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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Mademoiselle vergoß Thränen und erzählte, wie oft ich ihr wieder Nervenzucken verursacht, und Miß Gibbon stand dabei, schüttelte ihr weises Haupt und murmelte indignirt: ’t is shocking – ich glaube, sie waren sämmtlich froh, als Du mich zurückfordertest und ich der Pension den Rücken kehrte.“

„Wirklich! Nun dann ist es allerdings nothwendig, daß Du in andere Hände kommst. Ich habe bisher nicht viel Zeit gefunden, mich um Deine Erziehung zu kümmern, Lucie, und werde sie auch in Zukunft kaum finden, aber merke Dir ein für allemal, daß, wenn die Autorität von Fräulein Reich nicht ausreichen sollte, jetzt die meinige dahinter steht, der Du Dich hoffentlich fügen wirst, und daß ich Verwirrung und Revolutionen in meinem Hause überhaupt nicht dulde, am allerwenigsten aber von einer Schwester, die mir soeben deutlich beweist, daß sie, anstatt in den Salon, noch ganz und gar in die Kinderstube gehört.“

Die Zurechtweisung wurde sehr ruhig, aber zugleich so bestimmt gegeben, daß Lucie gar nicht einmal Miene machte, die letzten, höchst beleidigenden Worte übel zu nehmen. Halb verwundert, halb eingeschüchtert sah sie den Bruder von der Seite an, ob es ihm wohl mit der Strenge Ernst sei, aber der Blick in sein Gesicht mochte ihr nicht viel Tröstliches zeigen. Die weitere Opposition unterblieb, wenn es auch in dem Antlitz der jungen Dame deutlich geschrieben stand, daß die aufgedrungene Erzieherin gerade kein beneidenswerthes Loos haben werde, und daß der Zögling sich bereits vornahm, ihr das Leben nach Kräften schwer zu machen.

Bernhard zog die Zügel plötzlich an sich, in der Biegung der Straße ward jetzt ein zweiter Wagen sichtbar, und es schien bei dem schmalen, dicht am Abhang entlang führenden Wege allerdings nicht rathsam, in dem bisherigen Tempo daran vorüberzufahren. Es war eine herrschaftliche Equipage, wohl aus der Residenz mit hergebracht; denn für eine Fahrt in den einsamen Bergen schienen diese prachtvollen Seidenpolster, dieser wappengeschmückte Schlag und die reiche grüne und goldene Livree der Dienerschaft kaum passend. Zwei schon ältere Damen in reichster und elegantester Stadttoilette saßen darin, aber obgleich die Wagen langsam und ganz nahe aneinander vorüberfuhren, wurde doch weder ein Gruß, noch ein Zeichen des Erkennens zwischen ihren Insassen gewechselt. Die Damen sahen vornehm zur Seite und Bernhard schien seine ganze Aufmerksamkeit den Pferden zuzuwenden; in weniger denn einer Minute war man aneinander vorbeipassirt und setzte gleichzeitig wieder zu schneller Fahrt ein.

„Bernhard, wer waren die Damen?“ Lucie legte mit kindlicher Neugierde beide Hände auf den Arm des Bruders.

„Gräfin Rhaneck und ihre Gesellschafterin!“ antwortete er kurz.

„Du kennst sie also?“

„Es sind meine nächsten Gutsnachbarn. Ich sitze in Dobra gerade eingekeilt zwischen Aristokratie und Clerus, rechts liegt Schloß Rhaneck, links das Stift mit ihren beiderseitigen Ländereien. Kaum einen Schritt kann ich aus meinem Gebiete hinausthun, ohne mit den Insassen des einen oder des anderen in Berührung zu kommen – eine beneidenswerthe Nachbarschaft!“

„Aber wenn Dir die Lage der Güter nicht gefiel, weshalb kauftest Du sie denn eigentlich?“ fragte Lucie naiv.

„Weil sie für einen Spottpreis zu haben waren, und weil ich bei den dortigen Verhältnissen Erfahrungen verwerthen und Erfolge erreichen kann, die in unserm Norden mit dem zehnfachen Kostenaufwande nicht durchzuführen wären. Doch davon verstehst Du nichts!“ brach er plötzlich kurz ab und wies mit der Hand nach links. „Sieh Dir lieber den Waldweg dort an, er führt gleichfalls nach Dobra.“

Die junge Dame fuhr wie elektrisirt in die Höhe. „O, wie schattig und kühl! Laß uns ein wenig aussteigen und zu Fuße gehen, wir haben lange genug im engen Wagen gesessen!“

„In der Mittagsgluth? Was fällt Dir ein, Kind!“

„O, ich bin so lange nicht im Walde gewesen! Jahrelang habe ich nichts zu sehen bekommen, als nur den Stadtpark und unseren ummauerten Pensionsgarten. Bitte, bitte, Bernhard, laß mich in den Wald, nur auf eine einzige Viertelstunde!“

Es lag eine so unverkennbare Sehnsucht in der schmeichelnden Bitte, daß der Bruder unwillkürlich nachgiebiger gestimmt ward.

