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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Naturauffassung unserer heidnischen Altvordern gemahnend, tritt stark genug in „Soll und Haben“ hervor und steigert sich in der „Verlorenen Handschrift“ gar bis zum verhängnißvollen Mithandeln der dämonischen Hunde.

In Freytag’s Erscheinung herrscht ein wunderbares Gleichgewicht zwischen Anmuth und Würde, Haltung und Neigung. Heiterkeit und Wohlwollen begegnen sich in seinem Bezeigen mit der Strenge seiner sittlichen Anschauung. Wo das Gewissen in’s Spiel kommt, spricht er kategorisch; hat er moralisch verurtheilt, so ist sein Widerwille unbezwinglich. Sonst ist Höflichkeit des Herzens sein Element; wer ihm nahesteht, käme ihm zu keiner Stunde ungelegen; immer findet man ihn da sich selbst gleich, stets die nämliche warme Theilnahme am Ergehen des Anderen. Willkomm und Lebewohl kann Niemand herzlicher bieten. Er lebt in kinderloser Ehe und führt ein ungemein häusliches, fast eingezogenes Dasein; aber liebe Freunde zu empfangen und zu bewirthen ist seine beste Lust. Da läßt er etwas draufgehen in Schmaus und Trank; er, der für sich selber so schlicht wählt in Tracht und Geräth, der überall wenig bedarf, schilt in komischem Zorne, wer ihm nicht wacker Bescheid thut. Edle Weine dürfen ihm im Keller, gute Cigarren im Schranke nie aussterben; davon zu spenden macht ihn glücklich. Die beste Würze aber über Tafel ist sein Gespräch, dann blüht sein Scherz, dann strömt seine Erzählung. Die reichste und feinste Menschenkenntnis leuchtet daraus hervor. Vom fürstlichen Haupte bis zum wandernden Handwerksburschen oder dem ländlichen Tagelöhner seiner Gemeinde Siebleben herab hat er jede Art Leben anschauend erkannt; er hat gefragt und vernommen. Seiner Freunde sind viele über Deutschland hin, in allerlei Stellung, doch von einer Gesinnung. Wie er gedenkt und dankt, zeigt sein Leben Mathy’s; wie ihm jüngere Genossen anhangen, dafür geben Treitschke’s Worte Zeugniß. Mit seinem Verleger, Salomon Hirzel, steht er im vertrautesten täglichen Umgang; was Anderen nur ein Geschäftsverhältniß bedeutet, ist ihm Herzensverbindung.

Sein Interesse ist rege für Alles, doch das Vaterländische steht ihm immerdar obenan. Selbst der bildenden Kunst gäbe er gern eine Richtung auf nationale Stoffe; zur Musik allein hat er kein enges Verhältniß. Das Theater, das ihm so viel verdankt, besucht er doch fast nie mehr; in naher Zukunft nimmt er wohl keinerlei Aussicht wahr auf Erfüllung seiner Hoffnungen für den Aufschwung unserer Bühne. Wer die Schönheit und Klarheit seiner Naturschilderungen überdenkt, dem muß seltsam erscheinen, daß Freytag fast niemals spazieren geht; nur der Sommeraufenthalt bringt ihn beinah unwillkürlich in Berührung mit der lebendigen Landschaft. Dort sind auch hauptsächlich die letzten großen Werke seiner freischaffenden Einbildungskraft entstanden. Den Winter über in Leipzig, ist er dafür um so eifriger journalistisch und wissenschaftlich thätig. Wie seine Kenntniß unserer Culturgeschichte, so ist auch die Sammlung ihrer Quellen, die er nach und nach sorgsam erworben, für einen Privatmann einzig zu nennen; an seltenen Flugschriften ist sie ungewöhnlich reich; noch täglich ist er bemüht, sie zu vervollständigen. So verfließt ihm das Leben: die Vergangenheit seines Volkes zu erforschen, seine Gegenwart dichtend zu verschönern, an seiner Zukunft bauen zu helfen – das ist die Summe seines Daseins. Siehe, ein rechter Deutscher, in welchem kein Falsch ist!

Alfred Dove.




Erinnerungen aus dem heiligen Kriege.
Nr. 6. In französischen Quartieren.
III.


