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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Hause am Neuen Markt. Am Eingang desselben hatten sich die Einwohner der Stadt versammelt, überall unter denselben war Freude und Bewegung, und die Leute zischelten sich in die Ohren: „Seht, der alte Fritz kommt, er will den kleinen Großneffen sehen!“ Fünf Tage darauf war die Taufe; da kam er wieder des Nachmittags, aber nicht auf dem Pferde, sondern im Wagen und mit glänzendem Gefolge; dann stieg er, empfangen von seinem Neffen, dem Vater des Kindes, der damals noch schlank und einer der schönsten Männer im Lande war, die Treppe in den ersten Stock hinauf, trat einen Augenblick in das Zimmer der hohen Wöchnerin, begrüßte dieselbe, dann ging er in das Taufzimmer zurück, allwo ihm die Großmutter des Kindes, die kluge, edle Landgräfin von Hessen-Darmstadt, den Täufling in die Arme legte. Er schenkte ihr sein Portrait in Brillanten, sowie der Wöchnerin einen Haarschmuck aus Brillanten; sonst pflegte er zum großen Heile seines Landes mit derartigen Geschenken nicht eben sehr tief in die Tasche zu greifen, aber bei dieser Gelegenheit ließ er es sich etwas kosten.

Der Geistliche der Hof-Garnisonkirche, der Patronatskirche, des königlichen Hauses, der Hofprediger Cochenius, verrichtete die heilige Handlung. Lange kann dieselbe nicht gedauert haben; die Herren vom geistlichen Amte kannten in dieser Beziehung die Ansichten des Königs. Nach etwa zwanzig Minuten kam er wieder die Treppe herab und fuhr nach seinem Sanssouci zurück. Von da aus hat er an den General v. Krokow geschrieben: „Ein für mich und mein gesammtes königliches Haus so interessantes Ereigniß hat mich mit der lebhaftesten Freude erfüllt, und was für mich dasselbe noch erhöht, ist der Umstand, daß das ganze Vaterland sie mit mir theilt. Möchte dasselbe dereinst auch die Freude mit mir theilen, diesem jungen Prinzen auf den glorreichen Pfaden seiner Vorfahren wandeln zu sehen!“ Auch Herr v. Voltaire hatte aus Ferney einen Gratulationsbrief geschickt, der sicherlich sehr geistreich und verbindlich abgefaßt war; waren die beiden großen Geister doch wieder gute Freunde, nachdem sie hart aneinander gerathen waren. Darauf schrieb ihm der König zurück: „Ich danke Ihnen für den Antheil, welchen Sie an dem Kinde nehmen, das uns geboren worden ist. Ich wünsche nur, es möge einst die Eigenschaften besitzen, die nöthig sind, daß dieser Prinz, weit entfernt, das Unheil der Menschen zu sein, vielmehr der Wohlthäter derselben werde!“

Als der Prinz geboren wurde, war der König achtundfünfzig Jahre alt, sein Leben ging abwärts; bisher war es mit der Nachfolge im preußischen Hause ziemlich schwach bestellt; um so größere Hoffnung setzte er nun auf den neugeborenen Sprößling des königlichen Hauses und auf dessen Erziehung. Er schrieb eigenhändig eine Instruction für den Hofmeister, den ehrlichen biederen Hofrath Behnisch, in welcher die denkwürdigen Worte vorkommen: „Er soll lernen, daß alle Menschen gleich sind, daß die Geburt nur eine Chimäre ist, wenn sie nicht durch das Verdienst unterstützt wird.“ Der König warf für ihn einen Etat aus, dessen Details er selbst aufschrieb, und dessen Summe noch heute für die Kinder des preußischen Hauses bis zum zehnten Jahre geltend ist. Derselbe belief sich auf etwa zweitausendfünfhundert Thaler, darunter waren zweihundertfünfzig Thaler für Bücher, Karten und Spiele. In den ersten Lebensjahren kam man damit wohl aus, aber später wurde es sehr knapp; der König gab nach einer Zeitfrist ein Taschengeld von zwei Friedrichsd’or monatlich und dazu den Rath, das Geld in Silbermünzen umzuwandeln, damit es einen recht großen Haufen mache, aber zu höheren Leistungen wollte er sich durchaus nicht verstehen.

In späteren Jahren geschah es, daß Friedrich Wilhelm der Dritte seine jungen Söhne mahnte, daß sie bedenken möchten, wie gut sie gestellt wären an Vergleich zu ihm in seinen Jugendjahren. Da sei es ein ganz besonderer und außerordentlicher Genuß für ihn und seinen Bruder, den Prinzen Ludwig, gewesen, wenn Behnisch sie in einen Kirschengarten führte und ihnen Milch und Kirschen geben ließ. Daher auch der einfache, genügsame, haushälterische Sinn, der dem späteren Könige bis an das Lebensende geblieben war und der in den Zeiten des Unglücks ihm über alle Entbehrungen des äußerlichen materiellen Lebens[1] leicht hinweghalf, wie er auch später zum Wiederaufbau des Staates ein so thätiger und kräftiger Mithelfer wurde. Als nach der Rückreise der königlichen Familie aus dem Exil von Königsberg im Jahre 1809 der Hofmarschall eines Tages den König fragte, ob wieder Champagner bestellt werden sollte, war dessen Antwort: „Nein, nicht eher, als bis meine Unterthanen wieder Bier trinken können.“

