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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Es war um’s Jahr 1712, als den starken August, Kurfürsten von Sachsen und König von Polen, einen leidenschaftlichen Liebhaber der edlen Fechtkunst, die Lorbeern des Fechtmeisters Kreußler in Jena nicht schlafen ließen. Kreußler sollte eine neue Waffe erfunden haben, die der bisher gebräuchlichen französischen weit überlegen sei. Der starke Kurfürst wollte sich mit dem erfinderischen Fechtmeister messen; er kam allein und incognito nach Jena. – Kreußler war leider abwesend; und der Kurfürst suchte sich in Erwartung baldiger Rückkehr des heißersehnten Gegners die Zeit zu kürzen, indem er in Stadt und Umgegend umherspazierte. Der Zufall führte ihn im Saalthale hinauf zur Rasenmühle, welche auch damals schon zur Studentenkneipe diente.

Kaum hatte der Fremdling in dem Locale an einem Tische Platz genommen und begonnen, einer vor ihm aufgepflanzten Weinflasche zuzusprechen, als ein Musensohn von der schlimmen Sorte, die man Renommisten nannte, eintrat, Kanonen mit Pfundsporen an den langen Beinen, auf dem Haupte den riesigen Federhut, an der Seite den kolossalen Raufdegen mit tellergroßem Stichblatte.

Mochte ihm nun der Fremde überhaupt nicht gefallen, oder hielt er es für Frevel, daß ein Philister in die geweihete Stätte, wo Musensöhne zechten, einzudringen wagte: kurz, er schleuderte – bei der Rohheit jener Zeiten nichts Ungewöhnliches – seinen wuchtigen Ziegenhainer nach der Flasche des ungebetenen Eindringlings, so daß dieselbe am Boden in Stücke zersprang. Die Ruhe des Fremden, der nach einer andern Flasche rief, entflammte das Ungethüm zur größten Wuth. Die zweite Flasche theilte das Schicksal der ersten. – Da erhob sich der Fremde, legitimirte sich als kursächsischen Officier und forderte den Unhold. Secundanten und Arzt waren alsbald zur Stelle, und die Sache ward in einem Wäldchen bei dem nahen Lichtenhain bierseligen Angedenkens ausgefochten.

Daß die Mensur, einige Schrammen abgerechnet, einen unblutigen Ausgang nahm, mag wohl weniger in der Gewandtheit des Studiosen als in der Mäßigung des Fürsten, der dem rauflustigen jungen Herrn eine andere Lection zugedacht hatte, seinen Grund gehabt haben.

Beide Theile erklärten sich für befriedigt, die übliche Versöhnung fand statt.

Der starke August bot dem Gegner die Hand, die furchtbare Hand, welche frisch geschmiedete Hufeisen zerriß und Reichsthaler krumm bog. Der junge Raufbold schlug in die dargebotene Rechte, welche die seinige wie in einem Schraubstock festhielt und trotz seines verzweifelten Ringens fester und fester einklammerte, bis das Knochengerüst der Hand krachend zerbrach und Blut an den hervorragenden Fingerspitzen zur Erde hinablief. Das war wenigstens grob zu nennen!

Nachdem der Fürst die für immer verkrüppelte Hand losgelassen, konnte er es sich nicht versagen, aus seinem Incognito herauszutreten und die ohnehin schon bestürzten Zeugen seiner Kraftprobe vollkommen starr und stumm zu machen. Er warf sodann dem halb ohnmächtig daliegenden Unglücklichen einen Beutel mit hundert Ducaten zu und entfernte sich stolz und kalt, um schon eine Stunde später seinen Rückweg nach Dresden anzutreten.

Als Papa Kreußler wenige Tage später nach Hause zurückkehrte und von dem Vorgefallenen Kunde erhielt, regte sich etwas von verletzter Standesehre in ihm. Die Jenenser Fechterei war in seinen Augen beleidigt. Er mußte Revanche haben und machte sich sogleich auf den Weg nach Dresden. Mit dem Schüler war der starke Kurfürst – so oder so – leicht fertig geworden: lass’ sehen, ob auch mit dem Meister.

Kaum hätte einer seiner eigenen Schüler den alten Kreußler wieder erkannt, wenn er ihm nach seiner Ankunft in Dresden täglich in den späten Morgenstunden in der Nähe des kurfürstlichen Schlosses begegnet wäre. Die sonst so stattlich in Allongeperrücke, bordirtem Rocke und Stoßdegen daherschreitende Gestalt war hier in die verkümmerte Figur eines unter Sorge und Aerger zusammengeschrumpften Dorfschulmeisterleins metamorphosirt. Der abgegriffene Dreispitz, der kümmerlich dünne Haarbeutel, das fadenscheinige schwarze Röcklein, die schwarzgewesenen wollenen Strümpfe nebst den plumpen Schuhen machten die Täuschung vollständig. Der linkische Gang und die gebückte Haltung trugen das Ihrige dazu bei, den berühmten Fechter mit einem undurchdringlichen Incognito zu umgeben.

