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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

verdoppeln und verdreifachen, die falschen Spieler und die Spielhöllenwirthe auf die Galeeren schicken und die Opfer selbst zur Geldstrafe verurtheilen. Die Andern sind gegen die drakonische Strenge, die nach ihrer Ansicht den Zweck durchaus verfehlen würde. Sie behaupten sogar, man müsse die öffentlichen Hazardspiele wieder erlauben, die öffentlichen Spielsäle würden die geheimen verdrängen. Es fehlt selbst nicht an Publicisten, welche, dieser Ansicht huldigend, noch obendrein der Regierung rathen, die Hazardspiele zur Quelle ergiebiger Staatseinnahmen zu machen. Der Staat solle das Laster gestatten, um es zu besteuern. Das ist ein vortrefflicher Rath! Wahrlich, wenn man die Heilmethode dieser moralischen Aerzte befolgte, würde die Krankheit bald in eine Epidemie ausarten, wie denn überhaupt die Gebrechen, an denen die moderne Gesellschaft leidet, durch die große Zahl der Heilkünstler, die an denselben darauf los experimentiren, erst recht gefährlich, wo nicht gar unheilbar werden.




Die fränkische Leuchte und fränkischer Rittertrotz.


Ein deutsches Geschichtsbild. Von Friedrich Hofmann.


I.


„Sechzig Mark löthigen Silbers Strafe setzte der deutsche König und römische Kaiser Maximilian der Zweite auf dem Reichstag zu Speier am 24. September 1570 auf die Beschimpfung eines jeden Einwohners von Gotha, und dennoch, wo sich im Reiche Gothaner sehen ließen, traf sie Schimpf und Spott, weil sie einen Verrath der Treue gegen ihren Landesherrn begangen hätten.“ So melden es Chronik und Geschichte. Welch Ungeheures mußte man in Gotha damals verbrochen haben, um das Ehr- und Treugefühl des deutschen Volkes so tief zu verletzen, daß ein solches „kaiserliches Pönalmandat“ gegen die Aeußerungen der allgemeinen Entrüstung nöthig wurde? Einem Ritter in Franken widerfährt von seinem Lehnsherrn, dem Bischof, bitteres Unrecht, und da er vergeblich auf friedlichem Wege nach seinem Rechte sucht, so greift er zum Schwert des Faustrechts und will sich der Person seines Feindes bemächtigen. Da wird dieser aus Mißverständniß getödtet: der Mord eines Bischofs und Lehnsherrn, diese schwere Blutschuld fällt auf ihn und damit des Reiches Acht auf sein Haupt. Nun späht er bei den Fürsten nach einer helfenden Hand und er findet sie: ein Reichsfürst fühlt sich durch Kaiser und Reich in seinen angeborenen Rechten gekränkt und schmiedet Pläne, das Verlorene, und wäre es mit Gewalt, wieder zu erringen. Das gleiche Schicksal führt Fürst und Ritter zusammen, ein wunderreicher Aberglaube verlockt sie bis zum äußersten Wagniß, bis zu offenem Krieg gegen Kaiser und Reich. Vom Feinde in seiner Hauptstadt belagert und bedrängt, wird der Fürst auch von seinen Bürgern verlassen, weil er vom Aechter nicht lassen will – und so wurden Beide ihren Feinden und deren Gerechtigkeit überantwortet. Das war die Untreue, welche das deutsche Treupflichtgefühl so verletzte, und weil die Strafe für Beide das Maß überschritt, so wandte ihnen auch das Mitleid seine Theilnahme zu. Trotz alledem ist dieses Ereigniß aus dem Gedächtniß unseres Volkes verschwunden. Man muß abseits vom großen Strom der Geschichte suchen, um diese Begebenheit zu finden, und ebenso war es abseits des großen Stroms des Verkehrs unserer Tage, wo ich auf einer verfallenden Bergveste plötzlich vor den steinernen Häuptern jener beiden Männer stand, die im unbändigen Trotz gegen Kaiser und Reich und Freunde und Lieben ihren jammervollen Untergang gefunden haben.

Vier Stunden südlich von Hildburghausen liegt auf einem kegelförmigen, aus Basaltklingstein bestehenden, schön bewachsenen und schön geformten Berge die Veste Heldburg. Seitdem die Werrabahn den Reisenden in ihrem Thale dahinführt, hat er keine Gelegenheit mehr, auf der Höhe des allen Fuhrleuten in Mitteldeutschland einst übelbekannten Hildburghäuser Stadtberges den Schwager Postillon nach dem Namen der Burg zu fragen, die links von der näheren Ruine Straufhain hinter fernem Waldesgrün herüberschaut. Wer von dort je die zahlreichen Fenster des hochragenden Gebäudekranzes bei Sonnen-Auf- und Untergang hat strahlen gesehen, der versteht auch den Ehrennamen, den die Heldburg von alten Zeiten her trägt: die fränkische Leuchte.

