglich Ihrer eigenen Einbildungskraft überlassen, der Sie dabei getrost den kühnsten Flug gestatten mögen, ohne befürchten zu dürfen, die Wirklichkeit an Phantasiereichthum und Erfindungsgabe jemals zu überbieten.

Schließlich nur noch die Frage: Was wohl aus der „Auferstehung des Fleisches“ wird, wenn der Tag der Auferstehung noch lange auf sich warten läßt, und mittlerweile Millionen und Millionen von Generationen durch ihre Entstehung und ihr Leben die Berechtigung erhalten, am Auferstehungstage dasselbe Stoffmaterial als ihr eigenstes Fleisch und Blut zu reclamiren, auf welches frühere Generationen, die ja doch auch zur Auferstehung berufen sind, den gleichen Anspruch erheben werden, da sie absolut denselben, nur noch älteren Besitzrechtstitel darauf haben?! –


  1. Daß der Genius eines Shakespeare den Kreislauf des Stoffes poetisch vorausgeahnt hat, beweist jene Stelle im „Hamlet“, wo es heißt:

    „Der große Cäsar, todt und Lehm geworden,
    Verstopft ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.
    O daß die Erde, der die Welt gebebt,
    Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!“




Hundertzwanzigtausend Francs.


Eine Erinnerung aus dem Kriege.     Von Alexander W–nn.


Seit Wochen lagen wir nun schon vor dem mit so großen Erwartungen ersehnten Paris, ohne mehr davon zu sehen als einige nebelhafte Thürme, abwechselnd in erster oder zweiter Linie, es wurde verzweifelt langweilig. Wir waren drei Officiere bei der Compagnie, Hauptmann Hardt, meine Wenigkeit und Vicefeldwebel Wendt. Seit sieben Tagen waren wir in der zweiten Linie, hatten Quartier in einem der reizenden, jetzt verlassenen Landhäuschen, mit denen die Umgegend von Paris so reich garnirt ist, und füllten unsere Zeit abwechselnd mit sehr wenig Dienst, mit mäßigen Mahlzeiten und sehr viel Schlaf aus. Besonders Wendt leistete Hervorragendes in dem letzten Punkt, obgleich er auch den Dejeuners und Diners volle Berücksichtigung zu Theil werden ließ.

Unser Koch, zugleich Bursche des Hauptmanns, Kippke genannt, von Profession Schlächter, machte seine Sache nicht übel und hatte namentlich in der Bereitung der Hammelbraten, an welchen er am meisten Gelegenheit hatte, seine Kunst zu entwickeln, eine bedeutende Virtuosität erlangt, befriedigte aber den Vicefeldwebel, welcher aus Pommern stammte, noch besonders durch die sehr reichliche Zubereitung der Kartoffeln, welche Wendt für das erste und beste Gemüse der Welt erklärte, und für welche er eine so bedeutende Vorliebe hatte, daß er auf die Frage etwa sich vorfindender Hauswirthe, was er zu essen beliebe, stets nur energisch erklärte: „Tout égal, tout égal, mais beaucoup, beaucoup de pommes de terre.“ (Ganz gleich, ganz gleich, aber viel, sehr viel Kartoffeln.)

Französisch sprach er nur brockenweise und behauptete, der Sieger müsse verlangen können, in seiner eigenen Sprache verstanden zu werden. Da wir übrigens fast nie Wirthe trafen, so hatte er wenig Gelegenheit, die Durchführbarkeit seines Princips zu erproben.

Wir lagen in Ermangelung eines Sophas auf den bequemen Betten, von den Strapazen eines halbstündigen Appells auszuruhen. Wendt bewohnte mit mir ein Zimmer, nebenan residirte Hauptmann Hardt, dort war zugleich der Speisesalon. Kippke trat ein und meldete in militärischer Haltung: „Das Dejeuner ist angerichtet.“

Wendt hatte ihm diese bezüglichen Redensarten mühsam beigebracht und warf mir einen triumphirenden Blick zu, um den Eindruck dieser Worte auf mich zu genießen; da ich mich aber in eine acht Tage alte Zeitung vertieft hatte, und dadurch sein Zweck gänzlich verfehlt wurde, räusperte er sich auffallend und fragte, nachdem ich aufgesehen hatte, den Burschen mit heuchlerisch harmloser Miene: „Was sagten Sie, Kippke?“

„Ich sagte man, dat dat Mittag fertig is, Herr Feldwebel,“ sagte Kippke arglos.

Wüthend sprang Wendt auf: „Mensch,“ rief er, „wirst Du das niemals begreifen? Habe ich Dir nicht gesagt, diese Mahlzeit heißt nicht Mittag, sondern Dejeuner? Mittag essen wir um sechs Uhr und das heißt Diner! Was habe ich Dir gesagt, wie sollst Du melden?“

Kippke hatte diesen Anprall mit unerschütterlicher Ruhe ausgehalten und sagte mit einer Miene, deren Ernst unendlich komisch wirkte: „Das Dejeuner ist angerichtet.“

Hauptmann Hardt war eine baumlange Figur mit entsprechender Schulterbreite, etwas aufbrausend, aber im Allgemeinen sehr gutmüthig, mit einer ausgesprochenen Neigung für geistige Getränke.

Das Menu unserer Dejeuners und Diners war seit mehreren Tagen stehend dasselbe: Erbssuppe und Hammelbraten.

Kippke balancirte eine tiefe Schale mit Suppe glücklich bis zu der Seite des Tisches, an welcher Wendt seinen Platz hatte. Letzterer rückte in diesem Moment unerwartet seinen Stuhl etwas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_356.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)