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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


diesem jedenfalls eminent persönlichen Procedere der beiden Herren von einer dritten Seite statt. Zwei Tage nach dem beregten Vorfalle, als die Hitze der Debatte längst verflogen war und Virchow’s, des Vielbeschäftigten, Gedanken sich bereits in ganz anderen Gegenständen bewegten, erhielt er ein Schreiben von dem ältesten Sohne des Kriegsministers, einem Jünglinge von 23 Jahren, der damals als Lieutenant bei dem ersten Garde-Regiment zu Fuß stand, worin dieser erklärte, daß er die von Virchow gehaltene Rede in den Zeitungen gelesen, durch die von dem Redner beliebten Ausdrücke die Ehre seines Vaters für verletzt erachte und sich daher genöthigt sehe, Genugthuung mit den Waffen in der Hand zu verlangen, falls sich der Beleidiger nicht zu einer befriedigenden Ehrenerklärung und einem Widerrufe der beleidigenden Redewendungen herbeilassen wolle. Offenbar hätte von Seiten Virchow’s die correcte Antwort in einer Zurückweisung des unbetheiligten, also auch unberechtigten Dritten bestanden, vielleicht unter Beifügung einer kurzen Belehrung über die bei Ehrenmännern übliche Sitte, Ehrensachen unter einander ohne Einmischung Dritter zu schlichten. Man sollte auch glauben, daß die Persönlichkeit des Kriegsministers Herrn Virchow um so mehr zu dieser allein richtigen Erwiderung hätte veranlassen müssen, als doch wohl er so gut wie alle Welt angenommen haben wird, daß der Minister von Roon einerseits ein competenter Richter über seine eigene Ehre ist und andererseits keines Beistandes bedarf, um sie zu hüten. – Wie dem aber sein mag, der ruhige, medicinisch nüchterne Virchow schlug einen anderen Weg ein; er antwortete dem jungen Manne, daß er bei seiner Rede im Abgeordnetenhause lediglich die Sache, nicht eine Person im Auge gehabt habe, daher auch keine Beleidigung des Kriegsministers von ihm beabsichtigt und er bereit sei, dies bei einer passenden Gelegenheit in einer der nächsten Sitzungen der Kammer zu erklären. Es wurde sodann im Verlauf dieser Verhandlungen ein Tag festgesetzt, an welchem Virchow sich in der von ihm bezeichneten Weise zu äußern versprach, und er kam der übernommenen Verpflichtung auch in der Art nach, daß er gleich nach Eröffnung der Sitzung das Wort zu einer persönlichen Bemerkung ergriff, sein Bedauern darüber aussprach, daß in seiner neulichen Rede eine Kränkung der Ehre des Kriegsministers gefunden sei, und daraus Veranlassung zu der Versicherung entnahm, es habe ihm eine Beleidigung seines parlamentarischen Gegners durchaus fern gelegen.

Da ich vorher von Herrn von Manteuffel gesprochen, so ist der Uebergang zu General Vogel von Falckenstein nicht blos natürlich, sondern durch eine merkwürdige Reihe von Verkettungen fast geboten. – Die kriegerischen Thaten des berühmten Heerführers sind bekannt und finden in militärischen Relationen ihre Würdigung. Hier möchte es nur am Orte sein, über zwei auffällige Thatsachen sich auszusprechen, nämlich die Abberufung Falckenstein’s von der Mainarmee im Jahre 1866 und seine Verschiebung noch nicht zwei Jahre nachher.

Die Gründe, welche seine Abberufung von dem Commando der so glänzend bis nach Frankfurt geführten Armee veranlaßten, sind in aller Kürze in dem oben erwähnten Artikel der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ angedeutet worden. Zur Ergänzung des dort Gesagten mag das Folgende dienen.

