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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Grab, ein kleiner schwarzer Alpenkalkblock mit blüthenweißem Kreuz aus „Marmelstein“ (– wie es im Volkslied heißt) einen ehemaligen Bürgermeister von Werdau in Sachsen, den Advocaten und Landtagsabgeordneten Linke, auch Mitglied der Linken der zweiten Kammer von 1849 und herzhaften Theilnehmer an den denkwürdigen und verhängnißvollen Stürmen desselben Jahres. Er flüchtete und starb im fernen Land, als würdiger Tuchhändler der alten Handels- und Seestadt Zürich. Noch werden sich draußen, im alten Heimathland, Tausende des jovialen Mannes erinnern, besonders noch die damaligen „Germanen“ zu Jena, die ihn Monate lang, trotz Telegraph und Steckbrief, „im Lichtenhainer aufbewahrten“, in der bedenklichen Nähe der sächsischen Zucht- und Correctionsanstalten. Linke kämpfte im Exil, mit frischem Muth und stetem Humor, gegen des Schicksals finstere Mächte. Oft niedergedrückt, erhob er sich immer auf’s Neue, bis er, noch im kräftigen Mannesalter, das ruhige, sechs Schuh lange, fünf Schuh tiefe und drei Schuh breite Landgut sich erwarb, das schließlich dem Reichsten wie dem Aermsten zugesichert bleibt (– sei’s, wo’s sei!) – das Grab. Zwei Rosenstöcke blühen, wenn ich mich recht erinnere, am kleinen schwarzen Felsenhügel. Sie erinnern wohl das deutsche Volk daheim an die politischen Rosen, die, wie alle anderen Rosen, nicht ohne böse Dornen zu pflücken sind, und daran, daß das Verhängniß alle entschiedenen Vorkämpfer der Freiheit mehr mit der Dornenkrone, als mit dem Lorbeer schmückt. Drum halten wir an unseres „studirten“ Tuchhändlers Grab noch folgende geschäftliche Betrachtung: „Der Erwerb der Freiheit an sich ist ein undankbar Geschäft. Die Begründer dieser Firma falliren fast alle. Statt des Goldes klingt ihnen meistens nur das … Eisen. Die Wechsel aber, die sie auf die Geschwister Zeit und Zukunft ziehen, werden lange, lange protestirt und kommt der Tag einst, der sie, ganz oder theilweise, honorirt, so haben sich die Gründer des Geschäfts meist schon längst ‚zurückgezogen‘ vom irdischen Comptoir.“ So ging’s dem wackern Bürgermeister Linke, so geht’s ganzen Völkern. Nur wenige Generationen sind so glücklich, wie die gegenwärtige im deutschen Vaterlande, die wenigstens die erste Rate einbezahlen sah … die Einheit.

Fritz Rödiger.


Ein deutsches Herz.[1]
Von Emil Rittershaus.

