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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

gütige Vermittlung“ und Spuren eines Oblatenverschlusses, woran sich ein Petschaftabdruck nicht mehr erkennen ließ.

„Je länger und je öfter ich diese Schriftzüge betrachte,“ sagte sich der Jäger wie unter dem Eindrucke einer starken innern Bewegung, „desto bekannter kommen sie mir vor. Es ist kein Zweifel, es ist die Hand meines Vaters, aber nicht mehr der feste sichere Zug, der sie früher kennzeichnete. Was muß über den alten Mann hereingebrochen sein, das seine Hand so zum Zittern brachte? Oder wäre der Schreiber mir fremd, ist es Täuschung, ein Spiel des Zufalls, ist’s eine Mahnung des Geschick’s, meine Schritte wieder in die Heimath zu lenken?“ Und er fing wiederholt zu lesen an:

„– – haben sie ihn hinausgetragen auf den Kirchhof zur Mutter. Meine einzige Stütze! – Es war für mich ein neuer schrecklicher Schlag, und doch war ich noch nicht geprüft genug. Es sollte noch schlimmer kommen. Schwächlich, wie sie von Kindheit auf war, warf dieser schwere Verlust auch – –“

„Wenn nur dieses Stück hier nicht fehlte, brächte der Nachsatz doch ewiges Licht in das Dunkel,“ klagte der Jäger verstimmt und starrte wieder auf das Blatt.

„– – So muß ich alter Mann,“ las er auf der Rückseite weiter, „vielleicht meinem letzten Kinde noch in die Grube nachschauen, oder lebt wirklich, wie ich vor Kurzem hörte, dort in den Bergen noch ein Sohn für mich? Wenn es so ist, o kehr’ zurück, mein lieber Sohn, laß alles Vergangene vergessen sein, laß uns – –“ Hier brach der Inhalt ab.

„Wie kann ich da noch zweifeln?“ fuhr der junge Mann lebhaft auf und schlug sich vor die Stirn. „Es ist mein Vater, der das geschrieben hat! So ist das Gerücht von meinem Aufenthalte doch bis zu ihm gedrungen! Er wünscht mich zurück – ich begreife den Zusammenhang, ich verstehe Alles! Mein Bruder Konrad, der mir seine Liebe gestohlen, der mich von meinem Platz im Vaterhaus verdrängt hat – Konrad lebt nicht mehr – vielleicht ist auch die arme Marie nicht mehr am Leben. Ich muß Gewißheit haben, ich muß den Kerl herausbringen, von dem die Joppe ist, in der ich das Blatt gefunden. Er muß mir sagen, woher er den Brief hat, der lange geschrieben und herumgetragen sein muß, ehe er in Stücke ging. Und wenn es, wie ich vermuthe, der Flößer-Franzl ist, der ja so oft nach Passau fährt – – Doch jetzt,“ brach er, wie von einem Gedanken ergriffen, plötzlich ab, und der düstere Zug in seinen Zügen war verschwunden – „jetzt zu meinem Lenerl, ich darf sie unmöglich länger warten lassen.“

Der Jäger steckte rasch das Blatt zu sich, sprang auf und eilte, sich über die Umzäunung schwingend, durch den Baumgarten auf das Hagengütchen zu, aus dem die Lene, sein Mädchen, ihm heute nicht entgegen flog. Da er sie auch nicht in der Stube traf und nur dem finstern Gesicht der ihm sonst so freundlich gesinnten Mutter begegnete, die kaum seinen Gruß erwiderte, trat er peinlich berührt in’s Gärtchen hinaus und blieb, als er die Tochter hier in bittern Thränen gefunden, betroffen vor der Laube stehen.

„Was ist bei Euch geschehen, Lene, ist Euch ein Unglück widerfahren?“ fragte er unruhig, und da das Mädchen, ohne aufzuschauen, immer schmerzlicher schluchzte, trat er erschrocken zu ihr und legte den Arm um sie. Sie aber riß sich ungestüm los und mit ungewohnter Heftigkeit stieß sie ihre Worte hervor.

„Mit uns ist’s aus, wir sind fertig miteinander. Ich hätt’ mein Leben für Dich ’geben, Alles geopfert für Dich, aber jetzt sind mir einmal die Augen auf’gangen und jetzt ist’s vorbei, vorbei für alle Zeit!“ rief sie in höchster Erregung und stürzte an ihm vorüber aus der Laube.

Der Jäger stand wie betäubt, er wollte ihr nacheilen, da vertrat ihm die Hagengütlerin, die aus der Stube herbeigekommen war, mit zorngeröthetem Gesicht den Weg.

„Gebt’s Euch kei’ Müh, Herr Maxl,“ sagte sie in gereiztem Tone, „es bedeutet nichts mehr. Und wenn Ihr nicht draußen bleibt aus meinem Haus, werd’ ich meinem Diendl schon anders ihre Ruh’ verschaffen! Wir sind geschiedene Leut’ – behüt Euch Gott!“ Mit einer unzweideutigen Bewegung wies die erzürnte Frau nach dem Gatterpförtchen.