Auf welche Weise es nun nach einigen mißlungenen Versuchen dem Rächer der Jenaischen Fechterehre endlich gelungen sei, in die Nähe des Kurfürsten zu gelangen, haben wir nicht in Erfahrung bringen können. Vielleicht hat ein gutes Trinkgeld seine Dienste gethan. Für gewiß ist uns versichert worden, daß Kreußler am dritten Tage nach seiner Ankunft vor der offenstehenden Thür des kurfürstlichen Fechtsaales sich befand und mit sichtbarem Interesse den Fechtübungen des Kurfürsten und mehrerer Herren seines Hofes zuschaute.

Während einer Pause bemerkte man den Gaffer vom Saale aus. Seine kurfürstlichen Gnaden geruhten unter die Thür zu treten und den Fremdling zu fixiren. Die mundaufreißende Bewunderung, welche derselbe ob der nie gesehenen Wunderdinge an den Tag legte, und die ihn fast die schuldige tiefe Reverenz vergessen ließ, schmeichelte dem fürstlichen Herrn ein wenig. Er winkte dem Fremden, in den Saal zu kommen, und ertheilte ihm seine gnädige Erlaubniß, die Fechterkünste in aller Bequemlichkeit in der Nähe anstaunen zu dürfen.

In die Ecke gedrückt, den Dreispitz zwischen den Knieen, stand das Schulmeisterlein und blickte unverwandten Auges nach der imposanten Gestalt des Fürsten hinüber, der soeben antrat, um an einem neuen Gegner seine Geschicklichkeit zu erproben. – Das also war der starke August, der ihn, den Kreußler von Jena, in höchsteigener Person aufgesucht hatte, um sich mit ihm zu messen! Dieser Wunsch konnte erfüllt werden!

Wer den Schulmeister in der Ecke beobachtet hätte, würde durch den scharfen, verständnißvollen Blick, mit welchem er den blitzschnellen Bewegungen der fürstlichen Klinge folgte und sie kritisirte, an seiner Identität irre geworden sein; doch nahm sich Niemand der hohen Herren diese Mühe. Erst als die Waffen wieder ruhten, wandte sich irgend ein hochgeborener Herr an den in Bewunderung aufgelösten Zuschauer mit der Frage, ob er auch das Fechten verstehe. Kreußler verneinte. Ob er es nicht versuchen wolle? Eine entsetzt abwehrende Bewegung war die Antwort, welche laute Heiterkeit hervorrief. Dies war der Mann, mit dem man sich einen gnädigen Spaß erlauben konnte. Auch der Kurfürst schien Geschmack an der Sache zu finden.

Ein übermüthiger Junker drückte dem Schulmeister ein Rappier in die zitternde Rechte und begann ihm eine Lection zu ertheilen. Seine Bemühungen schienen auf unfruchtbaren Boden zu fallen. Knickbeinig, die Fußspitzen nach innen gekehrt, die Brust eingezogen, mit dem Rücken den schönsten Kreisabschnitt bildend, setzte der ungelenke Schüler allem Schieben und Drücken, Ermahnen und Spötteln des eleganten Lehrmeisters einen unüberwindlichen passiven Widerstand entgegen. Das Rappier führte er zum Ergötzen der Umstehenden, als ob es eine Gabel gewesen wäre.

Dem Junker riß der Geduldfaden, er griff nach seiner Waffe und machte Miene, den ungeschickten Novizen zum allgemeinen Vergnügen mit schulgerechten Stößen zu bearbeiten. Doch was war das? Seine Stöße wurden ja parirt, wenn auch auf die ungeschickteste Weise! Es war doch wohl Zufall? Nochmals angegriffen! Umsonst! Die anwesenden Herren lachten immer ausgelassener, diesmal auf Kosten des Junkers, der sich durch das unbändige Gelächter bis zur Wuth erhitzte und mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft und Gewandtheit seine Fechterehre zu retten suchte. Umsonst! Seine Finten, einfache und doppelte, seine Cavaden, Battüden, und wie die Fechterkniffe sonst noch heißen, scheiterten an der eisernen Ruhe des linkischen Naturalisten; ja er mußte es sogar erleben, daß dieser mit beispielloser Frechheit, den bocksteifen rechten Fuß hurtig vorgeschoben, zur Offensive überging und, blitzschnell nach einem Ausfalle des Gegners dessen Klinge an der Spitze niederdrückend, die seinige sehr unsanft unter den Arm des Junkers schob, so daß derselbe zurückspringend die getroffenen Rippen mit den Fingern rieb.

Jetzt wurde man stutzig. Das Lachen verstummte. Der Schulmeister war demüthig zurückgetreten und hatte seinen Hut vom Boden aufgenommen, als ob er sich entfernen wollte. Der Kurfürst folgte ihm mit den Augen; es mochte eine Ahnung in ihm aufdämmern. Jetzt winkte der hohe Herr; Kreußler näherte sich.

„Schulmeister,“ sprach der Fürst, „man sieht Euch nicht an, was für ein Kerl in Euch steckt. Ihr versteht mehr von der Sache, als Ihr scheinen machen wollt. Hier, nehmt das Fleuret und stellt Euch mir gegenüber. Ich fühle mich berufen, das Fechter-Renommée meines Hofes zu salviren!“

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