Am Eriesee am Abend ist’s sommermild und lind;
Es ging der Tag zur Rüste; es schläft der Abendwind
In duft’gen Blumenkronen; zuweilen aus dem Rohr
Fliegt noch ein Wasservogel mit hellem Schrei empor;
Sonst sind verstummt die Sänger im Busche allzumal;
Sie gingen alle schlafen schon mit dem Sonnenstrahl. –
Still ist’s; am Landungsplatz nur, dort, wo der Dampfer hält,
Da ist noch gar lebendig die laute Menschenwelt.
Zum Boote rüst’ge Burschen die schweren Fässer schleifen;
Der Niggerlieder Tönen, das Yankeedoodlepfeifen,
Der Passagiere Schwatzen und der Matrosen Schrei’n
Will gar kein Ende nehmen, bis bei des Mondes Schein
Das Boot den Anker lichtet.
                       Rings auf dem Schiffe stehn
Gar manche Gruppen plaudernd. Creolendirnen drehn
Sich schmucke Cigarretten; sie tändeln mit dem Fächer
Und schlürfen still behaglich am Limonadenbecher;
Sie lauschen dem Franzosen, wie er so schalkhaft witzelt;
Sie schielen nach dem Yankee, der ernsthaft Spähne schnitzelt.
Auch Deutsche birgt das Dampfschiff: ein Weib mit seinem Kinde.
Es sitzt mit ihrem Buben auf ihrer Kleiderspinde
Die Frau, und ihr zur Seite, da steht ein deutscher Mann,
Ein Deutscher, der die Schätze der neuen Welt gewann,
Ein Deutscher einst, nun Bürger im Staate Wisconsin;
Ihn drängt es nicht zur Heimath, zur alten Welt zu ziehn! –
„Was Ihr auch sagen möget, ich bleibe doch dabei:
Hier in dem Land der Freien fühl’ ich mich wahrhaft frei!
Die deutschen Nebelträume, den alten, dummen Wahn,
Ich hab’ von Grund der Seele das alles abgethan!
Ich war auch einst ‚gemüthlich‘, ein richtig’ ‚deutsch Gemüthe‘ –
Gar mancher speculirte auf meine Herzensgüte!
War wo ein fauler Lungrer, er kam zu mir gekrochen,
Bei meinem ‚guten Herzen‘ verstand er anzupochen;
Dann zog ich meinen Beutel, dann gab ich meinen Wein –
Man dankte mir verbindlichst und lachte hinterdrein!
Dann ward ich arm. O Himmel, wo blieben die Trabanten,
Die theuren, braven Freunde, die einst mich Bruder nannten?
War Einer wie der Andre! – Ich dachte: Fahret hin!
Ich hing ihn an den Nagel, den deutschen Edelsinn.
Mit dem Gemüth, dem biedern, mit all’ den Siebensachen –
Das lehrte mich das Elend! – ist kein Geschäft zu machen!
Mit Weib und Kind nach Westen ging’s, wo mir’s wohl behagt! –
Ihr zieht nach Deutschland wieder, so habt Ihr mir gesagt.
Nun, Glück zu Eurer Reise! Glück Euch und Eurem Kind’! –
Hört! Hütet Euch vor Menschen! Auch, die ‚gemüthlich‘ sind,
Im Grund sind’s doch nur Lumpen, bald sind sie klug, bald dumm,
Und ich bin selbst nicht besser als alles Publicum!
Was Freundschaft, Ehr’ und Liebe! Ich hab’s herausgefunden:
Die allerbesten Freunde, das sind die gold’nen, runden!
Die Tugend lebt im Geldsack und nicht in dem Gemüthe! –
Madame, Glück zur Reise! Ich geh’ in die Kajüte!“
So spricht zu einem Weibe ein Mann von deutschem Stamme.
Die Deutsche hebt die Stirne: „Wie hat des Herzens Flamme
Erstickt die schnöde Goldgier; dem Himmel Dank, mein Kind,
Daß wir aus diesem Lande nun bald entronnen sind,
Denn würdest Du wie dieser, solch’ herzlos kalter Mann,
O, welch’ ein elend’ Leben wär’ wohl mein Leben dann!
Nein, anders sollst Du werden, Du, der von allem Lieben,
Was ich auf Erden hatte, alleine mir geblieben!
O, würdest Du wie dieser, mir wär’ es bittres Weh’! –
Komm’, liebes Kind, und schaue, wie schön der Eriesee!“ –
Der Dampfer ziehet leise auf glatter, ebner Fluth;
Es weht kein einzig’ Lüftchen, das Spiel der Wogen ruht;
Ein blanker, klarer Spiegel ist weit und breit der See.
Hell blickt der Mond hernieder aus wolkenloser Höh’.
In seinen bleichen Strahlen die Tropfen alle glühn,
Die von des Dampfes Rädern in weiten Bögen sprühn;
Ein Silberregen glitzert licht an des Schiffes Seiten,
Sonst keine einz’ge Welle rings um in allen Weiten.
Fern liegt der Strand, der schöne, der schilfumkränzte, grüne;
Des Dampfes scharfes Zischen, das Stampfen der Maschine,
Das nur allein durchbricht hier die stille Abendruh’. –
Von dem Verdecke schauet dem Räderplätschern zu
Das Weib mit seinem Kinde; den kleinen Burschen freut
Das Spiel, wie rings die Schaufel die Wasserperlen streut,
Und in die Händchen klatschet der kleine, lust’ge Mann
Und ruft: „Sieh da, o Mutter! Sieh nur!“ so laut er kann.
„Sieh doch, Mama, wie schön ist’s!“ Dann fing er an zu schrei’n:
„O sieh doch, sieh doch, Mutter, dort, dort im Mondenschein!
Es geht ein Mann, ein schwarzer, an unsres Schiffes Seit’!“
Das Kind birgt das Gesichtchen in seiner Mutter Kleid.
„Jag’ fort den schwarzen Mann dort! Sieh, aus den Wellenstreifen
Seh’ ich den Schwarzen immer nach unserm Schiffe greifen!“
Des Knaben blonde Locken, die Mutter streicht sie lind:
„Des dichten Qualmes Schatten scheint Dir ein Mann, mein Kind!
Komm’ unter meinen Mantel und leg’ in meinen Schooß
Dein Köpfchen, kleines Männchen, und schlafe sorgenlos!“ –
In ihres Mantels Falten hüllt sie das Söhnlein dicht,
Dem trocknen bald die Thränen im kleinen Angesicht,

  1. Emil Rittershaus: „Neue Gedichte“, die wir in Nr. 15 der Gartenlaube als demnächst erscheinend ankündigten, sind bereits vor einigen Wochen auf den literarischen Markt gekommen und haben bei den vielen Verehrern des beliebten und begabten Dichters so allgemein angesprochen, daß binnen zwei Monaten die erste große Auflage von fünftausend Exemplaren vergriffen und eine zweite nahezu ebenso bedeutende Auflage nöthig wurde. Wir theilen heute unsern Lesern, die ja den Dichter aus vielen in der Gartenlaube abgedruckten politischen Liedern kennen, ein unpolitisches Lied aus dem Buche mit und empfehlen die schön ausgestattete Sammlung auf das Beste.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_635.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)