Der junge Mann war in der äußersten Verwirrung. Er hatte in der ersten Bestürzung das Gütchen schon verlassen, ehe er nur recht zur Besinnung kam. In seinem Kopfe arbeitete es wild durcheinander, in der Brust schlug es wie mit Hammerschlägen und mit ganz verstörten Zügen stürmte er auf der Straße gegen Nußdorf fort. Bald gewann der Schmerz die Oberhand über den in ihm kochenden Zorn und er hatte nur den einen Gedanken an den plötzlichen Schlag, der sein Glück vernichtet. Auch sie, das einzige Wesen, das ihn ausgesöhnt mit seinem verfehlten Leben, sagte sich von ihm los und zerriß das letzte Band, das ihn an ein anderes Herz gefesselt. Ruhig über das Unerwartete nachzudenken und den Ursachen der unerhörten, durch nichts gerechtfertigten Begegnung nachzuforschen, die er in dem Hause erfahren, wo er bis gestern noch als ein liebes Glied der Familie anerkannt worden – dessen war er bei seiner leidenschaftlichen Natur nicht fähig.

„Das fehlte noch,“ murmelte er zwischen den Zähnen, „auch sie falsch und treulos, sie, die ich so hoch gehalten so warm geliebt, für die ich die Heimath, die Meinigen, Alle vergessen und verschmerzen konnte! Wer hätte es diesem Mädchen angesehen, daß auch sie meine Liebe verrathen würde! Wie oft hat sie mir gesagt, es sei ihr Tod, wenn ich sie je verlassen könnte! Ich habe in ihr das reine unschuldige Naturkind geliebt, ich habe um sie alle meine Pläne aufgegeben, und hätte sie mich hier nicht gehalten, wäre ich längst über die Grenze gegangen. O Vater, Vater, Du sollst mich nicht umsonst gerufen haben,“ rief er schmerzlich aus, „sei getrost, alter Mann, Dein Sohn kehrt heim zu Dir. Ich lasse ja nichts zurück – ich bin ja auch hier wieder ausgestoßen –“ Er schlug die Hände vor’s Gesicht und unterdrückte mühsam die aufsteigenden Thränen.

In Nußdorf angekommen, wollte er sich rasch dem Försterhause zuwenden, als er seinen Entschluß wieder änderte und, wie spät es auch schon war, in entgegengesetzter Richtung den Weg in die Berge einschlug. Das Abendroth schwebte feuriger als sonst über den Waldgipfeln und die Bergspitzen waren wie in Gluth getaucht. Ein leichter Dunstschleier überzog den Himmel und an den Felsengraten setzte sich weißgelbes Gewölke an, indeß ein scharfer Windzug durch die Baumwipfel fuhr. Alles verkündete eine stürmische Nacht, der Jäger aber athmete freier auf, je mehr es um ihn rauschte und sauste. Er stieg den Heuberg hinan und sein eifriges Spähen und Suchen deutete darauf hin, daß er seine Forschungen nach dem entkommenen Wilderer fortsetzte, die der Ausbruch des drohenden Wetters jedoch für heute bald unterbrach.

Abgerissene Gewitterwolken lagerten schon zwischen den Bergkesseln, während von Westen der Sturmwind eine schwarze Wand vor sich her trieb. Plötzlich lag über dem weiten Thal tiefe Nacht und erst beim Aufleuchten der rasch aufeinander folgenden Blitze erglänzten durch das Dunkel wieder die weißen Schaumwellen des Gebirgsstromes, in welche die Sträucher und Weiden am Ufer, vom Winde hin und her gepeitscht, ihre schwanken Wipfel tauchten. Das Aechzen und Stöhnen der mächtigen Stämme des Bergwaldes übertäubte der Donner, der, in hundertfältigem Echo gebrochen, ein ununterbrochenes Rollen war. Inzwischen hatten sich auch die Wasserrinnen an den Bergwänden gefüllt und sandten ihre Gewässer als Sturzbäche in die Tiefe. Die Waldbäche schwollen höher und höher und schoben unter Tosen und Schäumen grobes Steingeröll, Baumstümpfe und Aeste vor sich her, bis die aufgestaute Fluth sich brausend freie Bahn brach.

Lange wanderte der Jäger in dem Unwetter noch bergauf. Er kämpfte mehr mit dem Sturme in seinem Innern, als daß er viel auf den Aufruhr der Elemente um sich her geachtet hätte, bis er endlich, schon ganz durchnäßt und erschöpft, unter einem vorspringenden Felsen Schutz suchte. Es war längst Mitternacht vorüber, als er, beim schwachen Schimmer der Sterne, heimkehrte, um vergeblich Ruhe auf seinem Lager zu suchen.

Beim Herannahen des schweren Gewitters, das über das Thal hinzog, hatte auch in Brannenburg mancher Bauer mit prüfendem Blick und besorgt um seine Fluren in später Nacht noch nach den Wolken geschaut und nach der Richtung, die sie nahmen. Das Wirthshaus daselbst hatte auch der letzte Gast schon verlassen und die leere Zechstube war nur noch durch ein einzelnes Talglicht auf dem großen Eichentische bei der Schenke erhellt.

Die Eigenthümerin des Hauses, die alte verwittwete Wirthin, saß dort in ihrem geräumigen, ledergepolsterten Armstuhl und hatte eine große Rechentafel vor sich liegen. Ein Paar dichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_302.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)