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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und, von der langsam aufsteigenden Sonne verdrängt, höher und höher hinaufzogen. Rechts unterschied das Auge schon Neubeuern mit seinem stolzen Schlosse, links zog eine dichte Nebelwand gegen den Schweinsteig-Kogel und den Antrettwart und ließ das schöne Brannenburg erscheinen. Immer heller schattirte sich die umliegende Bergwaldung, je mehr sie zwischen den umherziehenden Nebelstreifen sichtbar wurde, und ein immer frischeres Leben erwachte unter ihren grünen Wipfeln, durch die das Sonnenlicht in goldenen Strahlen brach. Schon zog krächzend die Walddohle in Schaaren zu Felde und der helle Schlag der Waldamsel tönte zu den Bergen herauf.

Hielt man den Blick gegen Süden gewendet, so streckte das Kranzhorn, das hier die Grenze zwischen Baiern und Tirol bildet, seine sattelförmigen Zacken in das Blaue hinein. Ihm gegenüber glänzten im jungen Sonnenlichte schon die schroffen Wände des Riesenkopfes, mit dem die hohe Matron, der Heuberg und der Petersberg sich zu einem Kranze mächtiger Riesen vereinen, die ihre Häupter in dem breiten Innstrome spiegeln, der auf seiner Wanderung aus dem schönen Tirol an ihrem Fuße vorüberrauscht.

„Vater, schau’ doch den Kaiser an!“ sagte der Bube und streckte den Arm in der Richtung nach Kufstein aus. Dort überragte die Berge alle der wilde Kaiser, ein gewaltig zerklüftetes Gestein voll nackter steiler Wände. Seine vielgezackten Schroffen funkelten in der wundervollsten Beleuchtung wie heller Silberschein und gaben ein herrliches Schlußbild zu dem großartigen Innthale.

Der alte Wildheuer verweilte nicht lange bei dem prächtigen Anblick. Er rief dem kleinen Burschen zu: „Schau lieber da ’nunter, Bub’, nach dem Inn, ob Du nicht bei Nußdorf eine Zillen (Boot) landen siehst.“

„Ja, Vater,“ sagte der Bube, als er mit vor die Augen gelegter Hand der Weisung nachgekommen war, „da oberhalb in den Weidenbüschen stoßt ein Schifferl ab, aber weit ’nunter tragt’s der Inn.“

„Sacra,“ rief der Alte eifrig und verfolgte mit den Blicken die gleiche Richtung, „sie ist’s, Bub’! Du hast ein Aug’, grad’ wie ein Falk’. Schau’ nur recht, ob nicht noch eins vom Ufer drüben abstößt, und sag’ mir’s gleich.“

Darauf zog sich der Alte eilig in die Hütte zurück, fröhlich vor sich hin murrend: „Läßt halt nicht aus, das Madel, läßt nicht aus!“

Es war Sonntag heute, und angethan mit den kurzen blauen Wadenstrümpfen und den scharfgenagelten Bergschuhen, ein schwarzes Tuch lose um den Hemdkragen geschlungen, die Lodenjoppe sammt dem Rucksack übergeworfen und den spitzen Hut auf dem grauen Haare, erschien der Alte gerade wieder unter der Thür, als Glaasei ihm zurief: „Vater, jetzt rudert eine Zillen über den Inn. Muß leicht ein Jäger sein, denn er hat ein’ Hund bei sich.“

„Ja, ja,“ nickte der Alte lebhaft und winkte mit pfiffigem Blicke in’s Thal hinab. „Gieb Dir kei’ Müh’, junger Waldschnepf, dem Heu-Anderl kannst das Spiel nicht abgewinnen!“

Glaasei hatte kaum seine Ziegen auf ihren gewohnten Weideplatz getrieben, als er zurückkehrte, um sich auch in Sonntagsstaat zu werfen. Bestand dieser auch nur in einem frischgewaschenen Hemde und dem grauen Berghute, der Glaasei bildete sich doch nicht wenig darauf ein, und wie schmuck er sich in den weiten weißen Hemdärmeln immer erscheinen mochte, er blickte doch noch viel stolzer auf den alten Filz, denn ihn schmückte der prächtigste Adlerflaum sammt zwei hohen Reiherfedern.

Von Brannenburg und Flinsbach hallten gleich Orgeltönen die Kirchenglocken herauf, die die Gläubigen von Berg und Thal zum Gottesdienste riefen. Auf allen Waldpfaden und Straßen konnte man schon festlich geputzte Landleute, dem Rufe des feierlichen Geläutes folgend, zu Thale steigen sehen.

„Glaasei, mach’, daß Du jetzt auch ’nunter kommst in die Kirch’!“ mahnte der Heu-Anderl durch eines der kleinen Hüttenfensterchen.

Der Junge, der die alte Zwilchhose inzwischen noch mit einem hirschledernen Hosenträger geschmückt, kam im Augenblick zum Vorschein und war im Nu ein Stück auf dem Bergwege hinabgeeilt. Da sprang er lustig wieder seitwärts auf einen Felsblock, von wo aus er die ganze wundervolle Ebene frei überschauen konnte, und aus der wie in lebensfrischer Bergeslust bewegten jungen Brust sandte er einen mächtig lauten Juhschrei hinab in’s Thal.