Wie jenes schmucklose Haus in einer der Nebenstraßen der Havelresidenz die Wiegenstätte, so war die ganze Stadt und das sie umgebende anmuthige, weite, grüne Gehege der Schauplatz geistigen Erwachens des jungen Prinzen gewesen. Hier wuchs er in der lichten Atmosphäre des Helden des siebenjährigen Krieges, des philosophischen Königs in das Leben und in die verwickelten Verhältnisse desselben hinein. Dem Vater, dem späteren Könige Friedrich Wilhelm dem Zweiten, war Friedrich der Große nicht sehr hold, er mußte in dessen Privatleben Unregelmäßigkeiten bemerken, die in ihm manche Besorgnisse für die künftige Regierung des preußischen Staates erweckten, um dessen Ruhm, Größe und Bedeutung es sich der alte Herr hatte so sauer werden lassen durch sein ganzes Leben. Desto größere Hoffnungen setzte er auf den heranwachsenden Großneffen, in dessen Naturell und Fähigkeiten sein Scharfblick viele edle, triebkräftige Keime entdeckte. Er überwachte die Erziehung, die Lehrer, den Gouverneur, er ließ sich regelmäßig Bericht über den Fortgang der Studien des jungen Prinzen erstatten, er hatte diesen viel um sich, er prüfte ihn oftmals selbst, und denkwürdig ist jene Scene in Sanssouci, welche Friedrich Wilhelm der Dritte vielleicht fünfzig Jahre später dem Bischofe Eylert bei einem Spaziergange in der Allee des königlichen Gartens erzählte.

Die große Wahrhaftigkeit des Herzens, die hohe Redlichkeit des Sinnes, die den späteren König gegen sich wie gegen alle Welt, im Privat- wie im Staatsleben kennzeichnete, diese offenbarte sich schon damals in dem etwa sechszehnjährigen Jünglinge. Der König zog aus seiner Tasche einen Band von Lafontaine’s Fabeln und ließ seinen Großneffen eine davon übersetzen. Derselbe löste seine Aufgabe zur großen Zufriedenheit des Königs, der ihn darum lobte und ihm die Wangen streichelte. Schließlich gestand denn Prinz Fritz, daß es darum so gut gegangen sei, weil er die nämliche Fabel bei seinem Informator vorher geübt habe. Bei diesem Geständnisse ging ein ernster Zug, eine Miene hoher Befriedigung über das Antlitz des großen Königs, und bewegt sprach er zu seinem künftigen Nachfolger die Worte:

„So ist es recht, lieber Fritz; nur immer ehrlich und aufrichtig. Wolle nie scheinen, was Du nicht bist; sei stets mehr, als Du scheinst. Fritz, werde etwas tüchtiges par excellence. Es wartet Großes auf Dich. Ich bin am Ende meiner Carrière und mein Tagewerk ist absolvirt. Ich fürchte, nach meinem Tode wird’s pêle-mêle gehen. Ueberall liegen Gährungsstoffe, und leider nähren sie die regierenden Herren vorzüglich in Frankreich, statt zu calmiren und zu exstirpiren. Die Massen fangen schon an, von unten auf zu drängen, und wenn dies zum Ausbruche kommt, ist der Teufel los. Ich fürchte, Du wirst ’mal einen schweren, bösen Stand haben. Habilitire, rüste Dich, sei firm; denke an mich. Wache über unsere Ehre und unsern Ruhm. Begehe keine Ungerechtigkeit, dulde aber auch keine.“

„Unter solchen Aeußerungen,“ erzählte der König dem Bischofe, „war Friedrich der Große in Sanssouci bis zum Ausgange gekommen, wo der Obelisk steht. ‚Sieh ihn an,‘ sprach er zu mir. ‚Schlank, aufstrebend, hoch und doch fest in Sturm und Ungewitter. Die Pyramide spricht zu Dir: ‚Ma force est ma droiture‘. Der Culminationspunkt, die höchste Spitze überschauet und krönet das Ganze, aber trägt nicht, sondern wird getragen von Allem, was unter ihr liegt; vorzüglich vom unsichtbaren, tief untergebauten Fundament. Das tragende Element ist das Volk in seiner Einheit; halte es stets mit ihm, daß es Dich liebe und Dir vertraue; darin nur allein kannst Du stark und glücklich sein.‘

Er maß mich mit festem Blick von der Fußsohle bis zum Scheitel,“ erzählte der König Friedrich Wilhelm der Dritte, „reichte mir die Hand, küßte mich und entließ mich mit den Worten: ‚Vergiß diese Stunde nicht.‘“

Es war das letzte Mal, daß der Jüngling und der Greis sich im Leben sahen, am 17. August 1786 in einer der Frühstunden stand im Schlosse von Sanssouci der Großneffe Fritz vor der Leiche des Mannes, der sieben Jahre lang halb Europa gegen sich in Waffen gesehen, der in das Königthum einen neuen Gedanken, den der höchsten Pflicht, gebracht hatte, dessen Name in dem fernsten bewohnten Winkel des Erdballes mit Ehrfurcht und Bewunderung genannt wurde, von dem ein zeitgenössischer Dichter singt: „Einziger, nie ausgesungener Mann!“

  1. Vorlage: „Leaens“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_438.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)