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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 46.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Und dieser blinde Fanatismus war es in der That, der Eckhof beseelte – es war ihm fürchterlich Ernst mit dem, was er sagte. Man mußte dieses düstere Glimmen in den Augen sehen, die sich einen Moment hoben, um über dem Laubdach den Himmel zu suchen.

„Sie haben mir wiederholt versichert, daß Sie im Besitz von Vermögen und einem klingenden Namen sofort einer der Unsrigen sein würden“ – sagte er zu Dagobert.

„Ich wiederhole das hiermit feierlich – ich könnte ja Beides unter keinen besseren Schutz stellen – Tausende sollten mir nicht zu viel sein –“

Eckhof neigte das Haupt. „Der Herr wird sie als Sühne ansehen für so viel verborgene Sünden und endlich seine strafende Hand nehmen von den armen Seelen, die noch ruhelos wandern müssen,“ sagte er pathetisch. „Es war aller Laster Anfang, daß der Kaufmannssohn den Standpunkt verachtete, auf den ihn der Herr durch die Geburt gestellt hatte, und nach dem Degen griff. … Er war schön von Gestalt und verstand sich auf die feinen Künste, die der Menschen Herzen verlocken, und da gab ihm der Herzog den Adel und ließ ihn nicht mehr von seiner Seite. … Es wurde damals ein lockeres Leben geführt, da droben, von wo Zucht und Ehrbarkeit und Gottesfurcht als eine Leuchte über die Länder ausgehen sollten. Der Herzog war lustig und die Frau Herzogin, seine Gemahlin auch, und seine jungen Schwestern, die Prinzessinnen Sidonie und Margarethe, waren zu vergleichen der Tochter des Herodes. Sie hatten viel Willen, denn der Herzog liebte sie zärtlich – sie konnten Alles von ihm erbitten, nur nicht die Einwilligung zu einer Mißheirath, denn er war stolz auf sein fürstliches Blut. … Die schönen Schwestern verreisten und kamen zurück, wie es ihnen gefiel – Prinzessin Margarethe war mehr am Hofe zu L., als daheim; ihre ältere Schwester aber hatte eine große Vorliebe für die Schweiz und für Paris. … Sie verreiste oft auf zwei, drei Monate und noch länger – natürlicherweise im strengsten Incognito und unter dem Schutz ihrer alten, sehr respectablen Hofdame und eines ebenso bejahrten Cavaliers – die guten Leute sind längst todt.“

Er schwieg einen Augenblick und strich sich mit der Hand über das Kinn, und ich saß in stiller Verzweiflung auf meinem Ast; meine Fußsohlen krampften sich zusammen, um die Schuhe festzuhalten, und das Blut trat mir heftig klopfend in die Schläfe, denn ich wagte nicht einmal tief Athem zu schöpfen. Und dieser Mann erzählte so breit wie möglich – es war kein Ende abzusehen.

„Seltsam aber war’s,“ fuhr er endlich fort, „daß stets, so oft die Prinzessin Sidonie nach der Schweiz abreiste, eine schöne, junge Dame in der Karolinenlust erschien. Sie hatte genau so schwarze Locken, genau den schlanken Wuchs wie die Prinzessin, und sah ihr überhaupt zum Verwechseln ähnlich. … In solchen Zeiten war dann die Brücke nach dem Vordergarten womöglich noch fester verschlossen als sonst, und am Flußufer hin, auf Seiten der Karolinenlust, lief ein festes Stacket, das natürlicherweise nach Lothar’s Tode sofort hat fallen müssen. … Nur eine Seele des Vorderhauses genoß die Gnade, die Brücke ungehindert passiren zu dürfen, Fräulein Fliedner. Sie hatte sogar einen eigenen Schlüssel dazu, den sie meist zur Abendzeit, selbst in der späten Nacht benutzte. … Wenn Sie mich fragen, woher ich das Alles weiß, so kann ich Ihnen weiter nichts sagen, als meine selige Frau hat mir’s erzählt. Sie war zwar nie und nimmer bei dieser dunkeln Geschichte betheiligt – zu ihrer Ehre sei es gesagt –, aber Frauenohren und –Augen sind fein und scharf, und wenn die weibliche Wißbegierde einmal angeregt ist, dann fragt sie nicht viel nach nassen Füßen, die der Fluß macht, und findet wohl auch eine Stelle zum Durchschlüpfen –“

„Schau, schau, die gute Frau hat auch gelauscht!“ dachte ich zu meiner großen Befriedigung und vergaß sogar für einen Moment meine gefährliche Situation.

„Das ist ein Leben gewesen wie in einem Turteltaubennest. Eine herrliche Frauenstimme hat die schönsten Lieder gesungen, und im Mondenschein, in später, stiller Nacht hat man droben auf der Waldwiese die Epauletten des Herrn Officiers blitzen sehen und die schlanke, weiße Frau hat an seinem Arm gehangen. … Einmal Abends aber ist Fräulein Fliedner hastig, ohne alle Vorsicht über die Brücke gelaufen – in der Karolinenlust sind die Lichter hinter den Fenster hin- und wiedergehuscht – und um Mitternacht hat man Kindergeschrei gehört.“

Charlotte fuhr in die Höhe, mit geöffneten Lippen, als ränge sie nach Athem – ihre funkelnden Augen ruhten verzehrend auf dem Gesicht des Sprechenden.

„Mehrere Jahre hinter einander hat man die Anwesenheit der Dame in der Karolinenlust von Zeit zu Zeit beobachtet – die Scene, die ich zuletzt erzählt, hat sich später noch einmal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_761.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)