„Nun, meinetwegen! Eine Viertelstunde lang will ich Dir den Willen thun, Joseph mag bis zur Waldecke vorausfahren und uns dort erwarten.“

Er gab die Zügel dem hinter ihnen sitzenden Kutscher, stieg ab und wandte sich dann um, ihr die Hand zum Aussteigen zu bieten, aber das junge Mädchen wartete gar nicht darauf; ohne den Wagentritt auch nur zu berühren, sprang sie mit gleichen Füßen auf den Boden nieder und flog ihm voran, dem Walde zu.


(Fortsetzung folgt.)




Ein Stillleben in der Havel.


Von Georg Horn.


Die Havel ist einer der anmuthigsten deutschen Flüsse. Man darf von einem Gewässer, das die Fluren der viel verleumdeten Mark Brandenburg durchfließt, nicht die pittoresken Ufer des Rheins oder der Donau verlangen, nicht einen Reichthum der Sage, die sich dort um jeden Ort, um jeden Stein schlingt; nein, die Havel ist eine echte Märkerin, frisch, klar und hell wie die Töchter des Landes, das sie durchgleitet, und von starkem Unabhängigkeitsgefühl wie die Einwohner desselben. Sie hat sich nicht in enge Thäler eindämmen, keine Städte und Burgen an ihre Ufer setzen lassen, sie hat überhaupt keine Lust und Anlage zur Romantik, sie macht lustig und keck ihren Lauf durch das flache Land, einen Lauf, der eigentlich eine recht ruhige gelassene Gangart ist. Sie beeilt sich nicht allzu sehr; nur wo es ihr zu behagen scheint, da legt sie sich nach allen Seiten recht breit und bequem aus, da bildet sie tiefe heimliche Buchten, weite Seen, da gefällt sie sich in den wunderlichsten Windungen, Formen und Gestaltungen, voll heitern krausigen Sinnes, voll Lust der Selbstbestimmung, kurz ein echtes Kind der Mark.

Zum Lieblingsorte hat sie sich eine Stelle des Landes erwählt, welche die Menschen mit dem prosaisch klingenden Namen Potsdam bezeichneten; doch das thut nichts, Name ist nur Klang und thut dem Wesen der Schönheit keinen Abbruch, dachte die Havel und hat jenen Fleck Erde wie ein liebes Pathenkind von allem Zusammenhange losgelöst, es mit ihren weiten, vollen, glänzenden Wasserarmen umfangen, um es ganz für sich allein zu haben, um es mit allen Gaben und Reizen der Natur zu beschenken und zu schmücken. Und damit das Lieblingskind nicht allein sei und eine kleinere Gespielin habe, so hat sie in ihrer Nähe noch eine Gefährtin erstehen lassen, die sie ebenso wie die ältere in ihren Armen liebend umschlossen hält und mit nicht weniger lieblichem Reize umgürtet hat, wenn diese auch das Schicksal hat, von den Menschen weniger gesehen und gekannt zu sein, vielleicht darum aber eine um so höhere Anziehungskraft besitzt.

Es ist da manches Interessante zu erzählen von allerlei Menschen, hohen und berühmten, die sich bei derselben wohl und angeheimelt fühlten, von Königen und Königinnen, von Zauberern und Künstlerinnen, von Palmen und Rosen und Mutter Friedrichen. – Soll ich erzählen? Nun wohl denn! Zum Zwecke näherer Bekanntschaft wird es aber nöthig sein, daß wir die Naturphantasie zu Ende führen, uns auf den Boden der wirklichen Welt begeben und unseren Lesern dieses anmuthige Flußeiland vor Allem mit dem Namen nennen, der ihm nach dem Gange der Weltverhältnisse beigelegt worden ist: „die Pfaueninsel.“

Vor zweihundert Jahren war der Pfauenwerder noch kein Lustaufenthalt, wie er es heutzutage ist für die königliche Familie von Preußen sowohl wie für jeden andern Sterblichen, der in der Tasche das nöthige Geld hat, um hinüberzufahren. Damals stand noch kein Schloß da, kein Palmenhaus, keine Meierei, keine Hofgärtnerwohnungen, kein Maschinenhaus; damals war der landschaftliche Blick noch nicht aufgewacht, die geniale Hand noch nicht geschaffen, welche großartige Parks mit weiten saftgrünen Rasenflächen, mit schimmernden duftenden Blumenstücken, mit entzückenden Fernsichten emporzauberte. Damals war der Pfauenwerder noch ein unwohnlicher, unwirthlicher, ganz mit Holz bestandener Ort. Nur an der Stelle, wo sich heutzutage das Schlößchen befindet, war eine sogenannte Garenne errichtet, das heißt, ein Kaninchenhegehaus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_006.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)