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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Theils eingehendere Studien, theils bloße Zufälligkeiten führten mich später darauf, da einen tieferen Zusammenhang und eine Bedeutung zu erkennen, wo anfänglich nichts als tölpelhaftes Kauderwälsch vorhanden zu sein schien. In den gründlichen, mit Fleiß und Liebe zum germanischen Alterthum entworfenen Werken unserer Forscher sind heute die Beweise in Menge zusammengehäuft, daß der angebliche bäurische Unsinn rückführbar ist auf eine zu ihrer Zeit nicht bloß großartig gedachte, sondern auch mannigfach mit Schönheit gezierte Götter- und Heldensage und heidnische Weltanschauung, deren einzelne dichterische Fabeln ebensowohl eine Bedeutung haben, wie etwa die griechische Märe von dem als goldener Regen herabsteigenden Zeus. Der Sinn der Dichtung mag oft durch überreiche Bildnerei, durch eine in’s Wilde gewachsene, aller kritischen Zähmung entronnene Poesie überwuchert und verdeckt sein. Aber daß ein Sinn dahinter steckt, daran zu zweifeln ist heute nur dem Unwissenden und dem über die ganze Vorzeit wegwerfend Absprechenden noch möglich.

Nun denn, was jenen Bauernburschen anlangt, so fand ich, daß er unbewußter Weise der Besitzer eines recht bemerkenswerthen Bruchstückes germanischer Mythologie war. Richtig verstanden, enthielt dasselbe in roher, mystischer, verballhornisirter Form eine uralte Andeutung der Keim-Lehre, zu welcher gegenwärtig die meisten Männer der Wissenschaft halten. Das Ei ist das Sinnbild des Keimes überhaupt. Im Ei erblickten unsere heidnischen Vorväter ein Zeichen des Wachsthums, der allmählichen Entwickelung und Aufeinanderfolge der Dinge. Indem man durch das Ei schaute, erlangte man daher, bildlich verblümt gesprochen, eine Ahnung und einen Vorblick des zukünftigen Ganges der Ereignisse.

Warum aber wählte man den Oster-Sonntag für die Zauberei, die jenen Bauernburschen so ängstigte?

Weil in grauer Vorzeit, um Ostern hin, ein germanisches Frühlingsfest zu Ehren der Göttin Ostara oder Eostra gefeiert ward, von deren Namen das jetzt bei den deutschen Christen gebräuchliche Wort „Ostern“ herzuleiten ist, einer Göttin, die als Vertreterin der fruchtbar machenden Sonne und der zeugenden Naturkräfte das Ei zu ihrem Sinnbilde hat. Daher kommen ja die jetzt noch gebräuchlichen Oster-Eier. Auch der Hase, den man mit naturgeschichtlicher Ketzerei diese Eier legen läßt, muß der Ostara geheiligt gewesen sein. Seine bekannte Fruchtbarkeit ließ ihn leicht zu einem Sinnbild dieser Göttin werden, wie andrerseits das Marienkäferchen wegen seiner blitzrothen Farbe, der deutschen Liebesgöttin Freia geheiligt war, aus dem himmlischen Reich die Seelen der Ungeborenen im leuchtenden Strahl erdwärts zu führen, um dort verkörpert zu werden.

Was sollte indessen, um der Angabe des abergläubischen Bauernburschen weiter zu folgen, das Rückwärtsgehen, wenn man an Ostara’s Tag die Kirche verließ?

Es bedeutete, daß die Person, welche es that, das Antlitz nach Osten kehrte, wo die Göttin wohnte. Das Zeichen der Verachtung, welches man nach dem christlichen Altar hin zu machen hatte, um der Zauberkraft theilhaftig zu werden, sollte andeuten, daß derjenige, welcher diese spöttische Geberde annahm, sich für den Augenblick vom Christenthum abwandte und zum Heidenglauben zurückging. Auf diese Weise erlangte man die Macht, an dem der Frühlingsgöttin geweihten Tage in dem zwischen den Fingern gehaltenen Ei den Keim aller Dinge zu schauen, ihre Entwickelung in „zweitem Gesicht“ zu ahnen, und so ein Bild der Zukunft zu gewinnen!

Es blieb noch das Lachen übrig. Warum sollte man am Oster-Sonntag, wo das Ei als Hexenspiegel diente, laut lachen?

Hier fand ich, daß dieser Ausbruch der Heiterkeit das Lächeln der Natur im Frühling bedeutete – wie wir ja auch von „lachenden Gefilden“ reden. Bei heidnischen Osterfesten stellte augenscheinlich ein Lach-Chorus dies Lächeln dar. Noch in der Kirche des Mittelalters, Jahrhunderte nach dem Sturz der alten Wodan-Religion, hatte der Priester am Oster-Sonntag seiner Gemeinde zuerst etwas Lustiges zu erzählen, und dann in ein Lachen auszubrechen, welches man das „Ostergelächter“ nannte!

