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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


empor, auf der ein einsamer hoher Kegel steht, der den Eindruck einer Ruine macht. Links steigt eine andere Felsenbrüstung in die Höhe, mit Tannen, alten Edelkastanien, Buchen und Eichen geschmückt.

Das Nideck-Thal öffnet sich ungemein malerisch. Ganz unten zu unseren Füßen zieht sich ein schmaler Fußweg auf sammetner enger Wiese entlang, er führt dann weiter im Thale nach Ober- und Niederhaslach. Dies ist dasselbe Thal, welches Chamisso in seinem Gedichte erwähnt:

Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,
Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor
Und stieg hinab den Abhang bis in das Thal hinein,
Neugierig, zu erkunden wie’s unten möchte sein.

Mit wen’gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
Erreichte gegen Haslach das Reich der Menschen bald,
Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
Erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt. –

Das Thal wäre kirchenstill, wenn nicht einige vierzig Fuß unmittelbar unter uns, aus der Felsenwand, an deren Abgrund wir stehen, der Nideckfall sein Wasser brausend und schäumend hinabstürzte. Links geht der Weg im Zickzack zum Wasserfalle hinab, rechts zur Burg hinauf. Wir wählen den ersteren und haben in kurzer Zeit den schönen Fall vor uns. Waldbänke aus Eichenastwerk gezimmert laden zum Ausruhen ein.

Links oben auf der Felsenwand schaut, Bäume und Gebüsch hoch überragend, der alte viereckige Wartthurm der Riesenburg weit in’s Land hinaus. Rechts von ihm befindet sich noch ein zweiter Thurm, den wir jedoch vom Wasserfalle aus nicht erblicken. Die Landschaft ist echt gebirgig. Porphyrwände, Laub- und hin und wieder auch Nadelholz wechseln ab; hauptsächlich fallen uns wahre Prachtexemplare von alten Edelkastanien mit ihren schönen dickbemoosten Stämmen auf. Der Wasserfall wirft sich in silbernem Gischt steil von dem dunkeln Felsen hinab und nimmt dann seinen Lauf durch das Nideckthal. Von derselben Felsenwand stürzen die Holzschläger häufig Stammhölzer hinab, die dann unten im Thale auf Flößen weitergeschwemmt werden.

Ich habe auf meinen Wanderungen schon viele schöne Landschaften gesehen, ich wüßte aber keine, welche ich diesem prächtigen, romantischen Wald- und Gebirgsbilde an die Seite stellen könnte. Der Anblick dieses in weiter Einsamkeit liegenden Bildes, das die Natur wild und großartig componirt hat, wirkt so geheimnißvoll und bezaubernd, daß dort wohl jedem Wanderer die Trennung schwer werden wird. – Tritt man hinter den Bogen, welchen der Wasserfall bildet, der sich aus einer Höhe von nahe neunzig Fuß herabstürzt, so genießt man einen imposanten Eindruck des dicht über den darunter Stehenden hindonnernden Falles.

Wenn auch die Stätte, auf der sich die Burg befindet, nicht gerade „wüst und leer“ ist, denn wild und lustig grünende Gebüsche und Bäume umgeben sie und dickstämmiger Epheu hat die Burg längst mit seinen dunkelgrünen Gehängen poetisch umkränzt – so liegt sie doch völlig einsam und kaum erkennt man den Fußpfad, der zwischen Mauertrümmern, unter dichten Gebüsch fort, von einem Thurme zum andern führt. Mehr als diese beiden Thürme, welche aus kolossalen Mauern aufgeführt sind, ist von der ganzen Burg, deren Gründung man in das zwölfte oder dreizehnte Jahrhundert legt, nicht zu sehen.

Eine Menge Scherben von alten Gefäßen liegen dicht um die Thürme zerstreut. Die Scherben sind auffallend dünn, sehr dunkel, beinahe schwärzlich in der Farbe und außerordentlich hart. Einen derselben nahm ich mir zur Erinnerung mit.

„Ja,“ meinte der Förster, „wenn man hier nur graben könnte, da würde man gewiß Vieles für den Alterthumsfreund finden, denn hier hat noch kein Spatenstich die Trümmer und die Erde berührt.“

Der weithin sichtbare viereckige Thurm enthielt im Innern drei Etagen, er ist auffallend eng gebaut und hat früher wahrscheinlich als Wartthurm oder als Gefängniß gedient. Die außergewöhnlich langen Leitern, welche sich noch vor kurzer Zeit im Thurme befanden und durch deren Ersteigung man eine umfassende Aussicht vom Thurme genoß, sind wegen ihrer morschen Sprossen neuerdings weggenommen worden. Wahrscheinlich werden sie aber, wie der Förster mir sagte, durch neue ersetzt werden.

