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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


sobald sich in den Straßen und Promenaden Berlins sein blauer Uniformrock mit dem schwefelgelben Kragen nur von Weitem blicken läßt, und Vornehm und Gering, Männer und Frauen treten grüßend zur Seite, wenn der Reichskanzler auf seinem hohen Pferde vorübertrabt. Reisende berichten, daß selbst im spanischen Amerika Bismarckportraits einen stehenden Handelsartikel abgeben, und in den Vereinigten Staaten sind mehrere Städte nach dem großen Kanzler getauft. Den Namen „Bismarck“ am Spiegel, segeln deutsche Schiffe auf allen Meeren, und vor dem letzten Kriege fabricirte man in der Champagne einen Bismarck-Schaumwein. Daß endlich längere Zeit hindurch ein Bismarckbraun als Modefarbe florirt hat, brauchen wir unseren Lesern nicht erst zu berichten.

Ist Bismarck aber bei alledem auch der „Liebling des Volks“? Trotz des Bürgerblutes, das von der Mutter ihm in den Adern fließt, ist er dafür, so fürchten wir, ein zu großer Herr, und nicht so leicht dürfte die Kluft seiner Antecedentien, seines schneidenden Wortes und seines menschenverachtenden Hohnes zu überbrücken sein, welche ihn vom Volke trennt. Man verehrt den Mann als den Gründer des neuen Deutschlands, man bewundert seinen Genius und seine Thatkraft – der Liebling des Volks würde er sein, wäre er auch nach innen der Bismarck, der er nach außen, der Gründer der deutschen Freiheit, wie er der Gründer der deutschen Einheit gewesen ist.

„Bismarck den Streitbaren“ – so möchten wir ihn nennen; denn Kampf ist das Element seines Lebens. „Ich sehne mich nach frischem, ehrlichem Kampf,“ schreibt er an seine Schwester, und das aus Frankfurt aus Main, wo es ihm doch wahrhaftig an Kampf nicht fehlte, an Kampf gegen den alten Zopf der Diplomatie, an Kampf gegen die Rücksichten und Bedenklichkeiten des Berliner Hofes, an Kampf gegen die Anmaßungen Oesterreichs, denn es war die Schwarzenberg’sche Zeit, und in Wien hieß die Parole: „Erst Preußen demüthigen und dann es vernichten!“ Gekämpft hat er sein Lebenlang: als flotter Studio, der in einem einzigen Semester an zwanzig Paukereien ausficht, als Abgeordneter, als Minister, als Friedensunterhändler, und wer weiß, welche Siege er noch erkämpfen muß? Darf es uns also Wunder nehmen, wenn ein so Kampfeslustiger und Kampfesmuthiger auch dem äußeren Gewande des Kampfes, der Uniform, den Vorzug giebt vor dem Kleide des Friedens? Die Uniform, „seines Königs Rock“, ist von jeher Bismarcks Lieblingskleid gewesen. Wie der Reichskanzler heute selten anders erscheint, als in der Kürassiermontur, so trug der Gesandte Preußens am hohen Bundestage zu Frankfurt am Main bei allen feierlichen Gelegenheiten, zumal bei Militärfestlichkeiten, seine Lieutenantsuniform mit der Rettungsmedaille, so daß er von den Soldaten, deren großer Günstling er war, als „Se. Excellenz der Herr Lieutenant von Bismarck“ angeredet zu werden pflegte.

Als im Jahre 1866 der Krieg an Oesterreich erklärt war, wußte man, daß ordnungsgemäß der Chef des preußischen großen Generalstabs die strategischen Operationen leiten würde. Es war dies ein General von Moltke. Derselbe sollte ein gelehrter Officier sein, auch unterschiedliche militärische Schriften verfaßt haben. Darauf beschränkte sich aber auch, was das große Publicum bislang von dem Manne vernommen hatte, in dessen Hände jetzt eine so große Verantwortlichkeit gelegt werden sollte. Kein Monat ging indeß in’s Land, und der seither dem Volke völlig unbekannte Mann war mit Einem Schlage eine Berühmtheit ersten Ranges geworden und sein Name in Aller Munde. Jedermann sprach von dem „großen Moltke“ und seiner genialen Heeresleitung, und nur darüber erstaunte man, wie sich ein geistreicher Schriftsteller treffend ausdrückt, „daß der Mann so lange hatte unberühmt bleiben können“, daß er volle sechsundsechzig Jahre alt werden mußte, bevor die Welt erfuhr, weß Geistes Kind er war.

Darüber staunte man, allein man fühlte sich beruhigt, geborgen ist dem Bewußtsein, daß man einen solchen Mann besaß, um den uns das Ausland jetzt beneidete, wie es uns um unsern Bismarck beneidete, und als es in den Franzosenkrieg ging, da sah man die Truppen ruhig ziehen und vertrauensvoll dem Ausgang entgegen: man hatte ja seinen Moltke, den größten Strategen, und seinen Bismarck, den ersten Staatsmann der Gegenwart, und der Erfolg hat gezeigt, daß man sein Vertrauen nicht an die unrechten Männer verschenkt hatte.

