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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

glaubt die Wissenschaft nachweisen zu können, daß er sich zuerst aus ganz niederen Thieren und zuletzt erst aus dem Affen hervorgebildet hat. – Bis jetzt waren die Uebergänge aus einer Thierform in die andere sehr schroff und lückenhaft und die Bindeglieder zwischen den einzelnen Formen noch nicht bekannt; neuerlich sind aber (besonders durch Waagen und Carl Mayer) schon manche derartige Lücken durch fossile Belegstücke ausgefüllt, und so wird mit jedem Tage die Auseinanderentwickelung der Organismen immer unbestreitbarer.

Der Mensch soll, nach Darwin, von einem lebenden Vierfüßer abstammen, welcher, mit einem Schwanze und zugespitzten Ohren versehen, wahrscheinlich in seiner Lebensweise ein Baumthier und ein Bewohner der alten Welt war. Die Vierfüßer und alle höheren Säugethiere rühren nun aber von einem Beutelthier, und dieses durch eine lange Reihe verschiedenartiger Formen wieder von irgend einem fischähnlichen Thiere her. Der frühere Urerzeuger aller Wirbelthiere war sodann ein Wasserthier, welches mit Kiemen versehen war, dessen beide Geschlechter in einem Individuum vereinigt und dessen wichtigste Körpertheile (besonders das Gehirn) unvollständig entwickelt waren. Dieses Thier scheint den (kaulquappenähnlichen) Larven unserer jetzt existirenden Meer-Mantelthieren sehr ähnlich gewesen zu sein.

Nach Häckel, welcher schon früher als Darwin diesen seinen hypothetischen Stammbaum des Menschengeschlechts aufstellte, ist der echte (sprechende) Mensch der Jetztzeit mit seinem entwickelten Gehirn und seiner articulirten Sprache der nächste Nachkomme eines sprachlosen oder eines nur mit thierischer Lautsprache begabten Affen- oder Urmenschen, welcher sich aus dem Menschenaffen, einer schwanzlosen Schmalnase, entwickelte, die unserm Gorilla und Schimpansen (in Afrika), Orang und Gibbon (in Asien) ähnelte. – Die Vorfahren des Menschenaffen oder der Anthropoiden waren Schwanzaffen, geschwänzte schmalnasige Affen mit dichtbehaartem Körper und langem Schwanze, welche unseren Nasen- und Schlankaffen glichen. – Diese entstanden nun aus den Halbaffen durch Umbildung des Gebisses und Verwandlung der Krallen in Nägel. Diese unsere Halbaffen-Ahnen besaßen vermuthlich nur ziemlich entfernte äußere Aehnlichkeit mit den heutigen kurzfüßigen Halbaffen (Maki, Indri und Lori) und waren die Nachkommen von (den Beutelratten verwandten) Beutelthieren. Diese, welche den heute noch lebenden Opossum und Känguruh nahe standen, nahmen ihren Ursprung aus Stammsäugern, deren Bau dem unserer Schnabelthiere glich. Sie bildeten die Stammform aller Säugethiere und entwickelten sich aus den Ur-Amnioten durch Umbildung der Oberhautschuppen dieser Vorgänger zu Haaren und durch Bildung einer Milchdrüse zur Ernährung der Jungen. Die Uramnioten sind als die gemeinsame Stammform der drei höheren Thierclassen anzusehen und entstanden aus Schwanzlurchen dadurch, daß diese der Kiemen verlustig gingen. Diese amphibischen Vorfahren, ähnlich den heutigen Salamandern und Molchen, fingen schon an, wie ihre Vorgänger, die dem heutigen Proteus ähnelnden Kiemenlurche, zeitweilig durch Lungen zu athmen. – Die Lurche bildeten die Stammformen aller lungenathmenden Wirbelthiere und der Amphibien. Mit ihnen begann die fünfzehige Fußbildung, die sich von da auf die höheren Wirbelthiere und zuletzt auch auf den Menschen vererbte. Sie kam durch Umbildung der rudernden Fischflossen der Lurchfische zu fünfzehigen Beinen zu Stande. – Unsere Fischvorfahren sind nun die Lurchfische, welche den heutigen Molchfischen (Lepidosiren) ähneln, sowie die Urfische mit Haifischähnlichkeit. Die ersteren entstanden aus den Urfischen durch Anpassung an das Landleben und Umbildung der Schwimmblase zu einer luftathmenden Lunge; die letzteren gingen aus den niedrigsten Schädelthieren, den Unpaarnasen, welche den noch lebenden Rundmäulern (Cyclostomen) ähnelten, hervor und diese wieder aus den Schädellosen, welche mit unseren jetzigen Lanzetthierchen entfernte Aehnlichkeit hatten. – Von jetzt an verlassen unsere Ahnen die Wirbelthierreihe und gehen in die Wirbellosen über, zunächst in die Sackwürmer, welche den Uebergang der Wirbellosen zu den Wirbelthieren machen und unseren Mantelthieren (Seescheiden) am nächsten standen; sodann in die Weichwürmer (ähnlich den heutigen Tunicaten und Turbellarien) mit beginnender Bildung eines Athmungs- und Darmapparates; die Strudelwürmer, welche aus den mundführenden bewimperten Infusorien mit der ersten Bildung eines Nervensystems und der einfachsten Sinnesorgane hervorgingen, während die Wimperinfusorien sich aus den Flimmerschwärmern (den heutigen Opalinen und Amphioxus ähnlich), und diese, mit der ersten Bildung eines Darmcanals, aus den Synamöben (Amöben-Zellen-Haufen), diese aber aus den Amöben (einzelligen Urthieren) entwickelten. – Schließlich gerathen wir also als auf die ältesten Vorfahren des Menschen, wie aller anderen Organismen, auf lebende Wesen der denkbar einfachsten Art, auf Organismen ohne Organe, auf ein ganz einfaches, durch und durch gleichartiges, structurloses und formloses Klümpchen einer schleim-eiweißartigen Materie (Protoplasma) ohne Zellenkern. Noch heute existiren derartige Urorganismen als Moneren (der Zusammenziehung und Wiederausdehnung fähige Eiweiß- oder Plasmaklümpchen). Diese sind aber höchst wahrscheinlich auf chemisch-mechanische Art durch Urzeugung, freiwillige oder elternlose Zeugung, aus kohlenstoff- und stickstoffhaltigen „anorganischen Verbindungen“ hervorgegangen. Daß aus unorganischen Stoffen organische Substanzen zu erzeugen sind, hat die neuere Chemie bewiesen, welche sogar dem Eiweiß, Fett und Leim ähnliche Substanzen künstlich, nur aus anorganischen Stoffen, dargestellt haben will. Daß aber für uns Pflanzen und Thiere niemals künstlich aus Anorganen zu entwickeln sein werden, liegt darin, daß der Mensch die Arbeit, welche die Natur dabei viele Millionen Jahre lang angewendet hat, nicht nachzuahmen im Stande ist.

