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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

wollen wir dem Bären folgen und die sichere Wolfsjagd im Stiche lassen, oder uns um den ersteren nicht kümmern? So viel unterliegt für mich keinem Zweifel: ein riesenhafter Gesell muß es sein; denn die Bärinnen und jungen Bären haben sich schon längst in die Winterherberge zurückgezogen und schlafen, während sehr alte, vereinsamte Bären um diese Zeit wohl, wenn auch höchst selten, noch in unseren Gebirgen sich umhertreiben.“

„Wenn man Hochwild im Reviere hat,“ entgegnete ich, „jagt man nicht auf Hasen, und wenn man einen Bären spürt, läßt man die Wölfe liegen, wo sie sich hingelegt haben.“

„Dies ist auch meine Meinung,“ erwiderte der Jagdherr, „also vorwärts, meine Herren!“

Zwei Waldläufer, unter ihnen derselbe, welcher die Bärenspur aufgefunden hatte, wurden beordert, voraus zu eilen, um zu sehen, ob Petz das besagte Dickicht zu seinem Aufenthalte gewählt habe. Wir folgten langsam den vorauseilenden Leuten, welche an den Bergen emporkletterten, als gingen sie auf ebener Straße, und uns bald aus den Augen verschwunden waren. Bei einem kleinen Gasthofe an der Hochstraße nach Fiume wurde Halt gemacht, um Schützen und Treiber zu mustern. Dann gingen wir weiter, in der Absicht, die Bärenspur zu untersuchen. Nach etwa einer halben Stunde kamen wir zur Stelle und sahen schon von Weitem die unverkennbare Fährte des Raubthieres, aus welcher wir auch sofort entnehmen konnten, wie richtig Vranyczany dasselbe beurtheilt hatte. Der Bär, welcher diese Fährte hinterlassen, mußte in der That ein riesenhaftes Thier sein; denn der Abdruck unseres Jagdstiefels nahm sich neben der Fährte aus wie der Tritt eines Pferdes neben der Spur eines Elephanten. Freund Braun war allem Vermuthen nach auf einer Wanderung von den Krainer Gebirgen nach denen der Militärgrenze begriffen, hatte möglicher Weise in dieser Nacht die Kulpa überschwommen, einen Berg von mehr als tausend Meter Höhe überstiegen und seinen Weg in gerader Richtung von der Höhe nach der Tiefe des Thales genommen, unbekümmert um die bedeutende Steilheit der Bergwand, und ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, verschiedenen Hindernissen aus dem Wege zu gehen.

Ueber das Gesicht unseres Jagdfreundes glitt, nachdem er die Spur und ihre Richtung einen Augenblick geprüft hatte, ein befriedigtes Lächeln.

„Den werden wir finden, meine Herren,“ meinte er; „denn wenn auch ein Bär, und namentlich in jetziger Jahreszeit, unberechenbar ist, so läßt sich doch mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, daß er in dem Ihnen geschilderten Dickicht liegt; und wenn dies der Fall, dann, denke ich, sollen Sie mit der Jagd in unseren Bergen zufrieden sein.“

Dies ermuthigende Wort stählte Sehnen und Glieder; rascher, als wir gekommen, gingen wir zum Sammelplatze zurück, und traten nun von hier aus in Gesellschaft von etwa einhundertachtzig Landeseingebornen den Weg nach dem vermuthlichen Jagdgebiete an, mehr und mehr im Gebirge emporsteigend. In dem ziemlich gut, aber nur mit Unterholz bestandenen Walde hörten wir, während wir rüstig fortschritten, lautes Rufen und Schreien, wie uns mitgetheilt wurde, von Ziegenhirten ausgestoßen, in der Absicht, die Wölfe, welche sie gespürt haben mußten, von ihren Herden abzuhalten; uns kümmerte das nicht im Geringsten: die Wölfe hatten jetzt alle Bedeutung in unseren Augen verloren. Zwei Stunden lang mochten wir in dieser Weise fortgeschritten sein, als die Ausgesandten zurückkamen mit der untröstlichen Nachricht, daß der Bär seinen Weg weiter, als vermuthet, fortgesetzt, die Dobra überschwommen und sich in die Gebirge der Militärgrenze zurückgezogen habe. Ihm zu folgen war unmöglich; denn die Ufer des reißenden Flusses waren meilenweit ober- und unterhalb weder durch Brücken noch durch Führen verbunden. Und wenn wir auch versucht hätten, mit Hülfe unserer Pferde eine der Brücken zu gewinnen, so würde dies doch so viele Zeit in Anspruch genommen haben, daß an eine Jagd heute nicht mehr zu denken gewesen wäre, ganz abgesehen davon, daß angenommen werden mußte, der alte Starrkopf werde in nächster Nacht seine Wanderung fortsetzen.

