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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 22.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Diamanten der Großmutter.

Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Miß Ellen zuckte mit den Lippen und sah Max mit einem wie strafenden Blick an; sie schien die leichte Unbefangenheit, womit der Fremde sie anredete, anstößig zu finden!

Valentine mochte dies amüsiren – sie sagte lächelnd: „Es kann doch kein neutraleres Gespräch geben als das über die fünf Sinne. Also fahren wir darin fort. Wir sprachen von Gesicht und Gehör und kommen jetzt zum Gefühl – Deutschland ist das Land des Gefühls, des Gemüths, der Sentimentalität. … Die Herren müssen uns sehr Tiefsinniges und Neues darüber sagen können – über dies deutsche Gefühl von Gußstahl,“ setzte sie mit einer plötzlichen Bitterkeit hinzu.

„Wenn das deutsche Gefühl so gepanzert ist, weshalb es dann herausfordern? Mit Menschen von solchem Gemüth hält man Frieden!“ versetzte Max.

„Wir haben uns eben darin getäuscht – wir haben geglaubt, die jungen Mädchen drüben seien alle Gretchen und die jungen Männer lauter Werther.“

„Und Sie beachteten nicht,“ fiel hier Hartig ein, „daß Werther doch zuweilen und – gut mit Pulver und Blei umzugehen verstand!“

Hartig’s Weise, so etwas vorzubringen, hatte eine gewisse trockene Komik; der mordschlechte Accent, womit er Französisch sprach, mochte hinzukommen, Fräulein Valentine lachen zu machen, selbst Miß Ellen verzog ihre Lippen zum Lächeln.

„Freilich, wir haben das nicht beachtet,“ entgegnete Valentine dann, „und vieles Andere nicht – zum Beispiel daß Ihr anderer Typus deutschen Wesens, der Faust, so brutal den Bruder Gretchens ermordet und nie ausgeht, ohne – den Teufel neben sich zu haben.“

„Und seitdem sehen Sie hinter jedem Deutschen etwas vom Mephisto stehen?“

„O nein, seitdem bedürfen die Deutschen eines solchen Mentors nicht mehr! Seine Lehren sind auf viel zu guten Grund gefallen.“

„Und doch möchte ich ihn jetzt anrufen, wie mein Namensvetter im Freischütz, um mir Ihre bösen Reden widerlegen zu helfen!“

„Sie haben ja Ihren Freund!“ antwortete Valentine, mit einem etwas spöttischen Blick Hartig streifend.

„Im Krieg mit jungen Damen zieht man nicht gern seine Freunde zu Hülfe – das ist eine Hauptregel in diesem ewigen Kampfe der beiden Geschlechter widereinander.“

„Leben sie im Kampfe?“

„Gewiß – anfangs, weil sie sich nicht verstehen, und dann im Aerger des Bewußtseins, unausbleiblich einmal vor einem der Feinde die Waffen strecken zu müssen und von ihm schwach gefunden zu werden!“

„Ah, welche deutsche Idee!“ rief Valentine aus. „Also auch die Liebe trägt in Deutschland die Pickelhaube?“

„Wie bei den Griechen Eros den Helm. Und überall. Unser Planet hat seine Bahn angewiesen erhalten zwischen Venus und – Mars! Das ist sein altes Schicksal. Wird die Liebe wie ein Carnevalscherz betrieben, in dem man sich voreinander maskirt und sich nur Bouquets und Süßigkeiten zuwirft, so kommt der Kampf später, in der Ehe –“

„Wo er dann schlimmer ist,“ warf hier Hartig dazwischen, „wegen der größeren Nähe der Positionen, die unterdeß eingenommen sind.“ …

Die trockene Weise Hartig’s und sein humoristisches Mienenspiel bei dieser Bemerkung weckte wieder das Lächeln der beiden Damen – einer Antwort wurden sie überhoben, denn Herr d’Avelon trat in diesem Augenblick auf die Terrasse, von dem Herrn, der ihn aufgesucht hatte, begleitet. Er war im grauen Sommerrock und weißen Strohhut, sein geröthetes Gesicht deutete darauf, daß er eben von einer ländlichen Arbeit kam; auch nahm er ein großes offenes Gartenmesser in die Linke, um die Rechte sogleich den beiden jungen Leuten zu bieten. Er bewillkommnete sie mit großer Zuvorkommenheit, bat Miß Ellen für Erfrischungen zu sorgen und nach dem Diner zu sehen, daß es mit Rücksicht auf die Gäste arrangirt werde; geschäftig holte er selbst Cigarren herbei, und nachdem er den jüngeren Herrn als seinen Freund Gaston de Ribeaupierre vorgestellt, begann er die Unterhaltung mit Fragen nach den neuesten politischen Nachrichten, welche die Officiere brächten.

„Das muß erst abgethan sein,“ sagte er, „damit man ruhiger zu anderen Gegenständen übergehen kann – und deren haben wir noch viele zu verhandeln; ich hoffe, die fremden Herren machen mir das Vergnügen, ihnen mein Gut, den Betrieb der Landwirthschaft hier in unserem Vogesendepartement zeigen zu dürfen … sie werden Vieles, sehr Vieles anders und auch besser finden, als man es in Deutschland macht. Also zuerst: Sie bringen uns keine Nachrichten von neuen deutschen Siegen?“

„Müssen es denn gerade immer deutsche Siege sein?“ sagte Gaston de Ribeaupierre scharf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_349.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2020)