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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

bedeutenden Mittel, welche hierzu mit großartiger Freigebigkeit bewilligt wurden, machten es möglich, allen Anforderungen, die man nach dieser Richtung hin stellen kann, Genüge zu leisten, ja alles bereits in Deutschland Bestehende zu übertreffen.

Die neue Sternwarte wurde gegründet von Herrn Kammerherrn F. v. Bülow, welcher, die vielen mit einem derartigen Unternehmen verbundenen Schwierigkeiten und Geldopfer nicht achtend, ein Werk in’s Leben rief, welches eine beredtes Zeugniß seines hohen Interesses für Astronomie ist, und wodurch sein Name in der Geschichte


Das große Fernrohr auf der Sternwarte in Bothkamp.


dieser Wissenschaft eine bleibende Stelle finden wird.

Die Leitung dieses Institutes, von welchem wir in Folgendem versuchen wollen eine kurze Beschreibung zu geben, wurde in die Hände eines geborenen Leipzigers, des Herrn Dr. H. Vogel (Bruder des bekannten Afrikareisenden) gelegt, an dessen Arbeiten, besonders in chemischer Beziehung, thätigen Antheil zu nehmen dem Referenten die dankenswerthe Aufgabe zu Theil wurde.

Die Privat-Sternwarte des Kammerherrn v. Bülow liegt zwei Meilen südlich von Kiel, dicht neben den herrschaftlichen Wohngebäuden des Gutes Bothkamp, an einem jener großen Seen, deren Holstein so viele besitzt, und die wesentlich dazu beitragen, dem Lande seinen eigenthümlichen Charakter zu verleihen. Die überaus große Solidität der Ausführung berechtigt zu der Annahme, daß, wenn keine gewaltsame Zerstörung des Gebäudes stattfindet, dasselbe viele Jahrhunderte überdauern kann. Man muß daher um so mehr wünschen, daß dieser Privat-Sternwarte ein besseres Schicksal beschieden sei, als den meisten derartigen Instituten Deutschlands bisher zu Theil wurde. Dieselben hatten fast alle nur ein kurzes Bestehen, und gingen der Wissenschaft bald wieder verloren.

Das Aeußere dieses Bauwerks, welches von dem üblichen Sternwartenstile nicht unwesentlich abweicht, macht mehr den Eindruck eines Bollwerkes als den eines astronomischen Observatoriums. Selbst Fachkundige waren bei ihrer Ankunft in Bothkamp in Zweifel, ob dieser Bau wohl die Sternwarte sei oder nicht. Die an der Westseile befindliche Freitreppe, welche theilweise durch einen gothischen Ueberbau bedeckt wird, steigen wir hinauf und gelangen, nachdem wir eine kleine Vorhalle durchschritten haben, in einen hohen runden Raum, die Rotunde. In der Mitte derselben bemerken wir einen großen gemauerten Pfeiler, der durch die Decke hindurchgeht und bestimmt ist, das in dem obern Raum befindliche Fernrohr zu tragen. Sein Fundament befindet sich fünf und einen halben Meter unter dem Fußboden, und sein mittlerer Durchmesser beträgt vier Meter.

Dieser unerschütterliche Koloß steht mit dem übrigen Gebäude in gar keiner Verbindung; er ist vollständig isolirt und mit Wasser umgeben, welches durch eine beständig fließende Quelle fortwährend erneuert wird. Diese Vorsichtsmaßregeln sind wichtig, da alle Erschütterungen von astronomischen Fernröhren möglichst ferngehalten werden müssen.

Von dem frühern Verfahren, Sternwarten auf Thürmen anzubringen, ist man aus eben diesem Grunde jetzt vollständig abgekommen, da die Schwankungen derartiger Bauten, selbst wenn sie sehr massiv ausgeführt sind, genaue Messungen der Gestirne unmöglich machen.

Sehen wir uns weiter in der Rotunde um, so gewahren wir zwei astronomische Uhren, ein sogenanntes Box-Chronometer und eine Pendeluhr mit Quecksilber-Compensation*. Letztere zeigt Sternzeit** und geht so vorzüglich, daß etwaige Unregelmäßigkeiten nur Hundertstel von Secunden betragen. Der genaue Gang einer solchen Uhr ist für eine Sternwarte von großer Wichtigkeit, aus welcher, wie es in Bothkamp der Fall, nicht fortwährend Zeitbestimmungen gemacht werden können.


* Da bekanntlich die Schwingungsdauer eines Uhrenpendels mit der Länge desselben wächst und die Wärme alle Körper ausdehnt, so muß dafür gesorgt werden, daß bei einer genauen Uhr, wie sie für astronomische Beobachtungen erforderlich ist, dieser Einfluß aufgehoben oder compensirt wird. Solche Pendel, bei denen diese Einrichtung getroffen ist, nennt man „Compensations-Pendel“. Sehr einfach läßt sich zum Beispiel eine solche Compensation dadurch herstellen, daß man an Stelle der metallenen Scheibe am Ende des Pendels ein cylindrisches Glasgefäß mit Quecksilber anbringt. Durch die Wärme dehnt sich das Quecksilber nach oben aus und verrückt dadurch den sogenannten Schwerpunkt der Quecksilbermasse nach oben, während durch die Verlängerung der Pendelstange nach unten wieder der Schwerpunkt herabgerückt wird. Man sieht, daß es hierdurch möglich wird, bei passender Wahl des Quecksilbergefäßes den erwähnten Einfluß der Wärme auf die Pendelschwingungen aufzuheben und dadurch ein Pendel mit Quecksilber-Compensation herzustellen.

** Die Zeit, welche ein Stern vermöge der täglichen Erdbewegung braucht, um von seinem höchsten Rande in der Mittagslinie oder im Meridian (seiner sogenannten „Culmination“) wieder in dieselbe Lage zurückzukehren, nennt man „Sternen-Tag“. Die Dauer eines solchen Tages ist durchschnittlich etwa vier Minuten kürzer als ein „Sonnen-Tag“, das heißt als diejenige Zeit, welche die Sonne gebraucht, um von einer Culmination zur andern in derselben Höhe zu gelangen. Es kommt dieser Unterschied einfach daher, daß die Sonne durch ihre jährliche scheinbare Bewegung langsam in entgegengesetzter Richtung den Himmel durchwandert, als durch ihre tägliche Bewegung. Der Punkt also, wo sie heute am Himmel zu einer bestimmten Zeit steht, liegt gegen denjenigen, wo sie gestern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_789.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)