„Die Bärenjagd ist vereitelt, zur Wolfsjagd ist es zu spät geworden, aber eine Fuchsjagd noch möglich,“ meinte Vranyczany; „und wenn es auch tüchtig zu steigen giebt: Sie sind ja gekommen, um hier zu jagen.“

Der Rath fand allgemeinen Beifall. Die Treiber wurden verständigt, und eine neue Wanderung begann. Nach etwa halbstündigem Steigen gelangten wir auf die Höhe des Bergrückens und damit in einen kroatischen Wald, welcher mich mehr als einmal an afrikanische Urwaldungen erinnerte, nur daß wir hier außer Buschdickichten und Schlinggewächsen der verschiedensten Art Felsblöcke und Schründe zu überwinden hatten. Von einem geordneten Forstbetriebe ist in Kroatien noch nicht die Rede; man treibt Plünderwirthschaft und nimmt diejenigen Bäume weg, welche am leichtesten zugänglich sind und am besten fortgeschafft werden können. Alles übrige Holz bleibt stehen und liegen. Mächtige Eichen recken ihre dürren, halbverfaulten Wipfel in die Luft; gewaltige Buchen liegen vom Winde niedergebrochen quer über den Weg, falls man überhaupt von solchem reden kann, und vermodern im Grunde; jung angesämtes Buschwerk schießt überall dazwischen empor; Brombeerstauden durchranken es und bilden stellenweise fast undurchdringliche Dickichte; andere Schlinggewächse, Nesseln etc. wuchern in üppigster Fülle auf dem Boden. Und nur da, wo der nackte Felsen mit seinen Zacken und Schründen zu Tage tritt, wo der Bergrücken das Gepräge des benachbarten Karstes vollständig zeigt, lichtet sich der Wald, wenn auch nicht zu Gunsten des in ihm Dahinschreitenden, welcher im Sommer, geschweige denn im Winter, wenn Schnee die Schründe und Vertiefungen zwischen den Steinen verdeckt, bei jedem Schritt darauf zu achten hat, daß er nicht in einer Vertiefung versinkt oder zwischen den Steinen sonstwie zu Schaden kommt. Unsere Kroaten freilich schritten mit größtem Gleichmuth dahin, angeführt von einem des Waldes Kundigen und eine lange indianische Reihe bildend, in welche wir uns ebenfalls einfügten. Auf der Kante einer ziemlich steil abfallenden Felswand wurden wir angestellt, und das Treiben begann. Von Nordosten her wehte die Bora so eisig kalt, daß wir es trotz der warmen und dichten Kleidung kaum aushalten konnten und fast schwermüthig an die Freuden unserer Fuchsjagden zurückdachten. Nach etwa drei Viertelstunden näherten sich die Treiber, und bald darauf erschien auch Reinecke, gefolgt von den Hunden, in dem jetzt winterkahlen Wald schon auf weithin sichtbar. Wie immer, wußte er sich den schlechtesten Schützen, einen kroatischen Bauer, auszusuchen und entkam, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt worden wäre.

Wir hatten vollständig genug an der heutigen Jagd, verwünschten den Bären und den Fuchs dazu, drehten der Bora den Rücken und wandten uns, enttäuscht und mißmuthig, thalabwärts. Doch unser freundlicher Jagdherr verstand es, die erfrorenen Geister wieder zu erwecken. Nach kurzer Wanderung gelangten wir in eine Thalmulde und sahen mit stillem Behagen aus ihrer Mitte leichten stillen Rauch emporsteigen. Um ein mächtiges, wohl unterhaltenes Feuer standen die Leute Vranyczany’s in ernster Beschäftigung. An einem als Spieß dienenden Buchenschößling, welcher von kundiger Hand gedreht wurde, bräunte ein saftiges Puterhuhn, in einem mächtigen Topfe brätelte der Gulasch, das volksthümliche Hirten- und Jägergericht, und eben als wir uns näherten, keuchte einer der Leute heran, um einen schweren Sack voll Kartoffeln in die glühende Asche zu schütten. Für uns wurden auf den Felsblöcken ringsum Sitze und vermittelst einiger abgehauenen Stämme Bänke errichtet; die ganze Jagdgesellschaft sammelte sich allmählich um das Feuer, und absichtslos gestaltete sich eines der buntesten und lebendigsten Jagdbilder, welche ich jemals erschaut. In allen Stellungen standen, hockten, saßen und lagerten die kroatischen Schützen und Treiber, deren malerische Tracht durch die Waffen nur noch gehoben wurde, um das Feuer. Heitere Scherzworte flogen von Mund zu Mund, begehrende Blicke richteten sich auf Bratspieß und Kochtopf, nicht minder begehrlich auf die mächtige, kreisrunde Holzflasche, welche, mit edlem Weine gefüllt, jetzt die Runde machte. Einer und der andere versuchte von den in der Asche bratenden Kartoffeln einige für sich zu gewinnen; jeder Einzelne aber hielt sich, Angesichts des Gebieters, in den allerbescheidensten Schranken. Koch und Kellner verstanden ihre Sache vortrefflich; der köstliche Wein ließ die Bora, das leckere Huhn die geträumten Bärenschinken vergessen, und gestärkt und erheitert traten wir unsern Heimweg an. Aber was für einen! Von der steilen Höhe gerade herunter in das Thal, auf Wegen, welche eigentlich keine waren, obgleich sie von den Bauern benutzt wurden, um Stämme aus dem Walde zur Tiefe hinabzuschleifen, über Geröll, welches unter jedem Tritte sich bewegte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_294.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)