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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

das Leben in Meran kann sonst nicht gerade theuer genannt werden – mußte ich doch etwas übertrieben finden; denkbar und möglich ist er nur, weil eben dem außerordentlichen Andrang der Fremden und meist reicher Fremden eine Stadt mit nur etwa dreihundert Häusern und vielleicht dreitausend Einwohnern gegenüber steht.

Schloß Trautmannsdorf.

Selbstverständlich bietet die Zimmervermiethung und überhaupt Alles, was mit einem in Mode gekommenen Curort in Verbindung steht, eine Haupteinnahme für die Einwohner Merans. Daneben wird aber die Pflege jener köstlichen Gaben, welche in wahrhaft verschwenderischer Weise über das südliche Tirol ausgeschüttet worden sind, nicht vernachlässigt. Obst und Edelfrüchte Tirols sind fast weltbekannt und wandern jetzt sogar bis in’s russische Reich. Von dem herrlichen Weine Terlans hat schon Jedermann gehört, wenn auch nicht getrunken, und ganz gewiß gereicht er den Einwohnern des kleinen Ortes mehr zum Ruhme, als jene Sage, die sich an dessen schief geneigten Thurm knüpft und die sich nicht einmal gut hier erzählen läßt. Die Rebe Tramin’s aber hat ihren Weg schon längst zu den Hügeln des Rheins und des Mains gefunden, und die wahrhaft paradiesische Lage Eppan’s in einer Ueberfülle von Weingärten ist jedem Besucher Bozens bekannt.

Schloß Planta.

So beschäftigt man sich denn auch überall um Meran mit dem Weinbau und betrachtet den Wein, der übrigens nicht wie bei uns an Stöcken, sondern an einem etwa sechs Fuß hohen und eine Art Laubgänge bildenden Geländer gezogen wird, als das wichtigste Erzeugniß der Ebene und der Gebirgsabhänge. Derselbe ist jedoch nur an einigen wenigen Plätzen, wie etwa auf den Anhöhen von St. Valentin in Mais, wirklich vorzüglich zu nennen. Der Wein der Ebene und anderer Orte ist gewöhnlich sauer und von geringer Art. Immerhin bleiben aber schon jene blattreichen, dunklen, sonneabwehrenden Laubgänge, in denen der Wein gezogen wird und von denen ich eben erst gesprochen habe, von ganz besonderem geheimnißvollen Reiz für den Fremden, der sich gerne in diesen Lauben ergehen möchte, wenn nicht das Gesetz in Person der sogenannten Saltner oder Weinbergshüter ein immer bedauertes, aber unerbittliches Machtwort sprechen würde.

Nach dem Weinbau sind die Wiesen zu nennen, die den freundlichsten Anblick bieten, wohl gepflegt werden und daher auch zu einem Viehstand Anlaß geben, der alles Lob verdient und dessen Vertreter wegen ihres stattlichen Aussehens mit Recht zu den gesuchten und besten ihres Stammes gezählt werden.

Nicht geringes Interesse bot mir während meines langen Aufenthaltes der Verkehr mit den Angehörigen der verschiedensten Nationen, der verschiedensten Stände, der verschiedensten Parteien. Man kann wohl sagen, daß an den Ufern der Passer sich alle Nationen der Welt, soweit sie civilisirt sind, Stelldichein geben, und daß sich darum hier die verschiedensten und entgegengesetztesten Ansichten einander begegnen müssen, liegt auf der Hand. Von welch heftigen Erörterungen, von wie lebhaften Auseinandersetzungen war ich Zeuge, und leider spielte dabei gerade die Religion und hier wieder vor Allem die päpstliche Frage und das Unfehlbarkeitsdogma meist die Hauptrolle. Man befindet sich in Meran auf einem stockkatholischen Boden; das Licht, das sich hier so göttlich und hell auf Berg und Thal ergießt, ist noch nicht in die Herzen, noch nicht in die Köpfe gedrungen, und wie überall in Tirol nimmt die Mehrzahl der Bevölkerung der Stadt Partei für den Papst, für seine weltliche Macht, für seine Unfehlbarkeit. Die meisten Fremden aber, die hier verkehren, die meisten Curgäste gehören Norddeutschland, England, Rußland an. Viele derselben, anderer Meinung als die Eingeborenen des Landes, meinen deren Irrglauben mit Spott

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_165.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)