Aber weiß man darum vom Sein und Leben des großen Strategen jetzt viel mehr als ehedem? Während fast jede Woche ein neues geflügeltes Wort, ein neues Begegniß Bismarck’s in die Welt hinaus trägt; während der Berliner genau weiß oder wenigstens wissen will, wie es draußen in der Wilhelmstraße Nr. 76 bei Bismarcks zugeht, wann der Reichskanzler das Frühstück einnimmt, wann er die Räthe seines Ministeriums empfängt, wann er ausreitet und wann er sich zum Kaiser begiebt, wer mit ihm im Garten unter den alten Bäumen sitzt und wo er sich mit seinem Seidel Bairisch erquickt, – aus dem täglichen Leben Moltke’s weiß er nichts zu erzählen, und wer sich etwa in Büchern oder Zeitungen, im Kalender oder dergleichen darüber Raths erholen will, der wird vergeblich suchen; „Moltkiana“ sind vorläufig nicht gesammelt. In allen Verhältnissen bleibt der große Mann auch der „große Schweiger“, im Salon und Cabinet wie im Felde, und sehr ergötzlich ist die Geschichte, welche ein höherer Officier von einem Abende bei Moltke erzählt. „Da saßen wir Beide zusammen am Kamin, und nachdem wir uns eine Stunde lang etwas vorgeschwiegen hatten, ging ich nach Hause.“

Bismarck und Moltke! Wer Beide nebeneinander sieht, muß der nicht fast glauben, der Natur sei eine kleine Verwechselung passirt? Die kolossale Gestalt in der Kürassieruniform mit dem gebieterischen Blick und dem dicken Schnurrbart, sieht die nicht ganz aus wie der geborene Feldmarschall, die schmächtige hagere Figur dagegen mit dem langen bartlosen Gesicht, den Denkerfalten auf der Stirn und den festgeschlossenen schmalen Lippen, ist das nicht eine leibhaftige Diplomatenerscheinung? Und vielleicht, dem Vaterlande zum Heile, steckt auch in dem Einen zugleich ein Stück vom Andern, im Diplomaten etwas vom Feldherrn, im Feldherrn etwas vom Diplomaten; sicher wenigstens hat die Feder des Erstern nicht wieder verdorben, was das Schwert des Zweiten gut gemacht hatte, und so wollen wir uns, um mit Goethe zu sprechen, freuen, daß wir zwei solche „Kerle“ haben, wie Bismarck und Moltke!

Vom Dritten im Bunde, dem Kriegsminister Roon, läßt sich kaum sagen, daß er je in die große Oeffentlichkeit getreten ist, wiewohl er als geographischer Schriftsteller nicht Unerhebliches geleistet und sein „kleiner Roon“ schon manchem Fähndrichsaspiranten den Kopf heiß gemacht hat. Die Unpopularität von 1862 und 1865 her, als er, oft in sehr kaustischen Worten, die Armeereorganisation vor der Kammer vertrat, scheint noch einigermaßen auf ihm zu lasten, wenngleich schon der Krieg mit Oesterreich den Werth der Neugestaltung über alle Zweifel hinaus hob. Bismarck und Moltke kennt jeder Berliner Gassenbube, an Roon schreiten Tausende vorüber, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß der Officier mit den scharfen Zügen und dem militärisch gedrehten Schnurrbart der Mann ist, der das ausgezeichnete Material gebildet hat, welchem wir unsere von der Welt bestaunten Siege verdanken – der aber mit der ihm eigenthümlichen Bescheidenheit sich selbst blos „seines Königs Feldwebel“ zu nennen pflegte.

Als eines charakteristischen Momentes glauben wir zum Schlusse noch des Umstandes gedenken zu müssen, daß Roon sowohl als Moltke einst die militärischen Begleiter und Rathgeber unserer beiden ruhmgekrönten Generalfeldmarschälle gewesen sind; der Erstere dem Prinzen Friedrich Karl zugetheilt, mit dem er Deutschland, die Schweiz, Italien, Frankreich und Belgien bereiste, der Letztere als persönlicher Adjutant des Kronprinzen. Mit diesem stattete er unter Anderem einen Besuch in den Tuilerien ab. Napoleon der Dritte stand im Zenith seiner Macht, er war der Beherrscher der europäischen Politik, und wie hätten Gast oder Wirth sich träumen lassen können, daß der Genius des Erstern vor Allem es sein sollte, der vierzehn Jahre später den Letztern zum „Manne von Sedan“ erniedrigte, als welcher derselbe in der Geschichte fortleben wird!

Ist es eine zu kühne Vermuthung, wenn wir annehmen, daß eine solche Schule nicht ohne Einfluß geblieben sein wird auf die Lorbeerfülle, die heute die Stirnen der beiden prinzlichen Heerführer umschattet, wie sie den Kaiser Wilhelm und alle seine Paladine unverwelklich bekränzt?

Mögen sie ausruhen auf diesen Lorbeeren, die tapferen Kämpen, die unser Bild uns so lebenswahr vergegenwärtigt, und fortan nur Eichenkronen des Friedens ihre Schläfen schmücken! Der kriegerischen Lorbeeren hat Deutschland genug „bis an’s Ende aller Dinge“.

H. S.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_674.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)