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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Wie die Beschäftigung auf Gewohnheit und Kleidung Einfluß übt, wird hier recht klar; denn nur das Stillsitzen bei der emsigen Tambourirnadel konnte eine so wenig bequeme und zur derbern Arbeit gänzlich ungeeignete Kleidung aufkommen lassen und conserviren, wie sie die Wäldlerinnen tragen, und andererseits hätte jede andere Beschäftigung ihr auch die sorgsame Zierlichkeit rauben müssen.

Die „Juppe“, ein enger, hundertfach glatt gefältelter Rock aus schwarzer Glanzleinwand, fällt über einen grünwollenen rothgezackten Unterrock und wird besonders bei schlechtem Wetter über demselben gerafft, so daß die blauen Strümpfe und offenen Schuhe sichtbar werden. Von der viereckig ausgeschnittenen „Gestalt“ straff herablaufend, um die Taille mit einem glänzenden Lederriemen geschlossen, umfängt sie den Leib so eng, daß sie fast die Entwicklung der Brust verhindert und bei älteren Frauen auch immer den Eindruck von Verbildungen hervorruft. Ein kostbar mit Gold und Seide gestickter sammtner „Goller“ und buntfarbige Aermel vervollständigen den Anzug. Die Aermel sind das einzige Kleidungsstück, an dem sich der eigene Geschmack zeigen kann und das zum Luxusartikel wird. Sie werden von Seide, Moiré und geblümtem Sammet getragen. Im Hinterwalde sind sie sogar ein Unterscheidungszeichen der jungen Mädchen von den Erwachsenen, die stolz darauf sind, wenn sie die bunten weiten ablegen und am ersten Ostertag mit den neuen engen schwarzleinenen zur Kirche gehen und damit zeigen dürfen, daß sie die Kinderschuhe ausgetreten haben und nicht mehr zu den „Biggeln“ gehören. So heißen nämlich die halb erwachsenen Mädchen ebensowohl wie die jungen Hühner. Eine besondere Galanterie des ländlichen Anbeters besteht denn auch in der zarten Anspielung, vor dem Hause des Aermelmädchens, das andern Tags mit dem knappen „Schalk“ zum ersten Male ausgestattet werden soll, Abends zuvor zerbrochene Eierschalen zu streuen.

Die Frauen des Waldes, arm und reich, halten fest an der gemeinsamen Tracht, zu der noch außer dem Hause eine spitze birnförmige Mütze aus dunkelblauer Wolle, im Sommer statt derselben wohl auch ein großer schwarzer Männerstrohhut kommt, und die bei Regen und im Winter ein Kragenmantel aus schwarzem Tuche vervollständigt. Und Mädchen wie Frauen thun recht daran, die alte Tracht unverändert beizubehalten, sie sehen sehr hübsch darin aus. Die zarten, nichts weniger als bäurisch vierschrötigen Gestalten, die wohlgebildeten, oft wunderhübschen, feingeschnittenen und sanft angehauchten Gesichtchen, das in einfacher Flechte das Köpfchen krönende Blondhaar, wie die von keinem Sonnenstrahl gebräunten, von keiner Arbeit geschwellten weißen Händchen geben den Erscheinungen etwas Aristokratisches, das durch die befremdende Kleidung nur gehoben wird. Selbst die reichsten, die Frauen der sogenannten Honoratioren, machen keine Ausnahme, und es giebt sogar Wäldlerinnen, die, außerhalb der Heimath verheirathet, ihrer Tracht dennoch treu geblieben sind. Mag man die zierlichen „Schmelgen“ – so heißen nämlich die erwachsenen Jungfrauen – am Stickrahmen oder selbst am Clavier, in ihrer häuslichen Beschäftigung oder an großen Festtagen und bei Brautzügen mit ihrem goldenen Krönlein, dem sogenannten „Schäppele“ sehen, immer gewähren sie ein anmuthiges Bild. Der Künstler hat in seiner hier beigegebenen Zeichnung das Charakteristische der Erscheinung in der hübschen Mädchengruppe nebst allem getreuen Klein- und Beiwerk vortrefflich wiedergegeben. Und eben so nahe und scharf betrachtet ist die Alte mit ihrem Rosenkranz an der Hüfte und ihrem naiven Erstaunen über das Schöne und Merkwürdige, „was es heutzutage alles giebt!“

Die Tracht der Männer hat schon eher ihre Eigenthümlichkeit verloren, und hauptsächlich nur mehr im Hinterwalde und bei den älteren Leuten findet sich noch die kurze Jacke, die Kniehose und der Strumpf. Nicht so leicht aber verwischt sich die Eigenthümlichkeit in Gebrauch und Gewohnheiten, und die unveränderte Frauentracht ist sehr bezeichnend für den hier bei aller scheinbaren Unterordnung mächtigen Einfluß der conservativen weiblichen Natur. Muß hier auch noch die Frau wie bei den uncivilisirten Völkern den Eheherrn beim Mahle bedienen, so wahrt sie sich dafür auch das Bestimmungsrecht über Einführung von Neuerungen und bleibt als Stütze streng-religiöser Anschauungen zumeist auch die Vermittlerin kirchlicher Einwirkung auf das Privat- und öffentliche Leben in der Gemeinde.

