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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 42.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


18.

Am andern Morgen sagte mir mein Vater, daß mich die Prinzessin Margarethe Abends um sechs Uhr zu sehen wünsche. Zum Ueberfluß kam auch noch ein Lakai, um mir selbst die Stunde meines Erscheinens anzuzeigen, da die Prinzessin dem Gedächtniß meines Vaters offenbar nicht traute. Er war aber auch seit gestern viel zerstreuter und in sich gekehrter als bisher. In den Nachmittagsstunden war ein sehr elegant gekleideter Herr mit einem Kästchen unter dem Arme in die Bibliothek hinaufgestiegen und sehr lange droben geblieben, und als dann später mein Vater zu dem Herzog ging, da vergaß er völlig, mir Adieu zu sagen. Ich hörte seine Schritte und lief hinaus in die Halle, und da sah ich, daß eine fieberhafte Röthe auf seinen Wangen lag; er hatte einen seltsam funkelnden Blick, und in dem zerflatternden Haar mußten die Hände unablässig gewühlt haben.

Nun saßen wir Mittags bei Tische. Ich konnte nur wenig essen; mir war beklommen und ängstlich zu Muthe – ich fürchtete mich entsetzlich vor der Prinzessin, die ich mir nicht anders als im goldbrokatenen Kleide, mit der steinfunkelnden Krone auf dem Kopfe denken konnte. Zudem befremdete mich das Wesen meines Vaters. Er rührte keinen Bissen an, unermüdlich drehte er Brodkügelchen zwischen den Fingern, wobei er in das Leere starrte. Er rang offenbar mit sich selbst, etwas auszusprechen; sein Blick streifte dann und wann forschend Ilse’s Gesicht, die arglos, mit mit gutem Appetit aß und dabei wiederholt versicherte, daß es doch in der ganzen Welt nicht so mehlreiche Kartoffeln gebe wie auf dem Dierkhof, weil da sandiger Boden sei.

„Liebe Ilse, ich möchte Sie um etwas bitten,“ hob plötzlich mein Vater an – das klang so kurz und gepreßt, als kämen die Worte nur in Folge eines gewaltsamen innern Ruckes über seine Lippen.

Sie sah von ihrem Teller auf.

„Nicht wahr, Sie haben die Werthpapiere, den letzten Nachlaß meiner verstorbenen Mutter, mitgebracht?“

„Ja, Herr Doctor,“ sagte sie aufhorchend und legte die Gabel hin.

Er griff in die Brusttasche und zog behutsam einen in Papier gewickelten Gegenstand hervor; seine Hände zitterten und die Augen leuchteten auf, als er die seidenweiche Hülle auseinanderschlug – eine prachtvolle, sehr große Denkmünze lag darin.

„Sehen Sie sich das an, Ilse – was sagen Sie dazu?“

„Was Schönes ist’s,“ meinte sie und wiegte mit beifälliger Miene den Kopf.

„Und denken Sie sich, das ist spottbillig zu haben. Für dreitausend Thaler kann ich einen Münzenschatz bekommen, der unter Brüdern mindestens zwölftausend Thaler werth ist.“ – Sein sonst so sanftes, stilles Gesicht hatte etwas Verzücktes angenommen. – „Es ist der erste glückliche Zufall in meinem Leben; bis jetzt habe ich Alles sehr schwer, oft mit unsagbaren Opfern erringen müssen – und gerade in diesem Augenblicke steht mir kein größeres Capital zur Verfügung. … Liebe Ilse, Sie würden mich zu lebenslänglichem Danke verpflichten, wenn Sie mir von dem Ihnen anvertrauten Gelde dreitausend Thaler in die Hände geben wollten. Leonore ist nicht im Mindesten gefährdet, denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß das Werthobject wenigstens dreimal so viel in sich enthält, als der dafür gezahlte Preis beträgt.“

„Ja, ja, das mag schon sein, aber wie ist’s denn, gilt denn das auch?“ fragte sie und tippte mit dem Finger auf die Münze, was meinem Vater eine Art von Nervenzucken verursachte.

„Wie verstehen Sie das?“ fragte er langsam.

„Je nun, ich meine, so, daß es der Kaufmann nimmt, wenn man bezahlen will.“

Mein Vater prallte zurück, als habe sie ihn gestochen.

„Nein, Ilse,“ sagte er nach einer Pause niedergeschlagen; „da machen Sie sich eine falsche Vorstellung. Ausgeben kann man diese Art von Geld nicht – man kann es nur wieder verkaufen.“

„So – da bleiben also die dreitausend Thaler im Kasten liegen und sind nur da zum Ansehen, nicht um ein Haar anders, als das zerbrochene Zeug droben in dem großen Saale auch? … Davon aber kann sich das Kind nicht satt essen und keinen Schuh an die Füße kaufen. … Herr Doctor, ich habe Ihnen gleich gesagt, daß das Geld nicht angerührt wird! Wenn ich in Hannover so Päckchen um Päckchen mit den fünf Siegeln, die ich zuletzt nicht ausstehen konnte, auf die Post trug und schließlich ein brummiges Gesicht machte, da sagte meine arme Frau allemal: ‚Ilse, das verstehst Du nicht! Mein Sohn ist ein berühmter Mann, und das gehört dazu.‘ – Und ich bin auch so stockdumm geblieben, Herr Doctor, und hab’s in meinem Leben nicht begriffen, warum meine gnädige Frau so arm werden mußte, warum sie das schöne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_697.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)