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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


sagte uns zu – jung, von dunkler Gesichtsfarbe, mit der Denkerstirn und dem Dichterauge machte er den Einbruch eines Poeten. Bei dem großen Festmahl im Kneiphöf’schen Junkerhof hielt ihm Justizrath Crelinger, ein fein- und scharfsinniger Jurist, die Weiherede und es machte einen besonders feierlichen Eindruck, als der lange hagere Mann seine Rechte auf des Dichters Schultern legte und ihn gleichsam festhielt für die Unsterblichkeit.

Soviel ich mich erinnere, war es auch in Königsberg, wo Herwegh jenen überflüssigen und renommistischen Brief an den König von Preußen schrieb, in Folge dessen der Dichter nachher im Geleite von Gensd’armen über die Grenze gebracht wurde. Dies tragikomische Ende des Triumphzuges begeisterte bekanntlich Heinrich Heine zu einem der witzigsten Spottgedichte.

Einige Zeit darauf versetzte ein anderer Zwischenfall die Studentenschaft in Gährung und das Universitätsgericht in Thätigkeit. Unter den Männern des Tages und den gefeierten Größen der Oppositionspartei befand sich auch ein Humorist, der neben dem ernsten Jacoby das lachende Gesicht des Liberalismus vertrat. Ludwig Walesrode, seines Zeichens englischer Sprachlehrer, nicht in Ostpreußen geboren, sondern an den Ufern der Elbe, in der bescheidenen Schwesterstadt Hamburgs, in Altona, machte damals durch humoristische Vorlesungen in Königsberg großes Aufsehen. Schon seine Erscheinung auf der Straße hatte etwas Pomphaftes – ich weiß nicht mehr zu sagen, durch welche Kunst des Faltenwurfes, durch welche Pelz- oder Mantelform dies imponirende Air erzeugt wurde. Eine selbstgewisse Haltung, welche mit Jacoby’s bescheidenem Verschwinden auffallend contrastirte, erhöhte den Eindruck der malerischen Grandezza. Dieser Oppositionsmann schien mit Fiesco zu sagen: „Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.“ In dieser Blüthenepoche seines Lebens und Wirkens hatte Walesrode auch eine blühende Gesichtsfarbe, volle helle Züge, unter der Brille sahen ein paar blaue Augen schalkhaft freundlich hervor; in feinen Geberden, seiner Sprechweise lag etwas Bestimmtes und Ausdrucksvolles; sein Humor hatte nichts frivol Scherzendes, nichts leichtsinnig Moussirendes; er drapirte sich bunt, farbenprächtig, bilderreich und ruhte auf der breiten Grundlage der „Gesinnungstüchtigkeit“.

Zeugniß für die damalige Unschuld des politischen Lebens legte die Thatsache ab, daß die ganze gebildete Gesellschaft Königsbergs, ohne Unterschied der Parteien, die Vorlesungen Walesrode’s im Kneiphöf’schen Junkerchof besuchte. Man erfreute sich an den schillernden Seifenblasen des Witzes und Humors; der oppositionelle Kitzel hatte sich aller Kreise bemächtigt – stand doch an der Spitze des Staates ein Monarch, welcher erklärte, daß er eine gesinnungsvolle Opposition liebe, und der überdies die guten Einfälle zu schätzen wußte und gelegentlich selbst eine Witzrakete in die Lüfte steigen ließ. So fanden denn auch die Vorlesungen Walesrode’s großen Beifall. Nur darüber war man nicht einig, ob der Autor mehr Aehnlichkeit mit Jean Paul oder mit Börne habe. Jedenfalls erinnerte sein schwerbeweglicher, aber glänzend ausgestatteter, bilderreicher Styl an den Ersteren, während sein Eifer, die Pointen des Tages auch zu Pointen seines Witzes zu machen, und sein feuriger Oppositionsgeist ihm eine geistige Verwandtschaft mit dem Verfasser der Pariser Briefe gaben. Walesrode ließ diese Vorlesungen später unter dem Titel „Glossen und Randzeichnungen zu Texten aus unserer Zeit“ und „Unterthänige Reden“ im Druck erscheinen, und sie machten auch in Deutschland Aufsehen, wie am Anfang der vierziger Jahre Alles, was von den baltischen Gestaden herübertönte.

Ludwig Walesrode hat später nur vereinzelte literarische Lebensäußerungen gegeben, darunter befindet sich ein reizendes Idyll „Der Storch von Nordenthal“. Doch gewöhnt an glänzenden Erfolg, getragen von dem hochgehenden Wellenschlag einer bewegten Epoche, mußte seine nicht schnell fertige Muse um so eher verstummen, je weniger die neueste, von großen Ereignissen in Anspruch genommene Zeit der Literatur und namentlich dem humoristischen Tirailleurkampf gleiche Theilnahme zu schenken geneigt war, wie jene vorbereitende Zeit, wo poetische und literarische Ereignisse zugleich für politische Thaten galten.

Walesrode wollte indeß nicht blos dem fashionabeln Publicum die Feuerwerke seines Humors vorführen, sondern auch der Jugend, welcher die Zukunft gehört. Die erste Vorlesung vor der Studentenschaft fand ohne Anstoß statt und errang sich den lebhaftesten Beifall. Doch gerade dies erregte die Bedenken der Universitätsbehörden, welche für das oppositionelle Gift eine Quarantaine nöthig fanden. Als daher am schwarzen Brett die Einladung zur zweiten Vorlesung angeheftet war, wurde den Studirenden verboten, diese Vorlesung zu besuchen.