Eine üppige Flora umgiebt den andern Thurm. Waldmeister und Erdbeeren blühten unter den Büschen um die Wette, so dicht, als ob sie künstlich gesät wären, und dazu gesellte sich das wuchernde, dunkle Blattwerk des Immergrüns. Seltene Schmetterlinge umgaukelten munter die Blüthen des stillen Waldes, während oben in den Lüften Wespenbussard und Hühnerhabicht ruhig ihre Kreise zogen. Ich pflückte mir an dem Thurme der alten Riesenburg eine Hand voll Waldmeister zur Maibowle, die mir später nach vortrefflicher Bewirthung bei Herrn Stettner so ausgezeichnet mundete, wie noch nie eine.

Der Abend war eingebrochen, der Wald dunkelte und die Sterne leuchteten am tiefblauen Himmelszelt.

„Nun, erzählen, Sie zu Hause, wie Ihnen Burg Nideck gefallen,“ rief mir, die Hände schüttelnd, der Wirth beim Abschied zu.

„Ja wohl,“ entgegnete ich, „das werde ich thun und die Zeichnung sollen auch viele Tausende sehen!“

Der Wald war ruhig, das Mondlicht glänzte nur zuweilen zwischen den hohen Stämmen und „es flüsterte, wie in Träumen, die mondbeglänzte Nacht.“ Ich dachte an keine Gefahr, obgleich wir stundenlang durch den Wald fuhren und weit und breit kein Haus zu sehen war. Mein Revolver schlief während der ganzen Rückfahrt ruhig in der Tasche weiter.

Unter allen Partien des Elsaß bleibt diejenige nach Burg Nideck eine der interessantesten. Wird das Reisen in den neudeutschen Provinzen gemüthlicher geworden sein und der Bewohner nicht mehr so zähneknirschend uns ansehen, so werden auch die Gäste zahlreicher herüberkommen und dadurch den neuen Landsleuten in den einsamen Thälern mehr Geld zu verdienen geben, als dies die Franzosen gethan, welche sich bisher wenig genug um das schöne, malerische Elsaß und Lothringen gekümmert haben.

Robert Aßmus.




Wie man in England ißt und trinkt.


„Sage mir, wie Du ißt; ich will Dir sagen wer Du bist.“ Ich weiß nicht, ob schon vor mir Jemand diesen weisen Ausspruch gethan hat. Eine Dame meiner Bekanntschaft wandte denselben praktisch an. Hatte sie ein Mädchen zu miethen, dann schloß sie nicht früher mit derselben definitiv ab, bis sie Gelegenheit gehabt hatte, sie beim Essen zu beobachten.

„Was ist der Mensch? – halb Thier, halb Engel“ habe ich als Knabe oft mit Verwunderung in der Kirche gesungen. Bei der Ausübung thierischer Verrichtungen kann man am besten beurtheilen, wie viel vom Thiere in jedem Menschen steckt. Da aber Jeder danach strebt, den Nebenmenschen weis zu machen, daß man mehr Engel als Thier sei, so gehört schon einige Beobachtungsgabe dazu, an einem civilisirten Mittagstisch herauszufinden, wie viel Karat Engel in jedem der Anwesenden steckt. Fräulein von Löffelgans will für eine zweiundzwanzigkarätige Dame gelten und ißt sich zu Hause satt, wenn sie zu einem Diner eingeladen ist. Die natürlichsten Esser findet man im zoologischen Garten, und zur Zeit der Fütterung kann man den Charakter der Thiere am besten beobachten. Wer das mit Verstand thut, wird bei jedem Diner die Löwen, Hyänen, Pelikane etc. herausfinden. Das Thema ist ein sehr complicirtes und weitläufiges, und ich muß es den Lesern überlassen, es für sich auszuführen, und mich darauf beschränken mitzutheilen, wie man in London ißt.

Daß der menschliche Körper einer Oellampe gleicht, ist eine alte Geschichte und die daraus hervorgehende Consequenz ebenfalls, daß die Völker warmer Länder weniger Oel auf diese Lampe zu gießen haben als die kalter. Daß die Eskimos Thran saufen, ist keine aus ihrem schlechten Charakter hervorgehende Niederträchtigkeit, ebenso wenig wie es eine besondere Tugend voraussetzt, daß sich der arabische Räuber mit einer Handvoll Datteln begnügt. Daß die Engländer große Fleischesser sind, bringt ihr Klima mit sich.

Ein deutsches und ein englisches Frühstück sind zwei durchaus verschiedene Dinge. Viele Deutsche schaudern förmlich bei dem Gedanken, mit nüchternem Magen Fleisch zu essen, allein in England gewöhnt man sich daran und kehrt ungern in Berlin zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_821.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)