Wie die Umwandlungen der Organismen zu Stande kamen, davon nächstens.

Bock.




Pariser Bilder und Geschichten.


Ein entsetzlicher Maimorgen.


Von Ludwig Kalisch.


Nach einer zehnmonatlichen Abwesenheit traf ich am 5. Juni, Morgens sechs Uhr, wieder in Paris ein. Die Commune war eben besiegt; aber die Reste der Barricaden, die zertrümmerten Häuser und die noch rauchenden Brandstätten zeigten deutlich genug, wie hart der Kampf gewesen. Die sonst so heitere lachende Weltstadt hatte eine düstere Physiognomie. An den meisten Häusern flatterte die Tricolore; sie verkündete jedoch nicht wie ehedem ein Freuden- oder Siegesfest; sie war nur eine Manifestation gegen die rothe Fahne, deren Entfernung so viele Menschenopfer gekostet. In vielen Stadttheilen waren noch Kanonen aufgepflanzt, an deren Fuß schläfrige Soldaten sich auf der Streu wälzten. Sie gähnten wie die Kanonen und dachten kaum mehr als diese über das blutige Werk nach, das sie eben vollbringen gemußt. Ein eigenthümlicher durchdringender Geruch wirkte beklemmend auf die Lungen, und der von grauen Wolken bedeckte Himmel diente dazu, die düstere Stimmung wo möglich noch zu vermehren.

Kaum in meiner Wohnung angelangt, trieb es mich schon wieder fort. Ich hatte seit dem Beginne des Krieges von meinen Pariser Freunden keine Nachricht gehabt. Ich brannte vor Begierde, sie zu sehen; jedoch nur wenigen von ihnen konnte ich nach langer Trennung die Hand drücken. Die Meisten hatten vor der Belagerung, Mehrere unter der Commune die Stadt verlassen und waren noch nicht zurückgekehrt. Einige sollte ich niemals wiedersehen; sie waren im fürchterlichen Bürgerkriege gefallen. Von den mir befreundeten deutschen Familien war noch keine einzige wieder zurückgekommen. Es gab auch Familien, die zwar nicht Paris, wohl aber die Wohnung verlassen, in der sie dem Bombardement ausgesetzt waren, und in anderen ruhigen Stadtvierteln augenblicklichen Schutz bei Freunden gesucht hatten. So waren denn die sonst so regelmäßigen Beziehungen zerrüttet und zerstört.

Eine mir sehr befreundete Familie, die seit Jahren in der Nähe des Triumphbogens wohnt, hatte aus Furcht vor den Bomben, von denen Neuilly und die benachbarten Stadttheile zertrümmert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)