Eine allgemeine Gährung in den Gemüthern trat nach diesem Verbote ein; man sah darin eine überflüssige Bevormundung und Beschränkung der persönlichen Freiheit. Bedenkliche vulcanische Symptome deuteten auf einen bevorstehenden Ausbruch. Von den „Stammkneipen“ der Landsmannschafter zu denen der Burschenschafter gingen Sendlinge hinüber; ein reger Verkehr zwischen den feindlichen Parteien bewies, daß eine gemeinsame That beabsichtigt wurde. Selbst bei der „Mutter Hechtschen“, wo in dämmernder Frühstunde die Nachwehen der nächtlichen Commerse durch den Genuß kräftig zubereiteter „Geschlinge“ und „Gekröse“ beseitigt und wo sonst am häufigsten die dummen Jungen aufgebrannt wurden, herrschte die Rütlistimmung allgemeiner Verbrüderung. Die verschiedenartigsten Mützen und Bänder beflissen sich der größtmöglichen Farbenharmonie; es herrschte jene Eintracht, durch welche die kleinen Dinge wachsen.

Und so begab es sich in abendlicher Stunde, da die Dämmerung ihre Fittiche breitete über Ottokar’s Schloßhügel und die Gräber der Hochmeister im Dome, über die Börsenbrücke und die Masten der Handelsschiffe und die Speicherluken der Lastadie, daß dunkle Gruppen von Studenten sich an verschiedenen Plätzen sammelten und in unheimlichen Zügen durch die Straßen bewegten, sang- und klanglos, als gälte es einem Leichenzuge. Die Königsstraße, welche wie die meisten Straße Königsbergs glänzend beginnt und kläglich endet mit Häuserchen, die kaum aus dem Boden herauswachsen, sah diese verschiedenen Trupps sich zu einer großen dunklen Masse verschmelzen, welche an der Akademie und der Bibliothek vorüberzog und endlich vor einem vom Verhängniß gezeichneten Hause Halt machte. Es war das Haus des Universitätscurators und Professors Schubert, eines bekannten Statistikers, welcher durch die studentische Vehme schuldig befunden worden war, jenes unselige Verbot erlassen zu haben. Eine durch keine Harmonielehre, durch keinen Contrapunkt und selbst durch keine Zukunftsmusik geheiligte Tonverwirrung, deren Dissonanzen vergeblich auf irgend welche Auflösung harrten, schwirrte nun durch die hundertköpfige Menge, eine Instrumentation machte sich geltend, deren Tonwerkzeuge sowie ihre Behandlung für den kundigsten Musiker ein Räthsel und Geheimniß waren. Zwar „Trommel und Pfeifen, krieg’rischer Klang“ ließen sich deutlich unterscheiden, auch invalide Leiern und defecte Blasinstrumente; dazwischen aber klirrte und krachte es, als wenn sich einige Katzen in einem Töpferladen jagten, und ein Scherbenberg, wenn auch ein bescheidenes Kind des Augenblicks, nicht ein Kind der Jahrhunderte, wie der Monte Testaccio in Rom, häufte sich vor den Pforten des Universitätscuators auf. Dafür aber, daß diese Katzenmusik auf die Höhe der modernen Programmmusik erhoben wurde, sorgte das donnernde Pereat, mit welchem die künstlerische Leistung abschloß. Der sich zurückbewegende Zug brachte noch dem beliebten Professor Lobeck, dem ehrwürdigen Nestor der Philologie, ein Lebehoch – und somit war das Tagewerk zu allseitiger Befriedigung vollbracht.

Freilich, die akademische Hermandad war in keiner Weise mit dieser Lebensäußerung der Studentenschaft zufrieden, noch weniger mit ihrer eigenen Aufgabe, unter diesen Hunderten den Schuldigen zu ermitteln. Instrumente hatten sie ja fast alle gespielt, und wie sollte man den größten Virtuosen unter ihnen entdecken? Der juristische Scharfsinn war auf einen Indicienbeweis hingewiesen, was die Anstifter des Scandals betrifft, und ich selbst fiel als Opfer einer unerbittlichen Logik. Ich war mit Walesrode bekannt; ich hatte seine Einladung an das schwarze Brett geheftet; was war natürlicher, als daß ich auch bei dem Tumult mit die Hand im Spiele haben mußte?

Hierzu kam, daß ich inzwischen meine „ Lieder der Gegenwart“ hatte erscheinen lassen; zwar halte die wohlwollende Censurscheere des Schulraths Lucas alle überwuchernden Ranken politischer Exaltation abgeschnitten, aber es war doch, neben unklarer Verherrlichung der verschiedenartigsten Persönlichkeiten, die im Kopfe des neunzehnjährigen Jünglings friedlich beieinander wohnten, ein politischer Oppositionsgeist, welcher die Grundaccorde der Sammlung bildete, und es war in diesen Gedichten weniger von Liebe und Frühling die Rede, als von „Reichsständen“, ein in Jamben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_315.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)