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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Auch dabei viel Raisonniren, welches überhaupt nur dann ganz schweigt, wenn die kleinen Kerle wie Blutegel sich an der Amme festgesogen haben, um zuletzt von selbst abzufallen und schnell ein Weniges zu schlafen. Saugen, schlafen und mitunter etwas in ihrem Heukasten herumstolpern, das ist zunächst ihr Sein.

Als ich die Gruppe anfing zu malen, bot sie gerade den Anblick, wie ihn das Bild zeigt. Aber leider, wie das dem unglücklichen Thiermaler immer geht, dauerte das nicht lange, die Hündin wollte zunächst ihre Lage verändern und stieg sogar ganz aus ihrem Kasten, um sich zu mir zu stellen. So rührend dies an sich sein mochte, so machte es doch auf mich einen mehr entgegengesetzten Eindruck, und nur meinen eifrigsten Bemühungen gelang es endlich, das Thier


Die Tiger-Amme im Zoologischen Garten zu Dresden.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.


seinem Beruf wieder zuzuführen. Aber sie legte sich nun ganz anders hin. Beleuchtung, „Ungestörtsein“, diese Hauptsachen waren mir günstig, nur die größte Hauptsache, das Thier selbst, nicht. Da nahte mein Schutzengel, der Wärter Donath, dessen Pflege die Gesellschaft anvertraut war. Auf meine Bitte machte er den Versuch, die jetzt gerade aufgestandene Hündin niederzudrücken und sie in die Stellung zu bringen, die sie mir erst vorgeschlagen hatte. Und siehe da, es gelang vortrefflich, jede Correctur ließ sich das fast menschlich fromme Thier gefallen, die Tiger mußten gleichfalls pariren, und so möge denn der Beschauer das beifolgende Bild nicht eigentlich als mein, sondern als das Werk des Wärters betrachten, der so entscheidend in die Arbeit eingriff.

Selbstverständlich braucht Wida, so heißt die Tiger-Amme, auch die nöthige Bewegung in frischer Luft, und sie wird daher täglich einigemal ausgeführt, meist außerhalb des Gartens, um den vielen in der Nähe gehegten Wiederkäuern keine Unruhe zu verursachen. Die feine Jagddressur des Thieres zeigt sich aber selbst bei diesem kurzen Wege zum Garten heraus oder hinein, denn sowie ihm einer der vielen Hasen, welche den Garten in voller Freiheit beleben, zu Gesicht kommt, so „steht“ es, als wäre die Saison in vollem Gange. Doch nach solcher Abwechselung ist auch die Hingebung des Thieres an die jungen Tiger um so eifriger.

Der dritte schon erwähnte kleine Tiger war zwar auch noch der Hündin angelegt worden, schien aber doch die Nahrung schon zu lange entbehrt zu haben und starb. Doch ist noch jetzt beim Schreiber dieser Zeilen die Hoffnung um so größer, die beiden anderen Tiger aufzuziehen, da sie sich, wie ich brieflich erfahren, nun mehr entwickeln und täglich kräftiger werden. Da vorauszusehen ist, daß ihnen bei fortschreitender Entwickelung die Milch der Hündin nicht mehr genügen wird, ohne daß sie bereits Fleischnahrung vertragen würden, so wird gegenwärtig der Versuch gemacht, sie an die Ziehflasche zu gewöhnen. Ist dies gelungen, wie zu hoffen, so hat das Tiger-Geschwisterpaar (es ist Männchen und Weibchen) Aussicht, noch lange ein Anziehungspunkt im Dresdner Zoologischen Garten zu sein.

Von den früher gebornen Jungen des Dresdner Tigerpaares stehen drei ausgestopft in derselben Kammer, wo jetzt Wida mit ihren Tigern liegt, und geben Gelegenheit zu Vergleichen. Auch im Schaufenster eines Leipziger Kaufladens sind drei junge ausgestopfte Thierchen zu sehen. Sie sind zwar mit einer alten ausgestopften Tigerin zusammengestellt, aber ich habe sie, die Jungen, stark in Verdacht, daß sie Dresdner Kinder sind und daß ihnen ihre jetzige Mutter octroyirt worden ist.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_336.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)