Jahrhunderte hindurch lebte dieses Hirtenvölkchen in friedlicher Abgeschlossenheit, den Sitten der Väter, deren Gewandung und Sprache getreu, und bis heute pflegt es seine Ueberlieferungen und macht der neuen Zeit nur allmählich und widerwillig einzelne Zugeständnisse. Was von außen eindrang, war nicht immer das Bessere, und es ist den Einwohnern des Waldes kaum zu verdenken, wenn sie jetzt noch mißtrauisch auf das Neueindringende blicken, das ja ihren Gewohnheiten und Anschauungen so geradeswegs zuwider läuft und, wie man ihnen einzuprägen nicht unterläßt – „zur sündhaften Verweltlichung führt“.

Wenn übrigens auch seit dem Ende des elften Jahrhunderts die katholische Kirche fast unumschränkt in diesen Thälern geherrscht hat, so blieb der Einfluß der Kirche, entgegengesetzt den heutigen Verhältnissen, trotzdem nur ein rein geistlicher. Eine Einmengung in die Gemeindeanlegenheiten oder gar in das politische Gebiet von Seite der Seelsorger wurde ehemals immer kurzweg abgelehnt, wie es die Wäldler überhaupt verstanden, sich bis in die neueste Zeit eine Art Selbstregierung zu erhalten.

Wie stark der Widerwille gegen alle Veränderung ist, geht auch daraus hervor, daß die mitunter nur des Lebensunterhalts wegen in die Welt hinausgezogenen Wäldler in der Heimath Verachtung trifft, die ihnen auch, wenn sie heimkehren, zum mindesten als Scheu entgegentritt. „Fremdler“ werden sie mit einem starken Beigeschmack von Hohn genannt, und doch sind es gerade diese Fremdler, unter denen der Bregenzer Wald seine berühmtesten Namen zählt. Unter ihnen sind Architekten, wie Christian Tum; Maler, wie die aus Schwarzenberg stammende Angelika Kaufmann, von der noch ein schönes Altarbild in dem genannten Orte zu sehen; Geschichtsforscher, wie Jost Metzler und die noch lebenden Jodek Stülz und Ritter v. Bergmann, der Letztere (kaiserlicher Rath und langjähriger Custos der Ambraser Sammlung) insonderheit verdient um sein engeres Vaterland; Soldaten, wie die kaiserlichen Generale Konrad Willburger, dann Andreas, Anton Ferdinand und Andreas Leopold v. Feuerstein, die, aus einer sehr geachteten Familie des Waldes stammend, für ihre Verdienste in den Grafenstand erhoben wurden. Schwarzenberg ist übrigens auch Kleber’s Stammort, dessen Eltern von da in’s Elsaß auswanderten, wie dies viele arme Familien gethan.

Wenn der Namen nicht noch mehr sind, ist vielleicht nur jene langjährige Weltabgeschiedenheit – „Weltunbewußtheit“ – schuld, um deren Zurückführung sich so mancher eifrig besorgte Hirte mit allen Mitteln bemüht. Die Anlagen, die in diesem Volke verborgen liegen, verrathen sich am allerauffallendsten in solchen Erscheinungen, in welchen – ich erinnere nur an den Dichter Michael Felder – der reichhaltige Erzgang gleichsam in gediegenem Golde schlackenfrei zu Tage tritt. Mannhaftes Wesen, Mäßigkeit, geweckter Sinn, frischer Lebensmuth sind überhaupt Eigenschaften dieses Volkes, wie des ganzen alemannischen Stammes, und es gesellt sich ihnen noch überdies eine nicht unbeträchtliche Beigabe von Schlauheit. Haben ja sogar die Weiber des Waldes, wie jene klugen Weiber von Weinsberg und ihre muthigen Schwestern von Schorndorf, kühne Entschlossenheit und Thatkraft gezeigt. Wer jetzt die feinen Gestalten, über den Stickrahmen gebeugt, zierliche Blumen auf den weißen Vorhangmusselin hinzaubern sieht, oder sie im Winter am Spinnrocken belauscht, wenn sie sich zur gemüthlichen „Stubet“ versammeln, um da fröhlich zu erzählen, zu lachen und zu „schwätzen“ oder sich an den Schwänken und Einfällen der „Gasselbuben“ zu ergötzen, der hält es kaum für möglich, daß ihre Urmütter wiederholt zu den Waffen gegriffen. Die letzte Zusammenkunft fand zur Zeit der bayrischen Besitzergreifung statt, die rühmlichste gegen das Ende des dreißigjährigen Krieges. Es wurden dazumal Schweden auch in den Vorderwald nach Lingenau verlegt, da aber ein großer Theil derselben auf Plünderung und Ungebühr ausging, thaten sich die mannhaften Weiber zusammen, stellten sich den Vordringenden entgegen und erschlugen sie bis auf den letzten Mann. So geschah’s am Fallenbach inner Großdorf.

Doch unbesorgt! den friedlichen Eindringlingen, die am Touristenstabe einhergewandert kommen, droht heutzutage kein solcher wenig ermunternder Empfang mehr. Die Sommerfrischen und Bäder im Walde werden sogar von Jahr zu Jahr mehr besucht, und es soll dies den Wäldlern gar nicht so unerwünscht sein. Hoffentlich haben sie ihre Abneigung gegen das Fremde und Neue weit früher besiegt, als sie daran denken, ihre kleidsame Tracht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_191.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)