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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ibrahim Effendi Kavusi, Scheikh der heulenden Derwische.
Nach einer im Besitz von Franz Wallner befindlichen Originalphotographie.

Ich denke mir so eine Rotte Vergifteter, hoffnungsloser Menschenkinder im letzten Stadium der Verzweiflung. Nie im Leben habe ich Grauenvolleres gesehen als diesen Act der Gottesanbetung. Ein Neger mit verdrehtem glasigem Auge, weißem Schaume vor dem schwarzen halb geöffneten Munde schien in der Mitte entzweibrechen zu wollen. Solche Töne, wie er ausstieß, hoffe ich nie mehr zu hören.

Weit über eine Stunde hatte der tolle Hexensabbath gedauert, unter den Tollen der Tollste, den Wahnsinnigen der Wahnsinnigste, den Rasenden der Rasendste war unser Freund, der Scheikh. Seine Bewegungen hatten alles Menschenähnliche verloren, der Schweiß floß ihm stromweise über das entstellte Antlitz, durch die eisengrauen Stränge der langen fliegenden Mähnen. Die Augen schienen fest geschlossen, und doch lieferte er einige Male in dramatischer Wirksamkeit den Beweis, daß seine Sinne der Außenwelt nicht abgeschlossen seien. Wenn nämlich einer der Selbstpeiniger zusammenzubrechen drohte, unter den Martern, die er sich auferlegt, so schob sich der Scheikh – ich finde keine andere Bezeichnung – wie magnetisch vorwärts getrieben, zu dem Leidenden hin, legte ihm sanft die Hand auf, öffnete die Augenlider und blickte ihn mit unendlicher Wehmuth an. Dieser zuckte zusammen, und plötzlich von unsichtbarer Gewalt und Heilkraft überströmt, raffte er sich empor, um seine unheimliche Beschäftigung fortzusetzen. Unheimlich, in jeder Bezeichnung des Wortes, denn noch schneller, noch zuckender wanden sich die Gestalten auf und nieder, noch schriller ermunterte die Flöte zu den ununterbrochenen Schlägen der Handpauke, des Tamburins, noch wilder, unbegreiflicher wurden die bestialischen Stimmen, wie das Heulen der Windsbraut, wie das Brüllen ergrimmter Löwen, das ferne Rollen eines Gewitters. Schmerzverzerrten Antlitzes, aber in unglaublicher Anstrengung arbeiteten die Musiker mit Leib und Seele mit. Die Kleiderreste zerrten sich die Heuler vom Leibe, das hörbare Pfeifen der gemarterten Lungen, die krampfhaften taumelnden Bewegungen, die aus unbegreiflichen Stimmregistern hervorgeholten Töne, dies Alles gab ein grauenvolles Ensemble, das wie mit einem schrillen Schrei in Dissonanzen endete.

Wie im Conversationston sprach der Meister, plötzlich ruhig, zu den Jüngern einige Worte, worauf sie ihm ehrfurchtsvoll die Hände küßten. Ehe wir noch den Garten verließen, saß die Gesellschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_472.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)