Der Alte schmunzelte beglückt dem schmucken Buben nach und schickte sich an, ihm langsam zu folgen. Es schien aber, als erwarte er noch Jemanden, denn oft blieb er zögernd stehen und horchte aufmerksam in den Wald hinein. Der vermuthete Besuch war auch schon auf dem Wege, sein Glaasei hatte ganz richtig gesehen.

Mit kräftigem Ruck wurde unten am Wasser ein Nachen an das Ufer getrieben, aus dem ein großes stattliches Mädchen an’s Land sprang. Rasch befestigte sie das Seil des Schiffchens an einem alten Erlenstamme und schlug ohne Säumen den Weg gegen Nußdorf ein.

Auch sie war im Sonntagsstaate. Ein lichtes großblumiges Seidentuch umhüllte die kräftigen Schultern und bedeckte über der vollen Brust das schwarze Mieder, das knapp und zierlich die braune Unterjacke und den faltigen Rock von gleichem Stoff umspannte. Unter dem niedrigen Hute, der nur mit einem schweren grünseidenen Bande geziert war, quollen, flach um den Kopf gewunden, die dunkelbraunen wohlgepflegten Flechten hervor, und die breite Krämpe beschattete ein Paar schwarze ausdrucksvolle Augen. Aus dem schöngeformten lebendigen Gesichte des jungen Mädchens sprach etwas wie Angst und Unruhe, das mit der frischen rosigen Färbung desselben nicht stimmte, der feurige Blick aber verrieth Muth und Entschlossenheit und jede ihrer Bewegungen Gewandtheit und rasches Handeln.

Die weite schwarzwollene Schürze des Mädchens war vorn aufgesteckt und schien vollgepackt zu sein. In der Hand trug sie eine steinerne Flasche. Sie schritt in aller Eile vorwärts, und kaum einen flüchtigen Blick warf sie noch zurück auf den Fluß, ehe sie flinken Schrittes im nahen Walde verschwand.

Das am Ausgange des Gehölzes gelegene Dörfchen Endbach hatte das Mädchen schon erreicht, und sie begann eben den untern Sulzberg hinaufzusteigen, als ein zweiter Kahn weiter oben an demselben Ufer landete.

Von fern schon ließ sich in dem neuen Ankömmling, der von einem ihn bellend und in weiten Sätzen umkreisenden Hunde begleitet war, der Jäger erkennen. Trotz der schmucken Gebirgstracht, die den schlanken jungen Waidmann trefflich kleidete, sah man bald, daß er nicht aus diesen Bergen stamme. Seine Züge zeigten nicht den derben, freien und gemüthlichen Ausdruck, seine Gestalt nicht die stramme Haltung, noch sein Gang den festen sichern Tritt des Gebirgssohnes. Das schmale ausdrucksvolle, von einem röthlichen Vollbart eingerahmte Gesicht erschien wie verdüstert von einem innern Druck. Er sah sich überall forschend um, und als er nun den untern, am Erlenstamm angehängten Kahn entdeckte, rief er mit spöttischem Lachen: „Oho, schon wieder angekommen!“ und schlug rasch dieselbe Richtung ein, die das Mädchen genommen.

Jedes der Gelandeten glaubte, von Niemand gesehen zu sein, aber nicht blos der Heu-Anderl sammt seinem Buben hatte sie von seiner hohen Terrasse aus beobachtet. Dicht am Ufer des Inns saß, gedeckt vom Weidengestrüpp, auf dem Stumpfe einer abgehauenen Weide schon lange ein Mädchen in der Tracht der Umgegend. Da sie den Kopf in die Hand gestützt hielt, konnte man vor dem breitrandigen Hute kaum das blasse Gesicht erkennen. So viel aber ließ sich doch errathen, daß die betrübte Eigenthümerin desselben jung und blond und von mittlerem, kräftigem Wuchse war. Lange starrte sie in die vorüberziehenden Fluthen und erst die nahen Ruderschläge des ersten Kahnes rissen sie aus ihrer Versunkenheit.

Mit mattem Blick schaute sie der dem Nachen Entstiegenen nach, bis sie dieselbe zwischen den Waldbäumen aus dem Gesicht verlor, dann verfiel sie wieder in ihr trübes Hinbrüten. Als aber später der Jäger landete, fuhr sie mit einem unterdrückten Schrei in die Höhe und unwillkürlich preßte sie beide Hände auf’s Mieder. Athemlos lauschend, mit weit vorgeneigtem Oberkörper und stürmisch klopfender Brust folgte sie jeder Bewegung des jungen Waidmanns, und als sie auch ihn auf demselben Pfade in den Wald verschwinden sah, sank sie wie geknickt auf den Baumstumpf zurück. Die Hände im Schooße gefaltet, saß sie lange schwer und hastig athmend. Ein Thränenstrom löste endlich die gepreßte Brust.

„O mein’ gute Mutter,“ schluchzte sie und trocknete mit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_286.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)