Von Koburg wie von Hildburghausen führen jetzt Poststraßen nach dem Städtchen Heldburg, das am Fuß des Berges liegt, und zur Veste hinauf winden sich und steigen die Wege nach des Wanderers Wahl, je nachdem er klettern oder lustwandeln will. Wer seine Freude an der Natur hat, muß zur Zeit der Baumblüthe hierher. Den ganzen Berg bedeckt der üppigste Obstwald, und besonders wenn der Kirschbaum in Blüthe steht, ist’s, als hätte der Berg einen bis zu seinem Fuß herniederfallenden weißen Krönungsmantel umgehangen oder glänzte die fränkische Leuchte über einem blüthenweißen Riesenstrauß, bewimmelt von Tausenden buntester Käferchen, die wir in der Nähe als fröhliche Menschen erkennen. Denn zu solcher Zeit blühen auch die Bergfeste der Bergveste und locken aus Nah und Fern das kräftige Geschlecht der Franken zu seiner Lieblingslust herbei, zu Bratwurst und Bier, Gesang, Musik und Tanz.

Ein solches Volksfest, ein Sängerfest, zu welchem von Stadt und Dorf aus Thüringen und Franken die Vereine mit ihren Fahnen heranzogen, führte mich nach Jahren einmal wieder auf die Heldburg. Mit reichem Flaggenschmuck von ihren Thürmen und mit Böllerschüssen und Musik begrüßte sie ihre Gäste, die über ein Halbtausend Mann stark den Berg hinauf- und zum Thore hineinzogen, umwogt von den bunten Haufen des Stadt- und Landvolks, lauter himmelhellen Festgesichtern.

Ich zog nicht gleich mit zum Thore hinein, mich lockte es erst zu der wunderschönen Umgebung, aus welcher die Burgpaläste sich emporheben. Liebliche Gänge unter prächtigen Bäumen oder an wohlgepflegten Aprikosen- und Weinspalieren vorüber führen zu verschiedenen Plätzen. Das war einst der Hain, die geheiligte Einfriedigung aller Burghöhen, wo früher altgermanischer Cult stattgefunden. Noch jetzt nennt man den ältesten Theil der Heldburg den „Heidenbau“ und schätzt darnach ihr Alter.

Schon der Gang um die Veste herum öffnet uns manchen Durch- und Ausblick in die weit ausgespannte Ferne. Zur freiesten Rundschau ladet uns aber der freundlich dazu eingerichtete Thorthurm ein, zu dem ich nun vor Allem eilte. In die Burg führen zwei Eingänge: das Hauptthor an der Südseite und ein zweites Thor vom Hain her. Letzteres wählen wir, denn sobald wir seine Steile überwunden und den Hof betreten haben, – stehen wir vor unserer Illustration. In der Ecke steht der Thurm; die Treppensteine und oben das Estrich der Gänge hängen freilich hier und dort ein Bischen schief; „weil sie aber so tief ausgetreten sind, so haben sie sicherlich schon lange gehalten und werden uns auch noch tragen“ – so pflegt die Volkslogik hier zu sprechen und wir vertrauen ihr. Die Aussicht unter dem schützenden Wetterdache entschädigt für Besorgniß und Mühe; sie wetteifert in die Ferne mit der der Veste Koburg – der Heldburg durch Eisenbahn und Fürstengunst bevorzugte Schwester, die stolz im Osten als „fränkische Krone“ thront – denn sie umfaßt nach Süden die Haßberge nach dem Main hin, nach Westen die Rhön, im Norden beherrscht sie den Kamm des Thüringer Waldes und reicht den Frankenwald entlang bis zum Fichtelgebirg, wo der Blick wieder zu den östlichen Mainbergen hinübergleitet. Innerhalb dieses Gebirgsrahmens sind etwa dreißig sichtbare Ortschaften zerstreut, fünfzehn Schlösser, Burgen, Bergkirchen und Ruinen ragen dazwischen und dahinter auf, wie Schloß Kallenberg und Veste Koburg, die Schlösser Banz und Giech, die Altenburg bei Bamberg, Ruine Altenstein im Baunachgrund, Wallfahrtscapelle St. Ursula bei Königshofen im Grabfeld; – und wählen wir von den bedeutendsten Höhenpunkten nur die bekanntesten, so sehen wir, von beiden Gleichbergen bei Römhild ausgehend, welche unsere Abbildung in der Ferne zeigt, in der Wendung nach rechts den Dolmar bei Meiningen, den Hildburghäuser Stadtberg, den Thüringer Beerberg, Schneekopf und Finsterberg, den Waldstein des Fichtelgebirges mit seinem Häuschen, den Staffelberg am Main mit seinem Klösterchen, den heiligen Kreuzberg der Rhön und die Geba, einen Rhönvorposten gegen das Werrathal.

Wie aber hat wohl die Heldburg in der ganz alten Zeit ausgesehen? Als Balthasar von Thüringen 1374 Herr derselben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_112.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)