Indem ich so das Eine zum Andern fügte, aus anscheinend werthlosen Bruchstücken mir eine Form zusammensetzte, gewann ich allmählich die immer fester werdende Ueberzeugung, die sich zuletzt zur Gewißheit herausbildete, daß in jenem drolligen Aberglauben eine naturphilosophische Ansicht verborgen lag. In alter Heidenzeit mag irgend ein weiser Mann – ein „Ewart“, „Gudja“, „Weiha“ oder „Sinisto“, wie die Priester unter verschiedenen germanischen Stämmen hießen – dieser Ansicht in feinerer Weise gehuldigt haben. Die Wissenden kannten sie vielleicht in besserer, ihnen vertrauterer Gestalt. Zu der ungebildeten Masse kam sie in vergröberter bildlicher Ausschmückung, und verlor für sie allmählich ihren Sinn und Zusammenhang. Von den Indern, den Aegyptern, den Griechen, den Römern sind wir sicher, daß neben oder hinter der äußerlichen Lehre eine solche innere Geheimlehre stand. Daß bei unseren Vorfahren etwas Aehnliches stattfand, ist kaum mehr zu bezweifeln. Hinter dem nebelhaften Aberglauben eines Dörflers entdecken wir, auf eine Entfernung von vielleicht zwei Jahrtausenden, eine Ansicht, die enge Verwandtschaft hat mit der modernen Pasteur’schen Theorie!

Hat man einmal einen solchen Schlüssel gewonnen, so fühlt man größeres Interesse nicht bloß an duftigen Feen-Märchen, in welchen die Figuren der alten Heidengötter noch erkennbar sind, sondern auch an grob abergläubischen Gebräuchen, in denen man manchmal recht überraschende Gedanken vergangener Geschlechter lesen kann. Klar wird Einem dann auch, daß es vergeblich ist, mit bloßer Spötterei gegen solchen Aberglauben anzukämpfen, denn das Volk hängt an ihm oft mit einer Zähigkeit, als fühle es, daß in dem scheinbaren „dummen Zeug“ ein verzauberter poetischer Schatz enthalten ist, der nur der Wünschelruthe des Kundigen harrt.

Eine wissenschaftlich, aber liebevoll gehaltene Behandlung dieser letzten Ueberbleibsel urgermanischer Weltanschauung vermag allein den Aberglauben gründlich zu besiegen. Ist dem Volke einmal der Einblick in eine solche Behandlung eröffnet – und die Grundlagen dafür könnte man fast spielend in jeder Dorfschule legen –, so werden die Nebel der Unwissenheit sich zerstreuen, der dichterische Werth aber der Sagen nicht bloß, sondern auch der abergläubischen Gebräuche und sogar manchen finsteren Spukes den Augen Aller erschlossen und damit Großes für die allgemeine Bildung gewonnen.

London.Karl Blind.     


Allen Teichfischerei- und Aquarienbesitzern dürfte die Mittheilung einer interessanten Beobachtung zur Warnung und Beachtung dienen, die ich im Laufe der letzten Zeit in meinem Aquarium zu machen Gelegenheit hatte.

In mein üppig und munter gedeihendes Aquarium verpflanzte ich im Anfange des Herbstes d. J. vier Exemplare des bekanntlich in unseren Teichen gemeinen, gelbrandigen Tauchkäfers oder Gelbrandes, drei Männchen und ein Weibchen, die sich lustig und munter unter der übrigen Thierwelt desselben, Goldfischen, Wassermolchen und verschiedenen Schnecken, herumtummelten und nicht wenig zur Belebung der Scenerie beitrugen. Ihre Nahrung bestand, wie die der Fische, in Semmel, Ameiseneiern, Würmern, Fliegen u. s. f. und wurde Alles anscheinend gern verzehrt.

Da bemerkte ich eines Tages, nachdem mir schon früher ein Goldfisch spurlos verschwunden war, wiederum einen derselben (circa 3 Zoll lang) todt am Boden liegend, den Kopf abgefressen, die Bauchhöhle ausgenagt, aber keinen der Käfer dabei, die ich trotzdem sofort wenigstens für die Consumenten des Fisches betrachtete. Ich glaubte, derselbe sei aus irgend welchen Gründen gestorben und erst todt den Käfern zur willkommenen Beute geworden, da es mir unwahrscheinlich schien, daß die kleinen, circa 1 Zoll langen Thiere die viel stärkere und beweglichere Beute, die überdies noch Gelegenheit hatte, in dem Gewirre der Wasserpflanzen zu entkommen, bewältigt haben könnten.