Am Tage vor der Schlacht bei Langensalza hatte Falckenstein dem General Flies, der mit seinem kleinen Corps dem überlegenen Feinde gegenüberstand, den Befehl ertheilt, „dem Feinde immer an der Klinge zu bleiben“, und war dann, obwohl die unmittelbare Nähe des Feindes eine bekannte Sache war, mit der Eisenbahn nach Kassel gefahren, wo er sich zur Ruhe begab. Er verließ auch an dem folgenden Tage sein Nachtquartier so spät, daß er auf dem Schlachtfelde erst nach Entscheidung des Treffens anlangte. Sowohl der unklare Befehl, „dem Feinde immer an der Klinge zu bleiben“, welcher es den General Flies als seine Aufgabe erkennen ließ, den Feind sofort und ohne Rücksicht auf die Ueberzahl anzugreifen, als auch die Entfernung von dem Punkte der Entscheidung und die Nachtruhe in Kassel wurden in dem großen Hauptquartier als die Veranlassungen zu dem Unglück der preußischen Waffen an jenem Tage betrachtet, und es scheint schon von diesem Zeitpunkte ab ein Mißtrauen gegen Falckenstein Platz gegriffen zu haben. Eine Aeußerung desslben war sogleich in der allerdings auffälligen Thatsache zu finden, daß die dem Tage von Langensalza folgenden Verhandlungen mit dem König Georg über die Capitulation des hannöverschen Heeres nicht dem Höchstcommandirenden, Falckenstein, sondern dem unter ihm befehligenden General Manteuffel telegraphisch übertragen wurden. Der Erstere hatte es als selbstverständlich angesehen, daß nur er zum Abschluß dieser Capitulation ermächtigt sei, und die bezüglichen Festsetzungen mit dem gegnerischen Heerführer in der That bereits vereinbart, als sein Untergebener Manteuffel mit der Vollmacht aus Berlin erschien und kraft derselben das getroffene Abkommen in mehreren wesentlichen Punkten modificirte. Hierdurch wurde ein Mißverhältniß zwischen den beiden Generalen hervorgerufen, welches sich während des ganzen Feldzugs vielfach ausprägte, Manteuffel zu der wiederholten Beschwerde, von dem Engagement mit dem Feinde absichtlich fern gehalten zu werden, Anlaß gab, und unzweifelhaft bis heute nachwirkt.

Ein zweiter gegen den General Falckenstein erhobener Vorwurf lautete dahin, daß er Befehle, die ihm aus dem Hauptquartier zugekommen, nicht oder nicht pünktlich befolgt habe. Ob alle Details, die in dieser Beziehung geflüstert wurden, sich der Wahrheit gemäß verhielten, zum Beispiel, daß Falckenstein seine Abberufungsordre einige Zeit unbeachtet in der Tasche behalten, lasse ich dahingestellt sein; so viel aber ist gewiß, daß die Unzufriedenheit mit ihm eine solche Höhe erreicht hatte, daß ein Kriegsgericht über ihn aburtheilen sollte. Mit diesem Vornehmen fiel in sehr unbequemer Weise zusammen, daß das falsch unterrichtete Publicum Falckenstein als einen von einer Hofpartei mißhandelten Mann ansah und sich sehr entschieden auf seine Seite stellte, während zugleich in dem Abgeordnetenhaus für ihn Antheil an der Dotationssumme gefordert wurde.[1] Es drohten solchergestalt höchst unerquickliche Erörterungen, die dem glänzenden Kriege einen gewiß allerseits unerwünschten Abschluß gebracht hätten. Dieser peinlichen Lage machte Graf Eulenburg ein glückliches Ende, indem auf sein Zureden Falckenstein zu dem König ging und um eine Vergebung bat, die ihm leicht und gern gewährt wurde. Er erhielt die Dotation und das Commando des ersten Armeecorps in Königsberg.

Seinen Abschied von dieser Stelle, der bei der geistigen und körperlichen Frische des Generals Aufsehen erregen mußte, erhielt derselbe auf seinen Antrag; die Motive zu letzterem aber glaubt man in Folgendem zu finden. Falckenstein soll in den oft wiederholten Fehler gefallen sein, in dem persönlichen Verkehr und mündlich zu loben, später aber schriftlich das vorher Gelobte zu tadeln, ein Verfahren, welches in allen Stellungen bei den Untergebenen böses Blut macht und das in dem militärischen Verhältnisse nothwendige Vertrauen des Untergebenen in den Vorgesetzten erschüttern muß. So hatte Falckenstein bei seiner ersten (und einzigen) Inspicirung der zweiten Division in Danzig um Kreise der Generale und Stabsofficiere seine volle Anerkennung der vorgeführten Leistungen ausgesprochen; sehr bald aber wurde ruchbar, daß er in seinem Berichte an den König die Division scharf getadelt hatte, und in Folge dessen griff eine solche Mißstimmung gegen ihn Platz, daß er zum zweiten Mal gar nicht mehr nach Danzig gekommen ist. In dieser Art war seine Stellung in Königsberg unhaltbar geworden und er trat freiwillig von derselben zurück.

Daß in beiden Fällen gerade General von Manteuffel, den er als einen Widersacher zu betrachten berechtigt zu sein glaubte, sein Nachfolger wurde, scheint die Verbitterung gegen diesen genährt zu haben, wie aus seinen jüngsten Expectorationen hervorgeht. Bei beiden Gegnern aber, wenn sie solche sein wollen, können wir mit Liebe und Dankbarkeit ihrer tapferen Thaten zu des Vaterlandes Wohl und Ehre gedenken, ihre Schwächen aber gern vergessen. Es würden diese auch hier keine Erwähnung gefunden haben, wenn die Herren sie nicht selbst öffentlich in die Erörterungen gezogen hätten.

  1. Seinem ungerechtfertigten Vorgehen gegen Jacoby hat es der Herr General zu danken, daß diese Popularität rasch geschwunden ist.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_650.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)