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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 19.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Beim Alten am Sulzberg.


(Fortsetzung.)


3.


Die kleine Zechstube des Wirthshauses zu Brannenburg und der anstoßende Garten füllten sich Abends mit Gästen der nächsten Umgegend. Alt und Jung saß nach ländlichem Brauch getrennt von einander an gesonderten Tischen, und während sich die Einen bei gefülltem Bierkrug über die Saat, die Forstwirthschaft oder den Viehstand dieser oder jener Alm unterhielten, vergnügten sich die Andern lustig beim Kegelspiel. Die jungen rothwangigen Dirnen zwischen den Burschen sorgten auch dafür, daß die Unterhaltung nicht in’s Stocken gerieth, denn es gab gar viel zu erzählen von all’ dem, was da und dort zwischen den Bergen vorgegangen, und kamen sie auf liebe Angehörige zu sprechen, so war es oft weniger die Schilderung eines flotten Burschen oder einer bildsaubern Sennerin, was frische Anregung in die Gesellschaft brachte, als die genaue Beschreibung von irgend einem „Scheckei“ mit vier gleichfarbigen Füßen oder von einer rothen Kalbin mit einem weißen „Blaßl“ auf der Stirn.

Die Dirnen waren gerade im Begriff den Heimweg anzutreten, denn die Zeit zum Melken nahte heran, als eine allgemeine Bewegung, begleitet von einem mißfälligen Gemurmel, unter den Gästen im Garten entstand. Es war der eben eintretende Jäger-Maxl, der mit seinem Erscheinen plötzlich alle Gemüthlichkeit störte und nicht mit den freundlichsten Mienen empfangen wurde.

„Nachbarn, ruckt ein Bissel auseinand’, daß er sich nicht zu uns hersetzt!“ Derlei Winke wurden ziemlich hörbar fast auf den meisten Tischen der Alten gegeben. Die jungen Burschen steckten auch Alle die Köpfe zusammen und mit höhnischer Geberde sagte einer ziemlich laut: „Der soll nur so lang prahlen, daß er einen Wilderer erschossen hat, bis ihm Einer Eins ’naufbrennt, daß er’s Schnaufen vergißt.“

Die Wirths-Resei, die im kleidsamen Hausanzug, die beiden Hände voll Krüge, eben aus dem Hause kam, hatte kaum den Jäger bemerkt, als sie ihm einen durchdringenden Blick voll Haß zuwarf.

„Du, bring’ dem da ein Bier!“ rief sie einem Dienstbuben zu und winkte geringschätzig auf den Jäger hin. Dabei bebte ihre Stimme vor verhaltenem Zorn.

Der Jäger war, wie es schien, nur gekommen, um den Förster oder sonst einen Collegen beim Glase Bier zu treffen, und als er nach einem raschen Ueberblick durch den Garten kein freundliches Gesicht entdeckte, setzte er sich abseits und verließ bald darauf die Wirthschaft. Den Schloßhügel hinab schlenderte er gedankenvoll einem kleinen Gehöfte zu, das durch die wogenden Kornfelder und den schattigen Baumgarten davor fast ganz versteckt lag. Ein Paar sorgfältig gepflegte, mit Goldlack und Nelken eingefaßte Gartenbeete neben dem freundlichen Wohnhäuschen waren von einem starken Prügelzaune eingegrenzt, an dem sich eine Reihe dicht umrankter Bohnenstangen hinzog.

Hinter dem hohen grünen Spalier stand das junge blonde Mädchen, das wir diesen Morgen am Ufer des Inns in so tiefem Schmerz verließen. Eine weiße Schürze vorgesteckt, die schönen goldhellen Zöpfe um die Stirn gelegt, löste sie emsig die reifen Bohnen von den Ranken. Die freundlichen blauen Augen zeigten sich noch geröthet von den vergossenen Thränen, doch nach dem Ausdruck der Ergebung in dem stillen anziehenden Gesichte schien ihr bewegtes Gemüth zur Ruhe gekommen zu sein. Plötzlich hielt sie im Pflücken inne – sie hatte den Jäger erblickt, wie er langsam den Hang herabkam. Mit heiß schlagendem Herzen, mit starrem Auge und in zitternder Erwartung folgte sie jeder Bewegung des hübschen jungen Mannes durch ihr dichtbelaubtes Versteck. Noch vor wenigen Minuten glaubte sie sein Bild aus ihrer Seele verdrängt zu haben und kaum hatte sie ihn jetzt erblickt, so erwachten Schmerz und Liebe auf’s Neue und alle Qualen der Eifersucht nagten an dem tief verwundeten Herzen. Sie war gewiß, daß er aus dem Wirthshause herabkam, und als sie jetzt sehen mußte, wie er, statt wie sonst mit raschem Schritt zu ihr zu eilen, dort nebenan unter der großen Buche auf der alten Steinbank sich niederließ, hastig ein in Briefform zusammengefaltetes Papier hervorzog und begierig zu lesen begann – da rang sie die zitternden Hände.

„Jetzt ist’s gewiß, daß ich betrogen bin,“ preßte sie mühsam hervor, „er hat ja schon einen Brief von ihr!“

Sie achtete es nicht, daß die in die Schürze gesammelten Früchte zerstreut im Garten lagen, und wankte der mit wildem Wein bewachsenen Laube zu, um sich dort auszuweinen.

Es war nur das Bruchstück eines Briefes, was der Jäger in den Händen hielt, und es schien, als hätte er diese einsame Stelle aufgesucht, um sich ungestört in den Inhalt des abgerissenen Blattes vertiefen zu können. Mehrmals überflog er die wenigen unversehrt gebliebenen Zeilen und betrachtete dann noch aufmerksam prüfend jedes einzelne Wort. Der obere und untere Theil des ersten beschriebenen Blattes sammt Eingang und Schluß des Briefes fehlten gänzlich, während die auf der leeren Rückseite des zweiten Blattes befindlich gewesene Adresse gleichfalls abgerissen war. Dasselbe zeigte nur noch die Bemerkung „Durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_301.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)