Die Augusttage waren voll Himmelblau und Sonnenglänzen, die Märsche des Tages über eine Lust und die Bivouacs unter den flimmernden Sternen ein Genuß. So erinnere ich mich des vierzehnten August als eines der herrlichsten Marschtage, wie wir nachher keinen mehr hatten. Wenn man auch in der Loslösung von der Gewöhnung des alltäglichen Lebens nicht mehr recht wußte, ob man am Anfange der Woche oder am Ende derselben stand, so sagte man sich doch: heute muß Sonntag sein. Die Feiertagsstimmung lag in der Natur. Ein weites Plateau, von Bergzügen in den mannigfaltigsten Contouren, in den interessantesten Perspectiven rings umschlossen und inmitten desselben die anmuthigsten üppigsten Abwechselungen von Hügel und Gesenke, Obstgärten und Weinbergen, von saftigen Wiesengründen und dunklen Waldsäumen, von Landhäusern, Villen und Dörfern, die aus ihrer Umhegung wie glühende Blumen aus einem grünen Kranze hervorsehen. Die Straßen, die einst fromme Kirchgänger dahinzogen, waren von dreifachen unabsehbaren Colonnen bedeckt, die Waffen und die Kanonen blitzten in der Morgensonne, und zwischen den Pulverwagen und Proviantkarren kam es plötzlich wie ein Sturmwind hindurch, es waren die ersten und dritten Garde-Ulanen, die sich nachher so brillant geschlagen haben. Dort in der Ferne blitzte ein Silberstreif. Das war die Mosel, und dorthin waren alle Bewegungen gerichtet. Am Vierzehnten und Fünfzehnten fand an verschiedenen Stellen der Uebergang der zweiten Armee über die Mosel statt; wir sollten ihn bei Pont à Mousson machen.

Man war damals bereits in dem Stadium, daß man eine Stadt beim Einfahren in dieselbe nicht mehr nach ihrer architektonischen und landschaftlichen Schönheit beurtheilte, nach ihrem historischen Interesse, sondern nur nach dem Maßstabe, ob sie gute Quartiere böte. Jede, auch die kleinste französische Stadt hat ein elegantes Aussehen. Das kommt durch die uniforme Bauart, das machen die hohen Fenster, der helle weiß-gelbliche Anstrich und namentlich die Persiennes, das heißt die Fensterläden, die man in Deutschland Jalousien nennt. In Frankreich versteht diese Bezeichnung Niemand, und wenn man dort einem Dienstmädchen sagt: „Veuillez fermer les jalousies“, so sieht das Einen verwundert an und combinirt endlich, daß man von seinen Herzensangelegenheiten spreche. Einmal wurde ein solch dienstbarer Geist sogar unangenehm und erklärte mir, sie sei nichts weniger als eifersüchtig, denn sie habe nicht einmal einen bestimmten Geliebten.

In Bezug auf Unterkunft machte die nicht sehr große Moselstadt einen sehr hoffnungerweckenden Eindruck. Ich bekam ein Billet zu einem Monsieur Houillot, einem wohlhabenden Gärtnereibesitzer. In demselben trat mir ein Mann von etwa fünfzig Jahren entgegen, neben ihm eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, Persönlichkeiten, die für mich gleich beim Eintritt etwas Sympathisches hatten. Dem Manne sah man trotz des französischen, für einen Deutschen schwer auszusprechenden Namens die deutsch-lothringische Abkunft an; er war hager und schwächlich, hatte blondes, in’s Graue spielendes Haar und blaue Augen; die Frau war brünett und von einer Decenz, Würde und graciösen Vornehmheit in Geberden und Sprache, daß sie dem besten Salon Ehre gemacht hätte. Beide reichten mir die Hände, hießen mich willkommen und bemerkten, daß die Feindschaft sich nur bis an die Schwelle ihres Hauses erstrecke, im Innern sei ich ihr Gast wie zu jeder andern Zeit. Sie fragten mich, wann ich zu frühstücken und zu diniren wünsche; der Mann holte Wein aus dem Keller und die Frau einen Orangen-Liqueur aus dem Schranke, den sie mir mit Stolz als ihr eigenes Fabrikat bezeichnete und den ich als wohlerzogener Mensch natürlich vorzüglich gefunden hätte, auch wenn er mir weniger gemundet hätte.

Am Tage vorher hatte in den Straßen der Stadt zwischen den Cavalleriedetachements unserer Avantgarde, oldenburgischen Dragonern und Chasseurs d’Afrique ein heftiger Kampf stattgefunden; vor uns waren nur noch wenige Truppen. Es ist sonst nicht Brauch, daß man ein Hauptquartier fast in die Avantgarde verlegt; aber Prinz Friedrich Karl wollte in Pont à Mousson das Nachrücken der Truppen über die Mosel abwarten; die Stadt war ein günstiger Punkt, um die Marschoperationen übersehen zu können, und zur Vorsicht waren die Zugänge zur Stadt von unseren Truppen stark besetzt worden.

Wir waren so ziemlich die erste Einquartierung in der Moselstadt, und die Einwohner hatten hier das erste Mal Gelegenheit, sich die gefürchteten Feinde aus der Nähe zu besehen. Jedenfalls muß der Eindruck, den meine Erscheinung im Hause Houillot’s machte, ein sehr friedfertiger gewesen sein, denn allmählich kam von guten Freunden und getreuen Nachbarn einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_412.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)