Von jetzt an beobachtete ich daher die Burschen in ihrem Thun und Treiben etwas genauer und bemerkte denn, daß dieselben allerdings hier und da Gelegenheit nahmen, mit den schwerer beweglichen Schnecken, besonders den Sumpf-Schlammschnecken anzubinden, was indeß in so fern seine Schwierigkeiten hatte, als sich dieselben beim Herannahen der kleinen Unholde sofort in ihr Gehäuse zurückzogen. Namentlich saugten sich die genannten großen Sumpfschnecken sofort fest an die Glaswand des Gefäßes an, und es war dann nicht uninteressant, zu sehen, wie emsig und gierig der Gelbrand seinen unangreifbar gepanzerten Gegner umkreiste und überall mit einer fast wühlend zu nennenden Bewegung des Kopfes anstieß, um Blößen desselben zu entdecken.

Hatten mich diese Wahrnehmungen schon auf die Vermuthung gebracht, daß die Käfer doch vielleicht auch die eigentlichen „Raubmörder“ meines Goldfisches gewesen sein mochten, so wurde mir dies jüngst zur Gewißheit, als ich zu meinem Schrecken wahrnahm, daß ihnen wiederum ein Goldfisch, und zwar ein reichlich fünf Zoll langes, schönes, kräftiges Thierchen, zum Opfer gefallen war. Derselbe schwamm zwar noch anscheinend lebend herum, aber Augen und Vordertheil des Kopfes waren abgefressen. Todt war der Fisch den Käfern, die allein nur der Unthat fähig waren, also nicht zur Beute geworden, dieselben mußten ihn überfallen und lebend so schrecklich verstümmelt haben. Selbstverständlich wurden nach solcher Aufführung die frechen Gesellen baldmöglichst exmittirt.

Was hier im Kleinen geschah, dürfte sich natürlich im Fischteich täglich wiederholen und die Erklärung dafür abgeben, daß in manchen Teichen junge Fische, Fischsatz, nicht gedeiht, sondern allmählich und spurlos darin verschwindet. Es dürfte gerathen sein, hierbei auf das Vorkommen genannten Käfers zu achten und, wird derselbe, wie es vorkommt, in größeren Mengen getroffen, ihn durch ein- oder mehrjähriges Trockenlegen und Auswintern des Teiches zu vertilgen. – Es war mir interessant, nach dieser Richtung hin bereits die beifällige Ansicht eines anerkannt tüchtigen Praktikers in der Teichfischerei, des Administrators des Rittergutes Sahlis-Rüdigsdorf, Herrn Inspector Schimpf, zu hören, der die Schädlichkeit des Gelbrandes schon aus Erfahrung kennen gelernt hatte.

Für Besitzer von Aquarien diene aber zur Warnung, niemals den gelbrandigen Tauchkäfer in ein solches aufzunehmen, da sie zwar wesentlich zur Belebung, aber niemals zum Gedeihen desselben beitragen.

Rochlitz.Johne.     


Ein Brief und seine Antwort. Unter den vielen in allerlei Angelegenheiten an mich gelangenden Briefen gebe ich hier einen wieder, welcher nur zu deutlich beweist, wie schwer gekettet das Volk noch in den Banden des Aberglaubens liegt. Er lautet wortgetreu:

„Sehr geehrter Herr Doctor! Verzeihung, daß allerunterthänigst Unterzeichnete Herrn Doctor mit einer ergebenen inständigen Bitte zu belästigen wagt: Ich habe seit mehreren Jahren kranke Augen, welches für mich ein um so größeres Unglück ist, da ich eine alte kranke Mutter zu erhalten habe; nun hat man mir eine Sympathie gesagt, von deren Wirkung ich überzeugt bin; doch muß ich einen Wiedehopf haben. Ich habe mich mit der Bitte schon an Dr. Westermann in Amsterdam gewendet, der mir von einem Herrn, der dort bekannt ist, als so edel und gefällig geschildert wurde. Ich erhielt diesen gütigen Brief zurück, den ich zugleich benütze, Herrn Doctor zu bezeugen und bitte von ganzem Herzen ergebenst, so gütig sein und mir einen Wiedehopf schicken lassen zu wollen. Der Herr wird Sie tausendfach segnen, wie meine gute alte Mutter und ich Herrn Doctor ewig dankbar sein werden. Ich bitte mir denselben gütigst auf Postnachnahme senden lassen zu wollen. Derselbe ist um so leichter zu schicken, da ich den Vogel nicht lebendig brauche; nur bitte ich recht, recht sehr, nachdem derselbe getödtet, gleich einpacken lassen zu wollen, damit er nicht erst verwest. Bitte, bitte, sobald als möglich.“

Hierauf erfolgte selbstverständlich nicht die Zusendung eines Wiedehopfes, sondern die nachstehende Antwort, welche wohl auch für so manch einen Anderen dienen kann:

„So unendlich ich Ihr Leiden bedauere, so würde es doch gegen meine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_859.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)